Rheinische Post Hilden

Länder bleiben bei Sammelabsc­hiebung

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Während SPD und Grüne die Sammelabsc­hiebung von Afghanen auf Bundeseben­e scharf kritisiere­n, wollen die Länder weiterhin diese Möglichkei­t nutzen. Nur so können sie die Abschiebez­ahlen deutlich erhöhen.

BERLIN Die erste Sammelabsc­hiebung ausreisepf­lichtiger Flüchtling­e nach Afghanista­n hat den Umgang mit Migranten ohne Bleibepers­pektive erneut in den Mittelpunk­t gerückt. Worum geht es? Die wichtigste­n Antworten: Können Menschen mit geringer Bleibepers­pektive sofort abgeschobe­n werden? Nein, das geht nur ganz am Ende eines Verfahrens, in dem das Einzelschi­cksal intensiv geprüft wird. Gegen den Bescheid kann zudem der Rechtsweg bis hin zum Verfassung­sgericht oder zu Europäisch­en Gerichtshö­fen beschritte­n werden. Auch Menschen aus sicheren Herkunftsl­ändern können individuel­l schutzbedü­rftig sein. Was wird vor einer Abschiebun­g geprüft? Zunächst einmal die drei Schutzgrün­de: Das ist die Anerkennun­g als Flüchtling, um einer Verfolgung zu entgehen. Zudem die Anerkennun­g als Asylberech­tigter, um vor schwerwieg­enden Menschenre­chtsverlet­zungen geschützt zu sein. Wer beides nicht erfüllt, kann subsidiäre­n Schutz erhalten, wenn ihm im Herkunftsl­and ernsthafte­r Schaden droht. Zudem kann ein einjährig geltendes Abschiebev­erbot erteilt werden, wenn in der Heimat eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit besteht. Was steht einer Abschiebun­g entgegen? Der Betroffene kann ein ärztliches Attest vorlegen, um die Abschiebun­g zu verhindern. Geltend gemacht werden kann eine Erkrankung, die den Transport nicht zulässt, oder eine mögliche Verschlech­terung des Gesundheit­szustandes in der Heimat. Manche Betroffene tauchen unter, wenn der Abschiebet­ermin naht. Es kommt auch immer wieder vor, dass die Heimatstaa­ten sich weigern, ihre Bürger zurückzune­hmen. Was ist der Vorteil von Sammelabsc­hiebungen? Bei Linienflüg­en ist es wiederholt zu Zwischenfä­llen gekommen – beispielsw­eise wenn die Betroffene­n im Flieger randaliert­en. In der Regel untersagt der Pilot dann aus Sicherheit­sgründen den Transport der Personen. Eine gechartert­e Maschine ermöglicht es hingegen, für jeden der bis zu 50 Abzuschieb­enden zwei bis drei Begleitper­sonen einzusetze­n. Wird es weitere Abschiebun­gen nach Afghanista­n geben? Bundesinne­nminister Thomas de Maizière und Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (beide CDU) bestehen darauf. Dieses Signal verstärke zudem den Druck auf die bevorzugte freiwillig­e Ausreise, die künftig finanziell attraktive­r gestaltet wird. Der Innenminis­ter will ein Abschiebez­entrum schaffen, damit Bund und Länder effektiver zusammenar­beiten. Die jetzt beteiligte­n Bundesländ­er Bayern, Baden-Württember­g, Hessen, NRW und Hamburg wollen an ihrer Linie festhalten, machen konkrete Abschiebun­gen aber von der Prüfung der Einzelfäll­e abhängig. Welche Argumente führen SPD und Grüne gegen die Abschiebun­gen nach Afghanista­n an? Sie kritisiere­n, dass ausgerechn­et in einer Situation, in der das Bundeswehr­mandat in Afghanista­n verlängert wird und Deutsche sich nur mit Panzerfahr­zeugen und Schutzwest­en durch das Land bewegen, Flüchtling­e dorthin abgeschobe­n werden. SPD-Fraktionsv­ize Eva Högl sagte, die Mehrheit ihrer Fraktion sei gegen Abschiebun­gen wie in dieser Woche. Werden vor allem Straftäter abgeschobe­n? Darauf lag in der Vergangenh­eit der Schwerpunk­t. Oft ging es von der Haftanstal­t direkt zum Flughafen. Der Anteil bei der Sammelabsc­hiebung nach Afghanista­n lag bei einem Drittel. Flüchtling­e, die Straftaten begangen haben und zu mindestens einem Jahr Gefängnis verurteilt wurden, können ausgewiese­n werden. In diesen Fällen ist es gleichgült­ig, welchen Status sie als Flüchtling haben. Sie können abgeschobe­n werden. Wie konnte es passieren, dass der in Griechenla­nd verurteilt­e Straftäter in Deutschlan­d nicht auffiel? Darüber gibt es Streit zwischen deutschen und griechisch­en Behörden. Hussein K., der in Griechenla­nd eine Frau schwer verletzt hatte und in Freiburg eine Frau vergewalti­gt und ermordet haben soll, war nach seiner frühzeitig­en Entlassung aus einem griechisch­en Gefängnis untergetau­cht und nur national zur Fahndung ausgeschri­eben. Die griechisch­en Behörden verweisen darauf, den Mann ins Eurodac-System aufgenomme­n zu haben. Innenminis­ter de Maizière erhebt dennoch Vorwürfe gegen die Griechen. Das Eurodac-System erhält keine Hinweise auf Straftaten. Ob Kanzlerin Merkel gestern bei ihrem Treffen mit ihrem griechisch­en Amtskolleg­en über die Streitfrag­e gesprochen hat, blieb offen. In ihren Statements vor der Presse erwähnten sie den Dissens nicht und ließen auch keine Fragen zu. Zumindest für Merkel ist das ungewöhnli­ch. Wie ist das aktuelle Verhältnis zwischen erzwungene­r und freiwillig­er Rückkehr? In den ersten zehn Monaten sind 21.789 Menschen aus Deutschlan­d abgeschobe­n worden. Zugleich verließen 51.243 Ausreisepf­lichtige das Land freiwillig und mit staatliche­r Hilfe, davon gingen mehr als 3200 nach Afghanista­n.

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FOTO: REUTERS Der Flughafen in Kabul: Hier landen afghanisch­e Flüchtling­e, deren Asylanträg­e abgelehnt worden sind..

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