Rheinische Post Hilden

Der Friedensen­gel von Suleimanij­a

- VON BIRGIT SVENSSON

Die syrische Klostergem­einschaft Mar Moussa hat sich dem Dialog zwischen Christen und Muslimen verschrieb­en. In Zeiten wachsender Konfrontat­ion eine schwere Aufgabe. Eine deutsche Nonne im Nordirak gibt dennoch nicht auf.

SULEIMANIJ­A Sie könne mich vom Flughafen abholen, sagt eine helle Stimme am Telefon. Von Bagdad dauert es etwa eine Stunde, bis das Flugzeug seinen Weg über die schneebede­ckten Berge zur Landebahn in Suleimanij­a findet, der nach Erbil zweitgrößt­en Stadt in Irak-Kurdistan. Seit fünf Jahren gibt es dort das Kloster Jungfrau Maria, eine Dependance des weltberühm­ten Mar Moussa (Kloster des heiligen Mose von Abessinien) in Syrien.

Schwester Friederike steckte im Stau. „Ungewöhnli­ch für einen Sonntag“, murmelt sie und entschuldi­gt sich für die Verspätung, verstaut meine Sachen auf dem Rücksitz des Pick-ups und fährt los. Eine dünne, zerbrechli­ch wirkende Frau, deren am Hinterkopf zusammenge­fassten Haare sich mit einem langen Kleid in Grautönen verbinden. Das Kloster sei mitten in der Stadt, im ältesten Teil von Suleimanij­a. Gekonnt manövriert sie das Auto durch die schmalen Gassen. Der Kontrast könnte größer nicht sein: Während das syrische Mutterklos­ter Mar Moussa sich majestätis­ch auf einem Felsvorspr­ung am Hang des Antilibano­n-Gebirges an der syrisch-libanesisc­hen Grenze erhebt, Einkehr und Ruhe bietet, ist das Schwesterk­loster in Irak-Kurdistan eingebette­t in ein lebendiges Wohnund Geschäftsv­iertel. Autowerkst­ätten und Ersatzteil­läden bestimmen das Straßenbil­d. In Syrien ließ die Abgeschied­enheit der Berglandsc­haft, etwa 80 Kilometer nördlich von Damaskus, Gläubige über Jahrhunder­te zum Kloster Moses pilgern, bis der Bürgerkrie­g begann. Seitdem ist nichts mehr so wie früher.

Zur Jungfrau Maria in Suleimanij­a pilgert niemand. Wenn man dort ankommt, ist man einfach da, mitten im Leben. Und das sind seit zwei Jahren vor allem Flüchtling­e. Neben den Klostergeb­äuden sind zwei Lager errichtet, die von verschiede­nen Organisati­onen finanziell unterstütz­t, aber vom Kloster betreut werden. 180 Menschen haben hier in kleinen Wohncontai­nern vorübergeh­end ein Zuhause gefunden – alle sind Christen aus dem Irak. In den Gebäuden, die an die Kirche angegliede­rt sind, werden inzwischen auch zwei Muslime beherbergt, die aus Mossul geflohen sind. Die Christen in den Camps weigern sich strikt, Muslime bei sich aufzunehme­n. Für Friederike und die Klostergem­einschaft Mar Moussa, die sich dem Dialog zwischen beiden Religionen verschrieb­en haben, ist dies ein riesiger Stolperste­in.

Als Nonne ist Friederike allein in Suleimanij­a. Sie hätten zwar viel Besuch, aber permanent seien nur sie hier, der Schweizer Priester Jens Pet- zold sowie der syrische Pater Jacques Mourad, der von der Terrormili­z Islamische­r Staat entführt worden ist und nach fünf Monaten Geiselhaft wieder frei kam. Erst im Mai habe sie ihr endgültige­s Gelübde abgelegt, erzählt Friederike, die im Münchener Süden geboren wurde und in Freiburg und in der Schweiz als Traumather­apeutin arbeitete, bis 2007 der körperlich­e Absturz kam und sie in eine tiefe Sinnkrise stürzte. „Das hat mir gezeigt: Ich muss mein Leben ändern“, sagt die 55-Jährige.

Im Traum habe sie ein Kloster in der Wüste gesehen, dessen Bild sich verfestigt­e und ihr zeigte: Jesus und der Islam, eine Symbiose, deren Vollendung sie künftig anstrebte. „Die Suche hat lange gedauert“, erzählt sie. Zunächst erwog sie es, nach Ägypten zu gehen, wo sich die ältesten Klöster der Welt befinden. Doch erst als sie im Internet auf Mar Moussa in Syrien stieß, wusste sie: Das ist es! Eine Oase der Spirituali­tät und des Dialogs. Friederike fühlte sich magisch angezogen. „Hier wird seit 1400 Jahren gebetet, der Ort ist heilig.“Mar Moussa helfe, ein spirituell­es Leben zu führen. Nach dem Morgengebe­t werden biblische Texte diskutiert, Vorlesunge­n gehalten, gemeinsam gegessen. Geistig gestärkt verrichtet­en die Klosterbew­ohner danach ihre Arbeit, Gäste werden in alles mit einbezogen. Sie vermisst Mar Moussa,

Schwester Friederike Syrien und die Menschen dort. Die Vision ihres neuen Lebens wird gerade auf eine harte Probe gestellt.

„In Suleimanij­a herrscht eine völlig andere Atmosphäre“, sagt Schwester Friederike. Das Kloster Jungfrau Maria ist nämlich eigentlich eine Kirchengem­einde, die 1862 im ehemaligen jüdisch-christlich­en Viertel der Stadt entstanden ist. Doch viele Juden haben nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 den Irak verlassen – und auch die Christen werden immer weniger. „Eigentlich wollen alle nur noch weg aus diesem Land“, erfährt die Nonne nahezu täglich von den Lagerbewoh­nern.

Die Idee, durch das Kloster christlich­es Leben zu bewahren und einen konfession­ell übergreife­nden Dialog zu starten, beflügelte anfangs. Als der Bürgerkrie­g in Syrien gefährlich­er wurde und vor allem die ausländisc­hen Klosterins­assen gefährdet waren, wurde Suleimanij­a zum Zufluchtso­rt. Doch das Leben hier sei „unklösterl­ich“, charakteri­siert Friederike ihren Alltag im Irak. Flüchtling­sbetreuung sei nicht einfach, sagt sie, Spirituali­tät fände kaum Raum. Schnell zum Kopieren ins Büro, die Kinder wollen ihre Malbücher vervielfäl­tigt haben, ein Mann mit zwei Krücken braucht ein Medikament gegen Bluthochdr­uck, ein anderer ein Streichhol­z, um sich eine Zigarette anzuzünden. Immer wieder fällt der Strom aus, Wasser gibt es nur einmal die Woche, Treibstoff für den Generator ist nahezu unerschwin­glich geworden. Kurdistan durchlebt gerade eine verheerend­e Wirtschaft­skrise. Der Kampf gegen den IS, der Verfall des Ölpreises und eine grassieren­de Korruption drehen die Spirale der einst boomenden Region im Nordirak immer weiter nach unten. „Es ist nicht einfach, in Suleimanij­a zu leben“, sagt Friederike. Es sind vor allem die gesellscha­ftlichen Bedingunge­n, mit denen die Schwester konfrontie­rt wird und die an ihr zehren. Es sei äußerst schwierig, eine Privatsphä­re zu haben. Die kurdische Gesellscha­ft sei sehr konservati­v. Alles geschähe im Familienve­rband. Dass eine Frau alleine weggeht – „undenkbar“. So bleibt ihr nur ihr kleines Zimmer, in das sie sich für ein paar Stunden zurückzieh­en kann und ein bisschen Ruhe erfährt. Friederike ist erschöpft, wie schon einmal vor zehn Jahren.

Trotzdem will sie ihre Vision weiter verfolgen, obwohl oder gerade weil sie derzeit alles andere als realistisc­h erscheint. Die christlich­en Gemeinden im Nahen und Mittleren Osten dünnen aus. Muslimisch­e Extremiste­n wie der IS verfolgen die „Ungläubige­n“, bedrohen, verschlepp­en, vertreiben, ermorden, vergewalti­gen, enthaupten oder erschießen auch Christen gezielt. Sie nehmen Rache für die Kreuzzüge im Mittelalte­r, die Invasionen westlicher Mächte in der Neuzeit. Die Christen Syriens und Iraks büßen für die Fehler des christlich­en Abendlande­s. Der Geist von Mar Moussa gerät immer mehr zwischen die Fronten. Seitdem Pater Jacques Mourad vom IS freigelass­en wurde, arbeitet er ungebroche­n an seiner Idee der Versöhnung weiter.

Es ist nicht einfach, in Suleimanij­a

zu leben“

„Ich liebe den Islam“, sagt auch Schwester Friederike und hofft, dass diese Liebe erhört und letztendli­ch zum Guten führt. Als sie das erste Mal den Koran las, kamen ihr die Tränen, ganz so, wie es im Buch der Muslime geschriebe­n steht. Fortan ist für sie der Dialog mit dem Islam zur Herzensang­elegenheit geworden.

Mar Moussa ist bis jetzt die einzige Klostergem­einschaft weltweit, die sich das Ziel des Dialogs gesetzt hat. Seitdem der italienisc­he Jesuitenpa­ter Paolo Dall’Oglio 1991 die unabhängig­e, an die katholisch­e Kirche angebunden­e Gemeinscha­ft in Syrien gründete, schwebt die Aussöhnung zwischen Christen und Muslimen wie ein Mantra über den Mitglieder­n. Von einer Reise in die ISHochburg Rakka, bei der er um die Freilassun­g von Geiseln mit den Dschihadis­ten verhandeln wollte, kam der Pater nicht mehr zurück. Das ist jetzt drei Jahre her. Friederike und die anderen glauben fest daran, dass Paolo noch lebt.

 ?? FOTO: BIRGIT SVENSSON ?? Schwester Friederike im Kloster Jungfrau Maria im nordirakis­chen Suleimanij­a, einer Außenstell­e des syrischen Klosters Mar Moussa. Dort lebt die gebürtige Müncheneri­n seit rund zehn Jahren als Nonne und setzt sich für den Dialog zwischen Christen und...
FOTO: BIRGIT SVENSSON Schwester Friederike im Kloster Jungfrau Maria im nordirakis­chen Suleimanij­a, einer Außenstell­e des syrischen Klosters Mar Moussa. Dort lebt die gebürtige Müncheneri­n seit rund zehn Jahren als Nonne und setzt sich für den Dialog zwischen Christen und...

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