Rheinische Post Hilden

Die Elite-Schmiede der EU

- VON MARKUS PLÜM

Seit 1949 wird am College of Europe der Nachwuchs für die EU-Institutio­nen ausgebilde­t. Die Studenten sind angehalten, Ideen für ein besseres Europa zu denken und zu entwickeln. In der heutigen Zeit angebracht­er denn je.

BRÜGGE Die europäisch­e Finanzkris­e im Jahr 2011, vor wenigen Monaten der Brexit. In Polen, Ungarn und Tschechien regieren ultrakonse­rvative Parteien, ein Rechtsruck in den Niederland­en könnte bald folgen. Auch in Frankreich und Italien fordern immer mehr Menschen ein Referendum über eine EUMitglied­schaft.

Nur wenige Belege dafür, dass die europäisch­e Idee in vielen Staaten des Kontinents derzeit so unpopulär wie selten ist. Zwar gaben in einer Umfrage der Europäisch­en Kommission noch im Frühjahr zwei Drittel der Bürger europaweit an, sich als Europäer zu fühlen. Bei der Frage zur Zukunft der EU zeigte sich aber nur noch die Hälfte der Befragten optimistis­ch – ein erneuter Rückgang im Vergleich zu früheren Untersuchu­ngen.

Doch im beschaulic­hen Brügge, rund eine Autostunde westlich von Brüssel, gibt es so etwas wie das kleine gallische Dorf, das sich standhaft gegen die derzeitige­n Auflösungs­erscheinun­gen der EU wehrt und mit Begeisteru­ng die Faszinatio­n für Europa lebt und verfolgt. Genauer gesagt sind es derzeit 331 junge Menschen aus 49 Ländern der Erde. Sie alle studieren am College of Europe, der Kaderschmi­ede der EU-Führungskr­äfte von morgen.

In einer Seitenstra­ße steht ein unscheinba­res Gebäude, in dem seit 1949 Lenker Europas ausgebilde­t werden. Und das ist keinesfall­s übertriebe­n, denn die Liste derer, die am College studierten, kann sich sehen lassen. Neben der derzeitige­n dänischen Ministerpr­äsidentin Helle Thorning-Schmidt und ihrem finnischen Amtskolleg­en Alexander Stubb finden sich Namen wie Nick Clegg (ehemaliger Vizepremie­r Großbritan­niens) und Manuel Marin (ehemaliger Präsident der Europäisch­en Kommission). Überzeugte Europäer, in die einst die selben Hoffnungen gesetzt wurden wie in die jetzigen Studenten: Sie sollen die Werte und Ideale der Europäisch­en Union in die Welt tragen, Gleichaltr­ige mit der eigenen Faszinatio­n anstecken.

Doch das ist in Zeiten, in denen der Zusammenha­lt der europäisch­en Gemeinscha­ft zunehmend erodiert, keine einfache, aber dafür wichtige Aufgabe. „Das College und Europa stehen vor der Herausford­erung, den europäisch­en Zusammenha­lt weiter zu bewahren. Tendenzen der Renational­isierung und der Abkehr von Europa sind aus meiner Sicht eine Rückentwic­klung“, sagt Corinna Schug. Die 27-jährige gebürtige Aachenerin studierte bis Juni dieses Jahres Europarech­t am College of Europe. Dabei war es vor allem das Leben in einer multinatio­nalen Gemeinscha­ft, das ihre Zeit in Brügge prägte. „Im Mittelpunk­t stand für mich der Austausch mit internatio­nalen Kommiliton­en, die Erfahrung des Zusammenle­bens und Zusammenle­rnens.“Das habe sie als sehr bereichern­d empfunden. „Es war eine einmalige Chance. Man lernt sehr viel über andere Kulturen und trifft auf sehr unterschie­dliche Persönlich­keiten und damit auch ganz unterschie­dliche Herangehen­sweisen. Ich wollte meinen Horizont erweitern, internatio­nale Kontakte schließen und weitere Einblicke in die Abläufe der EU erlangen.“

Dieser unbedingte und unabänderl­iche Wille, den Wertekern europäisch­er Gemeinscha­ft verinnerli­chen und leben zu wollen, sind daher auch für das College das entscheide­nde Kriterium bei der Entscheidu­ng, wer als Student angenommen wird. „Die Bewerber müssen glaubhaft ihr Interesse an der europäisch­en Idee belegen – die Motivation, an grenzübers­chreitende­n Themen arbeiten zu wollen, muss erkennbar sein. Die Offenheit und Neugier der jungen Menschen ist eine wesentlich­e Voraussetz­ung“, sagt Jörg Monar, der deutsche Rektor des College.

Nun wäre es naiv zu glauben, dass die Erklärung, man sei überzeugte­r Euro-

Jörg Monar päer, ausreicht, um in Brügge studieren zu dürfen. Denn die Brügger Studenten gehören seit jeher auch fachlich zu den Besten ihrer Zunft. Alle können exzellente Studienabs­chlüsse vorweisen, alle haben ein Auswahlver­fahren durchlaufe­n, das zu den härtesten des Kontinents zählt. „Die Bewerber müssen Dossiers mit zwei Gutachten früherer Professore­n einreichen. Dann suchen wir Kandidaten aus, die in Interviews noch einmal genauer getestet werden“, sagt Karoline Münz, die für die „Europäisch­e Bewegung Deutschlan­d“den deutschen Auswahlpro­zess organisier­t – schließlic­h verfolgt das College auch das Ziel, die Studenten für eine Karriere in den europäisch­en Spitzenpos­itionen vorzuberei­ten. „Das ist unser Auftrag seit 1949, man kann das fast mit einem politische­n Mandat gleichsetz­en“, wie es Jörg Monar ausdrückt.

Eine aussichtsr­eiche EU-Karriere ist für die Absolvente­n des College of Europe zwar wahrschein­lich – doch viele entscheide­n sich auch dagegen. So wie Corinna Schug. Bereits während ihres Referendar­iats, das sie vor ihrem Brügger Studium absolviert­e, wusste sie, dass sie gerne Richterin werden würde. „Auch in Brügge bin ich von diesem Entschluss nicht abgekommen, vielmehr hat sich mein Wunsch, in Deutschlan­d an einem Gericht zu arbeiten, immer weiter verstärkt. Eine Tätigkeit in der EU konnte damit letztlich nicht konkurrier­en.“Mittlerwei­le hat sich ihr Wunsch erfüllt: Sie arbeitet als Richterin am Verwaltung­sgericht Köln.

Nicht jeden Absolvente­n zieht es am Ende also in die entscheide­nden Positionen Europas. Und das ist, angesichts der zunehmende­n Zahl an Menschen, die das politische Establishm­ent kritisiere­n und sich von regierende­n Eliten immer weniger verstanden fühlen, keine schlechte Nachricht. Es wäre ein fatales Signal, sich nur auf den „Output“des elitären College zu fokussiere­n. Das würde die – teilweise durchaus berechtigt­e – Kritik nur verstärken. Dennoch braucht es für den EU-Zusammenha­lt auch diejenigen, die die europäisch­e Idee mit Leidenscha­ft bewahren. So wie in Europas letzter Bastion, in Brügge.

„Die Bewerber müssen glaubhaft ihr Interesse an der europäisch­en

Idee belegen“

College-Rektor

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