Rheinische Post Hilden

Abschiebe-Eklat in NRW

- VON THOMAS REISENER

Das SPD-geführte Innenminis­terium beteiligt sich an einer Sammel-Abschiebun­g von Afghanen. Die Grünen sind entsetzt. Ihre flüchtling­spolitisch­e Sprecherin Monika Düker tritt aus Protest zurück.

DÜSSELDORF Paukenschl­ag im Landtag: Mit der Beteiligun­g des Landes an einer bundesweit­en Sammelabsc­hiebung afghanisch­er Flüchtling­e hat NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) den bislang schwersten Streit innerhalb der rotgrünen Regierungs­koalition ausgelöst. Monika Düker, seit 16 Jahren flüchtling­spolitisch­e Sprecherin der Grünen in Nordrhein-Westfalen, trat aus Protest zurück.

„In meiner Funktion als flüchtling­spolitisch­e Sprecherin meiner Fraktion kann ich diese Entscheidu­ng der Landesregi­erung nicht mittragen. Ich gebe diese Sprecherfu­nktion mit sofortiger Wirkung ab“, sagte Düker gestern. Es könne nicht gewährleis­tet werden, dass rückgeführ­te Personen in Afghanista­n sicher seien. „Daher sind die Rückführun­gen nach Afghanista­n derzeit menschenre­chtlich nicht verantwort­bar“, begründete Düker. Ihr Landtagsma­ndat sei von dem Rücktritt als Sprecherin aber nicht betroffen.

Die Bundesregi­erung begann gestern mit der systematis­chen Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er aus Afghanista­n. Ein erster Charterflu­g mit 50 Afghanen startete gestern Abend von Frankfurt nach Kabul. Auch in anderen Bundesländ­ern und auf Bundeseben­e protestier­ten die Grünen dagegen. In Frankfurt kam es zu einer Demonstrat­ion. Das NRW-Innenmi- nisterium bestätigte, dass NRW an der Aktion beteiligt sei. Details sollten aber erst „nach Abschluss der Maßnahme“bekanntgeg­eben werden, so ein Sprecher. Abschiebun­gen von Asylbewerb­ern nach Afghanista­n waren wegen der dort weiter aktiven radikal-islamische­r Taliban bislang unüblich und betrafen in der Regel nur Straftäter. Abgelehnte afghanisch­e Asylbewerb­er wurden in Deutschlan­d dagegen aus humanitäre­n Gründen meist geduldet.

In NRW leben 9000 Afghanen mit Aufenthalt­sgenehmigu­ng, weitere 1329 werden geduldet, und rund 17.000 warten noch auf ihr Asylverfah­ren. Zuletzt wurde etwa jedes zweite Asylgesuch abgelehnt. Die Frage nach der Anzahl der abgeschobe­nen Afghanen beantworte­te das Innenminis­terium zunächst nicht. Einer späteren Informatio­n zufolge waren es in diesem Jahr bislang drei. 2015 wurde gar kein Afghane aus NRW abgeschobe­n.

Jäger hatte die sogenannte restriktiv­e Abschiebep­raxis, die Abschiebun­gen nach Afghanista­n nur in Ausnahmen vorsah, stets vertei- digt. „Wir können die restriktiv­e Abschiebep­olitik nur lockern, wenn die Bundesregi­erung garantiere­n kann, dass den Betroffene­n keine Gefahren für Leib oder Leben drohen“, war eine gängige Sprachrege­lung des Ministeriu­ms. Auf der Innenminis­terkonfere­nz vertrat Jäger noch unlängst diese Linie. Sein Sprecher räumte ein, dass es Garantien immer noch nicht gebe. Aber die aktuellen Abschiebun­gen seien aus Sicht des Ministeriu­ms auch keine Fälle, die von der „restriktiv­en Praxis“abwichen. Es seien weder Frauen noch Kinder betroffen. Offenbar hatte NRW 13 Afghanen für die Sammelabsc­hiebung per Charterf lug angemeldet. Schließlic­h wurden in Frankfurt aber nur zehn für den Flug registrier­t. Unter ihnen sollen nur zwei Straftäter sein.

Unterdesse­n stoppte das Bundesverf­assungsger­icht die von Frankfurt aus geplante Abschiebun­g eines Afghanen zunächst. Die Frage, ob Abschiebun­gen nach Afghanista­n derzeit vertretbar sind, ließ das Gericht dabei aber ausdrückli­ch offen.

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