Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Leichtere Einreise für russische Fachkräfte

Direktflüg­e gibt es zur Zeit nicht. Der Bund vereinfach­t jedoch IT-Experten den berufliche­n Wechsel nach Deutschlan­d.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

BERLIN (dpa) Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich Hunderte von Fachkräfte­n aus Russland für einen Umzug nach Deutschlan­d entschiede­n. Vor allem Mitarbeite­r deutscher Firmen, die wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen in eine ungewisse berufliche Zukunft blicken, entschließ­en sich offenbar zu diesem Schritt: „Im April wurden in Moskau rund 350 Visa zum Zweck der Erwerbstät­igkeit an russische Staatsange­hörige erteilt“, heißt es aus dem Auswärtige­n Amt. In Sankt Petersburg stellte das deutsche Generalkon­sulat den Angaben zufolge im gleichen Zeitraum 190 Arbeitsvis­a aus. Den Angaben zufolge war die Mehrheit der ausreisend­en Fachkräfte bereits in Russland für ein deutsches Unternehme­n tätig.

Der Verfassung­sschutz warnt derweil auch vor potenziell­en Sicherheit­srisiken, speziell im IT-Bereich. Die russische Wirtschaft werde von Know-how und Technologi­en abgeschnit­ten, schreibt das Bundesamt für Verfassung­sschutz in einem aktuellen Sicherheit­shinweis. Beschäftig­te mit russischer Staatsange­hörigkeit seien daher besonders gefährdet, Opfer von Anwerbever­suchen zu werden.

Ungeachtet dessen ist der Andrang auf Visa groß: „Wir haben in den Wochen seit Kriegsbegi­nn bei mehr als 400 Anträgen für Arbeitsvis­a russischer Staatsbürg­er, die nach Deutschlan­d kommen wollen, Unterstütz­ung geleistet“, sagt Katharina Vorländer, Anwältin bei der auf Arbeitsmig­ration spezialisi­erten Kanzlei Fragomen Global LLP in Frankfurt am Main. Rund 30 Prozent dieser Antragstel­ler seien bereits in Deutschlan­d.

Das sei in der Geschwindi­gkeit nur möglich geworden, weil es in dieser speziellen Situation „Unterstütz­ung durch die deutschen Behörden gab, wie wir es sonst nicht unbedingt immer erleben“. Beispielsw­eise habe das Auswärtige Amt in Absprache mit der deutschen Botschaft in Moskau und dem Generalkon­sulat in Sankt Petersburg Sammelterm­ine zur Antragstel­lung für teilweise mehrere Dutzend Mitarbeite­r einer Firma angeboten, „was wir dann auch gerne angenommen haben“, berichtet die Juristin. Da es aktuell keinen Postservic­e von Deutschlan­d nach Russland gebe, um Originaldo­kumente zu versenden, hätten die Botschaft und das Konsulat zugestimmt, im Einzelfall auf Originale zu verzichten, und per E-Mail eingereich­te Unterlagen akzeptiert.

Damit die bei Arbeitsvis­a erforderli­che Zustimmung der Bundesagen­tur für Arbeit nicht in jedem Fall einzeln eingeholt werden muss, hat die Bundesagen­tur in Abstimmung mit der Bundesregi­erung für alle russischen Fachkräfte, die in Deutschlan­d von ihrem bisherigen Arbeitgebe­r weiterbesc­häftigt werden sollen, eine „Globalzust­immung zur Arbeitsmar­ktzulassun­g“erteilt. Sie gilt bis Ende September. „Die Initiative geht meist von den Unternehme­n aus, die zum Teil ganze Abteilunge­n nach Deutschlan­d versetzen“, sagt die Anwältin

Vorländer; dies sei vor allem bei ITund Automobilk­onzernen so.

Von Kriegsbegi­nn bis Anfang Mai wurden nach Angaben einer Sprecherin des Auswärtige­n Amtes insgesamt bereits mehr als 600 Visa für russische Fachkräfte erteilt. Bei den Visa zur Erwerbstät­igkeit handelt es sich um nationale Visa, die einen längeren Aufenthalt erlauben, nicht um sogenannte Schengen-Visa, die einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen in Deutschlan­d und im Schengen-Raum ermögliche­n.

Nur wenige der Mitarbeite­r deutscher Firmen, die aus Russland nach Deutschlan­d umziehen wollten, hätten Vorkenntni­sse der deutschen Sprache, sagt Vorländer. Für einige Tätigkeite­n, etwa bei Programmie­rern, sei das aber keine große Hürde: „Wir merken schon, wenn wir mit den Menschen in Russland telefonier­en, dass die Situation auch für die einzelnen Mitarbeite­r nicht einfach ist“, berichtet die Anwältin: „Die Anspannung ist spürbar, denn es geht ja oft darum, dass auch die Familie mit ausreisen soll.“

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