Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wir ertragen es nicht, länger zu warten
KÖLN Wir haben eine schlaflose Nacht hinter uns. Getrennt. Mein Mann in der Kölner Uniklinik, ich zu Hause. Einen Tag zuvor habe ich ihn ins Krankenhaus gebracht. Er soll wegen eines Aneurysmas an der Bauchschlagader operiert werden. Die Ausbuchtung der Hauptschlagaderwand ist inzwischen so groß, dass eine offene OP unumgänglich ist.
Es ist ein großer Eingriff – das ist uns beiden klar. Mit verschiedenen Ärzten haben wir die Vorund Nachteile abgewogen. Doch es gibt das Risiko, dass das Aneurysma reißen könnte. Und die Überlebenschancen in einem solchen Fall sind gering.
Es ist 6 Uhr am Mittwochmorgen, als wir kurz telefonieren. Seit
Wochen blicken wir der OP sorgenvoll entgegen, sprechen uns mehr oder weniger unbeholfen Mut zu. So auch jetzt. Eineinhalb Stunden vor der geplanten OP wissen wir beide: Nun bleibt nur noch zu hoffen – dass die Ärzte einen exzellenten Job machen und dass Gott es gut mit uns meint.
Mein Mann ist eine halbe Stunde zuvor geweckt worden aus einem unruhigen Dösen. Er hat geduscht und beschreibt am Telefon das schicke
OP-Hemd und die NetzUnterhose. Unser Lachen ist nervös, unser Bangen vor der OP groß. Doch noch größer ist in diesem Moment die Sorge, dass der Eingriff kurzfristig abgesagt werden könnte, weil an der Uniklinik Köln gestreikt wird. Der Chefarzt hatte uns einige Tage zuvor gewarnt. Doch jetzt sieht es so aus, als würde die übliche Routine erfolgen. Trotz immenser Sorgen sind wir erleichtert.
Um kurz nach 7 Uhr schickt mein Mann noch die Nachricht, dass wohl alles wie geplant ablaufen würde. Während ich meiner Morgen-Routine nachgehe, stelle ich mir vor, wie er um 7.30 Uhr abgeholt, dann in künstlichen Schlaf versetzt und irgendwann sein Bauchraum geöffnet wird. Es sind keine schönen Gedanken. Doch viel furchtbarer wird es um 8.31 Uhr. auch seine Klinik stelle es vor Herausforderungen, berichtet der Klinikleiter weiter. Doch er lässt auch Verständnis für die Streikenden durchblicken: „Das ist nun mal der Sinn von Streiks. Sie sollen wehtun.“
Wie sehr sie wehtun, erfahren wir nun erstmals selbst. So lange haben wir die Ängste vor dieser OP mit uns herumgetragen, so tapfer – vor allem mein Mann – uns ihnen gestellt. Und jetzt das: Die OP wird auf zunächst unbestimmte Zeit verschoben.
Nach dem Entsetzen folgt der Zorn auf die Streikenden. Wie können die nur so rücksichtslos sein? Wissen die nicht, was das mit den Patienten und deren Familien macht? Meine Gedanken überschlagen sich. Es braucht lange, bis ich mich beruhigt habe. Inzwischen bin ich nach
Köln gefahren, habe meinen Mann nach Hause geholt. Wir versuchen, Lösungen zu finden. Gemeinsam mit der Klinik wird ein neuer Termin festgelegt, auf einen Tag nach Christi Himmelfahrt. Ob auch diese Planungen haltlos sind, weiß niemand, nicht einmal der Klinikleiter. Verwandte, Freunde, Kollegen erkundigen sich. Allen erzählen wir dasselbe, alle reagieren gleich: Wie furchtbar, wie entsetzlich! Es tut gut, sich darüber auszutauschen. Denn wir wissen: Erneut müssen wir uns in den nächsten Tagen unseren Ängsten stellen. Und zudem wie die Einsiedler leben: Denn eine CoronaInfektion müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Da Covid die Blutgerinnung beeinträchtigt, sollte eine OP – insbesondere eine so blutige – frühestens sechs Wochen später erfolgen. Nochmals zu warten, das ertragen wir nicht.
Am Abend ist der Zorn verraucht. Traurigkeit und Fassungslosigkeit bleiben. Und die Erkenntnis reift: Wir haben einen Super-Gau in der Pflege. Und niemand findet Lösungen. Dabei ist doch längst klar: Pflegekräfte sind am Limit. Es droht kein Pflegenotstand – er ist längst da. Doch niemand hat es bislang geschafft, das Steuer herumzureißen. Und dann kam auch noch Corona. Noch zu Beginn der Pandemie wurden die Pflegekräfte beklatscht, inzwischen nimmt sie wieder kaum jemand wahr.
Nur wenige wissen, dass die Pflegekräfte mit ihrer Forderung nach einem „Tarifvertrag Entlastung“nicht für mehr Geld, sondern etwa für eine verbindlich festgeschriebene Mindestzahl beim Personal streiken. Welch eine Ohnmacht wird da offenbar! Es wird Zeit, dass wir kapieren: Es nützt nichts, die tollsten Ärzte, die meisten Zertifizierungen, die beste Technik zu haben. Ohne Pflegekräfte ist das alles nichts wert. Sogar auf Arbeitgeberseite scheint das längst angekommen zu sein. Wie in Köln. Auf der Homepage heißt es: „Die Uniklinik Köln hat Verständnis für den Wunsch der Beschäftigten nach verbesserten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.“