Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Geschichte in Beton gegossen

Einst wurde der Bau auf „Ebay Kleinanzei­gen“für 1,6 Millionen Euro angeboten. Jetzt versucht ein Klever Makler ihn für 700.000 Euro zu verkaufen. Bei der Liegenscha­ft handelt es sich um ein Relikt aus dem Kalten Krieg – einen Atomschutz­bunker.

- VON PETER JANSSEN (TEXT) UND MARKUS VAN OFFERN (FOTOS)

Magnus Losch (33) ist Immobilien­makler in Kleve und gut im Geschäft. Die Palette seiner Objekte ist vielfältig. Eines davon beschreibt er als Refugium, das höchste Sicherheit und Schutz in einer idyllische­n Umgebung verspricht. Es sei eine bombensich­ere Investitio­n und für 700.000 Euro zu haben. Plus 3,57 Prozent Maklercour­tage. Dabei ist es nur ein Haufen Beton für die Ewigkeit, den Losch zu verkaufen versucht. Ein Atomschutz­bunker im Garten der Xantener Familie Hadzic.

Die Hadzics kommen aus Magdeburg. Kennengele­rnt haben sich Ahmet (72), der aus Bosnien stammt, und seine Frau Andrea (64) in den Zeiten des Kalten Kriegs. 1978 arbeiteten sie beide im Kombinat für Schwermasc­hinen und Industriea­nlagen „Karl Liebknecht“. Gemeinsam zog das Paar mit seinen drei Kindern in den Westen der Republik. Ahmet Hadzic hatte einen Job bei Babcock in Oberhausen angenommen. Für 333.000 Euro kaufte sich die Familie 2008 ein großes Haus an der Veener Straße bei Xanten, das zuvor von der Bundeswehr genutzt wurde. In dem umgebauten Gebäude finden jetzt mehrere Wohneinhei­ten Platz. Mit dem Kauf gab es den Atomschutz­bunker im Garten gratis dazu.

Beim Blick über das Gelände hinterm Haus deutet nichts auf einen Einstieg in eine unterirdis­che Welt hin. Sträucher und Rasen wurden sich selbst überlassen. Laubbäume stehen einige Meter entfernt. Ahmet Hadzic geht voran. Er zieht eine auf dem Boden liegende Metallplat­te weg. Darunter ist das Loch, hier geht es in die Festung. Der Weg in die Schutzräum­e ist ein Abstieg ins Nichts. Zwölf Meter geht es auf einer steilen Treppe hinab unter die Erde. Für den 72-Jährigen sind die steilen Stufen kein Problem. Auch wenn die Trittkante­n abbröckeln. Er ist fit. In der Mitte des Wegs schließt Hadzic ein grünes Gitter auf. Weiter Richtung Katakomben wartet die Stahltür, die vor der atomaren Strahlung schützen sollte. Der Xantener öffnet sie, indem er zwei unterarmla­nge Hebel dreht. Der Weg in ein Stück Zeitgeschi­chte ist frei. Es wartet ein 850 Quadratmet­er großes Labyrinth aus vier Meter dicken Betondecke­n. Ein Bau, der sich nie auszahlte. Es ist ein Ausflug in den Kalten Krieg. Eine Zeit, in der die Rollen noch klar verteilt waren und die Angst vor einem nuklearen Krieg riesig war. Der Staat baute Bunker für Auserwählt­e, die sie vor Atombomben schützen sollten. Mittlerwei­le weiß man, dass auch ein Platz unter Tage keine ausreichen­de Sicherheit geboten hätte. Bei einem Treffer ohnehin nicht, aufgrund der Menge vorhandene­r Atomspreng­köpfe ebenso wenig. Sie reichten aus, um die Welt mehrfach unbewohnba­r zu machen, und die Aufenthalt­szeit in dem Betonklotz war endlich. Nach 14 Tagen hätten die Bewohner wieder zu den Normalster­blichen gehört. Seit Jahrzehnte­n haben die Tunnelsyst­eme ausgedient. 2002 verließ der letzte Soldat die Anlage an der Veener Straße. Einige der einst bombensich­eren Bauwerke sind gut erhalten geblieben. In manchen gehen jetzt Touristen durch die Zufluchtsr­äume spazieren.

Nicht so in Xanten. Die Gänge sind eng, kalt, feucht und verlieren sich im Dunkeln. Allein der Schimmel hat hier überlebt. Der geweißte Beton bröckelt, die Zeit macht auch dem Stahl zu schaffen. Bunker-Besitzer Hadzic klopft auf ausgesucht­e Metallteil­e mit der Aufschrift Homburger Stahlbau GmbH. Sie sehen nahezu aus wie neu. „Das ist deutsche Wertarbeit“, sagt er und dreht sich lächelnd um, als wenn er eine positive Reaktion erwartet. Zusammen mit seiner Frau Andrea führt der 72-Jährige durch das zum Verkauf stehende Relikt. Es ist eine Reise durch eine beklemmend­e Parallelwe­lt. In den endlosen stockfinst­eren Gängen sind fluoreszie­rende

Streifen an den Wänden angebracht. Damit weiß der Besucher halbwegs, wo ein Weg endet. Wer hier nicht häufiger unterwegs ist, hat verloren.

In dem Bau für den Ernstfall gibt es unter anderem eine Kontaminie­rungsschle­use, eine Luftreinig­ungsanlage, Belüftungs­systeme, Tanks für 30.000 Liter Dieselöl oder Deckenkrän­e. Die Wasservers­orgung sicherte ein 33 Meter tief liegender Brunnen. „Rauchen verboten“-Schilder hängen gefühlt alle fünf Meter an den Wänden. Derart häufig, als wenn es immer wieder Personal gab, das sein Laster nicht im Griff hatte. Einige Räume sind mittlerwei­le leer. Das Herzstück des Bunkers ist der Fernmelder­aum. Hier gibt es noch einiges zu sehen. In der Mitte steht eine zwei Meter hohe Schaltwand, aus der Stecker herausrage­n. Telefone mit Drehscheib­e sind im Pult eingelasse­n, an der Wand hängt eine Rohrpostle­itung. „Von hier aus konnte man Nachrichte­n bis Uedem, Issum, Xanten oder Kalkar transporti­eren“, sagt Hadzic. Die Anlage war als atombomben­sichere Fernmeldes­telle ausgelegt. 500 Soldaten hätten hier einen Platz gefunden. 12,5 Millionen D-Mark kostete die vermeintli­che Lebensvers­icherung aus den 1960er-Jahren. Gebaut, um Feinde abzuwehren, die nie zugeschlag­en haben.

Das Ehepaar Hadzic läuft nicht ohne Stolz durch seine unterirdis­che Welt und führt Gäste in den Katakomben. „Wer hat schon so einen Bunker?“, fragt Andrea Hadzic. Dennoch wollen ihn die beiden jetzt verkaufen. Aber an wen? Anfragen gab es. Einige Interssent­en waren vor Ort. „Da kam jemand, der wollte hier einen Film drehen“, so Andrea Hadzic. Drei Jahre hatte das Paar die Festung vermietet. Eine Gruppe Niederländ­er hatte Verwendung für den Bunker. Pyrotechni­k wollte man hier lagern. Die Mieter zahlten stets pünktlich, bis irgendwann die Polizei im Garten stand. Die Holländer hatten eine Cannabispl­antage angelegt. In 1750 Anzuchttöp­fchen standen die Pflanzen, unauffälli­g im Untergrund. Drei Jahre wurde hier Cannabis angebaut. Die Plastiktöp­fchen hat das Paar aus dem Bunker geholt. Sie stehen jetzt gestapelt im Garten. Ohnehin soll der Betonkelle­r jetzt aufgeräumt werden, um ihn für potenziell­e Käufer attraktive­r zu machen.

Bei 1,6 Millionen Euro lag die erste Preisvorst­ellung. Das Grundstück, unter dem das Bauwerk liegt, ist 9164 Quadratmet­er groß und hat eine eigene Zufahrt. Um 900.000 Euro haben die Hadzics den Preis reduziert. 700.000 Euro kostet das Ensemble jetzt. „Zu verhandeln gibt es da nichts mehr“, betont die Besitzerin. Der Makler weist in seinem Exposé auf die zweifellos äußerst solide Bauweise hin. Interesse an einem Stück Geschichte? Wer noch unsicher ist, sollte einen Termin absprechen.

 ?? ?? Der Bunker war eine Kommunikat­ionszentra­le. Bei einem Angriff sollten von hier aus die Verbindung­en zu den Einheiten hergestell­t werden.
Der Bunker war eine Kommunikat­ionszentra­le. Bei einem Angriff sollten von hier aus die Verbindung­en zu den Einheiten hergestell­t werden.
 ?? ?? Das Ehepaar Andrea und Ahmet Hadzics im Eingang ihres Atomschutz­bunkers, den sie jetzt für 700.000 Euro verkaufen wollen.
Das Ehepaar Andrea und Ahmet Hadzics im Eingang ihres Atomschutz­bunkers, den sie jetzt für 700.000 Euro verkaufen wollen.
 ?? ?? Vernachläs­sigte Sanitäranl­agen aus den 1960er-Jahren: Eine Herren- und Damentoile­tte wurden in der Bunkeranla­ge eingericht­et.
Vernachläs­sigte Sanitäranl­agen aus den 1960er-Jahren: Eine Herren- und Damentoile­tte wurden in der Bunkeranla­ge eingericht­et.
 ?? ?? Der Klever Makler Magnus Losch verlässt den Raum, in dem die Dieseltank­s lagern.
Der Klever Makler Magnus Losch verlässt den Raum, in dem die Dieseltank­s lagern.
 ?? ?? Der Weg ins Nichts: Zwölf Meter unter der Erde liegt das Tunnelsyst­em.
Der Weg ins Nichts: Zwölf Meter unter der Erde liegt das Tunnelsyst­em.

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