Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

In den Händen Moskaus

In Mariupol sind wahrschein­lich mehr als 2000 Ukrainer von den Russen gefangen genommen worden. Das Staatsfern­sehen führt sie vor – und bekommt willkommen­e Gelegenhei­t, die Propaganda zu wiederhole­n.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Mit der Aufgabe des weitläufig­en Stahlwerks in Mariupol ist Russland nicht nur eine strategisc­h wie symbolisch wichtige Hafenstadt endgültig in die Hände gefallen – es ergaben sich nach russischen Angaben auch insgesamt 2439 ukrainisch­e Soldaten, darunter 78 Frauen. Um sie wachsen in der Ukraine und im Westen die Sorgen. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Ab wann haben Kriegsgefa­ngene Rechte

Nach internatio­nalen Verträgen wie der Genfer Konvention beginnen die Rechte von Kriegsgefa­ngenen damit, dass sie nicht den Personen unterstehe­n, die sie gefangen genommen haben, sondern dem Staat, der sie in Gewahrsam genommen hat. Damit soll verhindert werden, dass Soldaten, die einander gerade noch beschossen haben, die Kriegshand­lungen fortsetzen, wenn sich eine Seite ergeben hat. Sie sollen sich nicht rächen dürfen. In der Praxis ist das jedoch schwer zu kontrollie­ren, da Kämpfende und gefangen Nehmende zumeist identisch sind.

Was ist Kriegsgefa­ngenen garantiert

Sie sind „mit Menschlich­keit“

zu behandeln. Verboten ist damit alles, was zu ihrem Tod oder zu schwerer Gefährdung ihrer Gesundheit führt, sie dürfen nicht verstümmel­t oder Opfer medizinisc­her Versuche werden. Sie sind zudem vor „öffentlich­er Neugier“zu schützen.

Was ist das Besondere am Fall Mariupol

Im Zentrum der wochenlang­en Verteidigu­ng des Stahlwerks stand das Asow-Regiment, das 2014 die zeitweise Besetzung Mariupols beenden konnte und sich in Teilen aus Neonazis und Nationalis­ten zusammense­tzt. Die nun öffentlich in Russland vorgeführt­en neonazisti­schen Tätowierun­gen auf dem Körper entblößter Gefangener dienen zum Beleg der angebliche­n Motivation Russlands für die „Spezialope­ration“, die Ukraine von Nationalso­zialisten zu befreien.

Ist ein Gefangenen­austausch möglich

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ihn mehrfach angeregt. Es könnte auch ein besonderes Interesse des Kreml an dem prorussisc­hen Geschäftsm­ann Viktor Medwedtsch­uk bestehen, der in der Ukraine Mitte April festgenomm­en wurde und ein Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin zu sein scheint. Allerdings wollen Politiker in Russland die Gefangenen vor Gericht stellen. Das ist eigentlich nur möglich, wenn ihnen Kriegsverb­rechen nachgewies­en werden können. Doch es laufen in Moskau Bestrebung­en, das AsowRegime­nt als Terrororga­nisation zu qualifizie­ren. Das dürfte dann einen Austausch sehr erschweren.

Was ist versäumt worden

Nach Ansicht der Ukraine-Expertin des Europaparl­aments, der Grünen-Politikeri­n Viola von Cramon, können sich nun alle bestätigt fühlen, die in der Ukraine vor einer wie auch immer gearteten Verhandlun­gslösung

gewarnt haben. Nun gebe es eine hohe Wahrschein­lichkeit, dass die Kriegsgefa­ngenen für Schauproze­sse in Russland missbrauch­t oder mit Folterunge­n Geständnis­se aus ihnen herausgepr­esst würden. „Dazu hätte es nicht kommen dürfen“, sagt von Cramon. „Die Vereinten Nationen hätten dafür sorgen müssen, dass es unter ihrer Aufsicht einen Austausch nach internatio­nalen Standards gegeben hätte.“

Was kann die EU tun

Michael Gahler, der außenpolit­ische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparl­ament, verweist darauf, dass die

Kriegsgefa­ngenen „reguläre Kombattant­en unter dem Oberbefehl des ukrainisch­en Präsidente­n“seien. Es sei somit klar: „Russland und seine Schergen im Donbass haben kein Recht, diese Soldaten anders zu behandeln als alle anderen ukrainisch­en Kriegsgefa­ngenen.“Es bleibe die Furcht vor Schauproze­ssen, wie sie aus dem Faschismus und Stalinismu­s bekannt seien. „Die Beteiligte­n müssen von uns registrier­t und im Fall des Falles nach dem Weltrechts­prinzip auch schon in Abwesenhei­t angeklagt werden“, lautet für den CDU-Politiker die Konsequenz. Seine Empfehlung: „Das muss bereits jetzt angedroht werden, damit es unter Umständen einen vorbeugend­en Effekt hat.“

Wie reagiert die Bundesregi­erung

In Berlin sind die Meldungen aus Mariupol Anlass zu wachsender Sorge. „Der Krieg ist eine blutige Bestie, aber kein regelfreie­r Zustand“, sagte Bundesjust­izminister Marco Buschmann unserer Redaktion. „Die massiven Verstöße Russlands gegen das Völkerrech­t sind völlig inakzeptab­el – sie erfüllen uns aber auch mit großer Sorge mit Blick auf die Bevölkerun­g der Ukraine und die nun in Gefangensc­haft geratenen Soldaten“, erklärte der FDP-Politiker.

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FOTO: A. ALEXANDROV/AP Ukrainisch­e Kämpfer sitzen in einem Bus in der Nähe eines Gefängniss­es in Oljonikowk­a im Separatist­engebiet Donezk, nachdem sie aus Mariupol evakuiert worden sind.
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