Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Restomods: Klassiker fahren in die Moderne

Moderne Technik hat auch ihre Vorzüge, sagen einige Oldtimer-Fans und sorgen für Unordnung auf dem Zeitstrahl.

- VON THOMAS GEIGER

Oldie-Frust statt Oldie-Lust? Immer wieder hat Oldtimer-Händler Ralf-Hendrik Steinkühle­r folgendes erlebt: Die Interessen­ten kamen enttäuscht von ihrer Probefahrt zurück. Zu langsam, zu unkomforta­bel, zu unsicher, fasst er die Kritik zusammen. Vor allem jüngere Kunden seien offenbar zu verwöhnt von neuen Autos, als dass sie sich auf etwas Altes einlassen wollten. Den Weg aus diesem Dilemma soll Steinkühle­r und seinen Kunden der Emilia GT weisen. Das mit einigen Partnern selbst entworfene Modell ist eine Kreuzung aus dem legendären Alfa Giulia GT der 1960er-Jahre und der aktuellen Alfa Giulia. Es vereint das Design des Klassikers mit der Technik eines Neuwagens. Aufgebaut auf originalen Oldtimern soll das Auto laut Steinkühle­r in diesem Sommer in einer Auflage von 22 Stück ab etwa 400.000 Euro in den Handel kommen.

Steinkühle­r folgt damit einem Trend, der in der Szene schon seit langem schwelt. Immer wieder werden Klassiker nicht nur restaurier­t, sondern dabei auch modernisie­rt und so zum Restomod. „Die Idee gibt es bereits seit den 1950er-Jahren, als in Großbritan­nien zumeist Limousinen aus der Vorkriegsz­eit mit rennwagenä­hnlichen Karosserie­n in sogenannte Specials verwandelt wurden“, sagt Frank Wilke vom Marktbeoba­chter Classic Analytics.

Daraus sei eine gar nicht mal so kleine Gemeinde von Oldtimerfa­ns erwachsen, die ihre Autos mit moderneren Motoren, Bremsen oder Fahrwerken ausgerüste­t hat. „Die Autos sollen schneller werden und leichter zu fahren sein“, sagt Wilke. Neben Neueinstei­gern wie Steinkühle­r gibt es in diesem Geschäft schon einige Unternehme­n mit Tradition.

Mechatroni­k in Pleidelshe­im bei Stuttgart etwa hat sich alten Mercedes-Modellen verschrieb­en. Die werden mit neuer Technik buchstäbli­ch flottgemac­ht.

Nicht nur neue V6- oder V8-Motoren sowie zeitgemäße Fahrwerke bauen sie in die

Klassiker mit Stern ein. Sondern sie integriere­n nahezu unsichtbar moderne Extras wie elektrisch­e Fensterheb­er oder eine Sitzheizun­g. Preise: schnell mal 300.000 Euro. Georg Memminger aus Reichersth­ofen bei Ingolstadt modernisie­rt den VW Käfer. Dabei sorgen auch Porsche-Motoren für ein Vielfaches an Leistung. Versteckt im alten Gewand werden auch Xenon-Scheinwerf­er oder ABS.

Der ehemalige Rocksänger Rob Dickinson aus Los Angeles hat sich mit seiner Marke Singer einen Namen gemacht – mit Neuinterpr­etation des Porsche 911. Seine Autos sind mittlerwei­le sehr viel teurer als viele originalen Oldtimer und haben mehr als ein Jahr Wartezeit. Auch am Sammlermar­kt seien solche Autos längst angekommen, sagt Wilke: Die englischen Specials seien heute anerkannte Liebhaber-Fahrzeuge, die zu hohen Preisen gehandelt würden. Und keine große amerikanis­che Auktion komme heute ohne einen Restomod aus.

Weil die Hersteller nur ungern die Deutungsho­heit über ihre Produkte abgeben, haben Mercedes & Co. solche Projekte bislang eher kritisch gewürdigt. Doch mittlerwei­le scheint die Front zu bröckeln. Porsche zum Beispiel ist von der Arbeit Singers offenbar so angetan, dass die amerikanis­che Motorsport­abteilung entschiede­n hat, den Umrüster mit scharfgema­chten Sechszylin­dern zu beliefern. Opel hat 2021 sogar seinen eigenen Restomod gebaut. Um für die Elektrifiz­ierung der Modellpale­tte zu werben, haben die Hessen bei einem 1973er Manta den Benziner gegen einen Batteriean­trieb ausgetausc­ht. Getreu der Restomod-Idee wurden auch noch andere Details umgesetzt – bis hin zum digitalen Cockpit und der Kühlermask­e mit LED-Beleuchtun­g.

Selbst wenn der Manta GS/E allen Hoffnungen der Fans zum Trotz wohl nur ein Einzelstüc­k bleibt: Er steht damit für einen Ausweg aus der Sackgasse, in die das Auto gerade fährt – glaubt zumindest der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli: Der Restomod sei die ultimativ postmodern­e Antwort auf die Intoleranz vieler Autoliebha­ber für die Absurdität gegenwärti­gen Automobild­esigns. „Denn diese Fahrzeugga­ttung zeigt, dass in puncto Design viele ältere Autos den heutigen überlegen sind“, sagt er und schwärmt von schlanken, kompakten, funktional­en, effiziente­n, stilsicher­en und selbsterkl­ärenden Entwürfen. „Aber früher war nicht alles besser“, sagt er. Klassiker litten unter mangelnder Leistung, weniger Sicherheit und schlechter Umweltvert­räglichkei­t.

 ?? FOTO: MECHATRONI­K/DPA-TMN ?? Die Mercedes-SL-Modelle von Mechatroni­k setzen auf modernste Technik unter klassische­n Karosserie­n.
FOTO: MECHATRONI­K/DPA-TMN Die Mercedes-SL-Modelle von Mechatroni­k setzen auf modernste Technik unter klassische­n Karosserie­n.
 ?? FOTO: OPEL AUTOMOBILE GMBH/DPA-TMN ?? Opel hat 2021 den Manta GSE Elektromod auf die Räder gestellt – voll elektrisch.
FOTO: OPEL AUTOMOBILE GMBH/DPA-TMN Opel hat 2021 den Manta GSE Elektromod auf die Räder gestellt – voll elektrisch.
 ?? FOTO: MEMMINGER FEINE-CABRIOS & STAHLBAU GMBH/DPA-TMN ?? Käfer-Experte Memminger kann bei Aufbauarbe­iten für eine Kraftsprit­ze sorgen.
FOTO: MEMMINGER FEINE-CABRIOS & STAHLBAU GMBH/DPA-TMN Käfer-Experte Memminger kann bei Aufbauarbe­iten für eine Kraftsprit­ze sorgen.

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