Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Keine Angst vor Mathematik

Das Fach hat den Ruf, extrem schwer zu sein, und noch immer gibt es unter den Studierend­en nur wenige Frauen. Dabei bietet die Mathematik exzellente berufliche Chancen und wird für etliche andere Studienfäc­her benötigt.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Es gilt als eines der schwersten Studienfäc­her überhaupt, und dieser Ruf schreckt viele ab – beinahe wäre das auch Kathrin Möllenhoff so gegangen. Heute ist die 33-Jährige Juniorprof­essorin am Mathematis­chen Institut der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf. „Ich war in der Schule schon immer Mathematik-begeistert – und dennoch erschien mir das Studium aufgrund seines Rufes unerreichb­ar. Und das, obwohl ich im Mathe-Leistungsk­urs sehr gute Noten hatte. Erst, als wir eine Mathematik-Vorlesung an der Uni besuchten, und ich doch einiges verstand, erschien mir der Studienwun­sch realistisc­h.“Und so ging Möllenhoff den Weg einer wissenscha­ftlichen Karriere über die Promotion bis hin zur Juniorprof­essur – auch wenn der Frauenante­il auf jeder Karrierest­ufe sank: „Zu Beginn des Studiums waren wir noch relativ viele Frauen, weil im Bachelor die angehenden Lehrerinne­n und Lehrer dabei waren. Doch dann waren im Master von zehn Studierend­en nur noch zwei Frauen. Und auch jetzt bin ich eine von nur zwei Professori­nnen am Institut.“

Mädchen selbstbewu­sster zu machen, sodass sie sich das Mathematik-Studium zutrauen, ist für Kathrin Möllenhoff ein wichtiges Anliegen. So engagiert sie sich etwa beim „Girls‘ Day“, wo sie Mädchen zeigt, wie stark unser Alltag von Mathematik bestimmt wird, und welchen Spaß es machen kann, mit Mathematik Probleme zu lösen: „Denn genau das ist wichtig: Wer Spaß an Mathematik hat, dem wird auch das Studium gar nicht so schwer fallen. Und wenn man gerne Probleme löst, ist es völlig unerheblic­h, ob man ein Mann oder eine Frau ist.“

Für Marcus Zibrowius, Professor für Topologie und Geometrie an der Heine-Uni, liegt die Faszinatio­n der Mathematik darin, dass sie sowohl Kunst als auch Wissenscha­ft ist, sowohl „rein“wie auch „angewandt“. „Man kann diese beiden Seiten der Wissenscha­ft ganz gut an der Erwartungs­haltung unterschei­den, mit der Forschern auf diesen Gebieten begegnet wird. Von einer ,scientist‘ wird erwartet, dass sie in Bezug auf ihre Forschung die Frage ,Wozu ist das gut?‘ beantworte­n kann. Von einem ,artist‘ – sagen wir, einem Literaturw­issenschaf­tler – erwartet man das nicht. Es ist ganz selbstvers­tändlich, dass er nicht versucht, ein

Menschheit­sproblem zu lösen, sondern Kulturgut pflegt. Auch in der Mathematik gibt es ganz klar beide Pole. Sie hat fließende Übergänge sowohl zur Philosophi­e, aus der sie hervorgega­ngen ist, als auch zu den Naturwisse­nschaften, die eine entscheide­nde Triebfeder für ihre Entwicklun­g sind und waren.“Diese beiden Pole spiegeln sich übrigens auch in den Mathematik­ern selbst wieder: „Es gibt Genie und Wahnsinn, und alles dazwischen, vom irren und zerzausten Einsiedler bis zum Nadelstrei­fenbanker“, sagt Marcus Zibrowius.

„Mir fehlt das Talent für Mathematik“– diesen Satz hört Holger Kammeyer, Juniorprof­essor für Algebra und Geometrie an der Heinrich-Heine-Uni, häufig. „Mein persönlich­er Eindruck ist aber, dass mathematis­ches Verständni­s gar nicht so sehr eine Frage von Begabung ist. Wenn überhaupt, scheitert das Verständni­s an der fehlenden Geduld, denn viele haben diesen Impuls, sich von einem Problem abzuwenden, wenn man es im ersten Anlauf nicht lösen kann. Packt einen aber der Ehrgeiz, sobald man etwas nicht versteht und findet man ein Problem nur umso attraktive­r, je mehr es sich gegen eine Lösung wehrt, ist man im Mathematik­Studium richtig aufgehoben.“Dabei erwerbe man Fähigkeite­n wie Zielorient­iertheit, Ausdauer und analytisch­es Denkvermög­en – und die sind auf dem Arbeitsmar­kt äußerst gefragt. Künstliche Intelligen­z, Machine Learning, Big Data, autonomes Fahren, all die großen Schlagwört­er der Zukunftsth­emen führen im Kern zu mathematis­chen Fragestell­ungen. „Längst sind nicht mehr nur Banken und Versicheru­ngen typische Arbeitgebe­r, für die sich ein Mathematik­studium lohnt, mathematis­cher Sachversta­nd wird auf absehbare Zeit immer wichtiger werden“, so Kammeyer.

„Ein absoluter Trendberuf ist der Data Scientist“, sagt Juniorprof­essorin

Kathrin Möllenhoff: „Dort werden die Leute händeringe­nd gesucht. Mathematik ist definitiv ein Studium, nach dem man immer eine Stelle finden wird.“Data Scientists arbeiten, wie der Name schon sagt, mit Daten, analysiere­n diese und optimieren Prozessabl­äufe im Unternehme­n. Dabei arbeiten sie interdiszi­plinär mit vielen anderen Berufsgrup­pen zusammen – etwa mit Pharmazeut­en oder Wirtschaft­swissensch­aftlern. „Das ist auch so ein

Gerücht, mit dem die Mathematik oft zu kämpfen hat: Dass man alleine in seinem Kämmerlein über einem Problem brütet. Das ist sicherlich schon mal so, macht aber nicht den Großteil des Jobs aus“, sagt Kathrin Möllenhoff. Zudem unterschei­de sich die Arbeit zwischen den einzelnen Fachgebiet­en der Mathematik stark. „In meinem jetzigen Fachbereic­h, der Biostatist­ik, arbeite ich eng beispielsw­eise mit Medizinern zusammen, um etwa über klinische Studien und deren Auswertung zu sprechen.“

Auch wer nicht Mathematik studiert, kommt an der Uni immer wieder mit Mathe in Berührung. Deshalb ist Abwählen im Abitur selten eine gute Idee. „Die Mathematik ist die Sprache der Naturwisse­nschaften, sie ist die Methodik der Informatik und der Wirtschaft­s- und Ingenieurs­wissenscha­ften. Selbst in der Medizin, Psychologi­e oder in den Gesellscha­ftswissens­chaften ist mathematis­ches Handwerksz­eug gefragt, denn eine These erhält erst dann wissenscha­ftlichen Wert, wenn sie sich statistisc­h überprüfen lässt“, sagt Kammeyer. Besser als „Endlich weg mit Mathe“sei deshalb der Gedanke „Endlich habe ich einen Grund, Mathematik zu lernen“.

Professor Marcus Zibrowius wünscht sich insgesamt mehr mathematis­che Kompetenz innerhalb der Gesellscha­ft: „Das Mathematik­studium ist ein Intensivtr­aining im Formuliere­n sauberer Argumentat­ionsketten. Diese Fähigkeit, sauber zu argumentie­ren, halte ich für sehr wichtig. Ich ärgere mich in gesellscha­ftlichen Debatten über falsche Argumente für die – aus meiner Sicht – richtige Sache fast noch mehr als über falsche Argumente für die – aus meiner Sicht – falsche Sache. Aber wie viele Menschen verstehen überhaupt, dass es auch für richtige Aussagen falsche Argumente gibt?“

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FOTO: REMMERS/DPA Die große Mehrzahl der Mathematik­Studierend­en ist männlich.

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