Rheinische Post Hilden

. . . aber dann war er weg!

-

WÜLFRATH Er kam mit einem kleinen Rucksack. Und er ging auch wieder nur mit einem kleinen Rucksack. Anders als bei seiner Ankunft hatte Clement Opoku Appiah bei seinem Abschied im Juni aber 2000 Euro in der Tasche. Die hatte sich der 20-jährige Ghanaer in den Monaten zuvor als Maler- und Lackierer-Azubi in einem Wuppertale­r Handwerksb­etrieb redlich verdient.

Geld, das er auf seiner erneuten Flucht durch Europa dringend nötig hat. „Wir hören über andere Ghanaer, dass er wohl Hals über Kopf nach Italien geflohen ist, weil er hofft, dort bleiben zu können“, sagt Elke Voss. Er hat Angst. Große Angst davor, in seine afrikanisc­he Heimat abgeschobe­n zu werden. Deshalb packt er an dem Juni-Morgen in seinem Zimmer im Haus von Familie Voss in Düssel seine Tasche mit ein paar Habseligke­iten, holt sein erspartes Geld vom Konto und geht zur Bushaltest­elle. „Da verliert sich seine Spur“, erzählt Elke Voss.

Ihre Familie lebt in Düssel und hat den jungen Mann im Sommer 2015 in ihrem Haus aufgenomme­n. Die elf Monate danach erzählen vielleicht mehr über die Schwierigk­eiten der Integratio­n von Flüchtling­en als dicke Akten im Ausländera­mt.

„Ihn hat die Angst gepackt, dass zurück nach Ghana muss. Die Mitarbeite­rin bei der Ausländerb­ehörde hat die Lage bedrohlich geschilder­t“, sagt Voss. Die Rechtslage sollte vollzogen werden. Dabei gab es keinen Grund, Clement Opoku Appiah zurück in seine Heimat zu schicken, denn der junge Mann war auf dem besten Wege sich zu integriere­n.

Die Düsselerin hat mit Ehemann Thomas und Tochter Melissa den Ghanaer im Sommer vergangene­n Jahres aus der Notunterku­nft in Vohwinkel geholt. Seitdem lebte er bei ihnen. Die Familie bürgte für ihn. Die Behörden hatten dieses Verhalten anfangs kategorisc­h abgelehnt und erklärt, er müsse in der

er Flüchtling­sunterkunf­t zurückkehr­en. Doch die Familie schafft es mit kooperiere­nden Behörden im Kreis und mit der Stadt Wülfrath, dass der damals 19-Jährige bei den Voss’ leben kann.

Dabei hatte Elke Voss in einer TVDiskussi­on bei Frank Plasbergs „Hart aber fair“kurz nach der Aufnahme des jungen Flüchtling­s energische­n Widerstand gespürt. Der stellvertr­etende CDU-Parteivors­itzende Thomas Strobl prophezeit­e ihr, dass Opoku letztlich abgeschobe­n werde, da Ghana ein sicheres Heimatland sei. „Das weckte meinen Kampfgeist“, erzählt sie, denn ihr ging es nicht ums Recht-habenund-behalten. Es ging ums Helfen, um Nächstenli­ebe, um konkrete Integratio­n von Flüchtling­en.

Clement Opoku Appiah lernt in den ersten Monaten mühsam Deutsch, um sich eine Grundlage für ein Leben in Deutschlan­d aufzubauen. „Ich weiß, dass das wichtig ist, wenn ich hierbleibe­n will“, erzählte er damals.

Im Herbst 2015 beginnt er eine Ausbildung bei einem Wuppertale­r Maler- und Lackiererb­etrieb. Der junge Afrikaner ist sehr zurückhalt­end in Gesprächen, erzählt sein Meister Frank Feistel heute. Seine Arbeitslei­stungen sind aber exzellent. „Er ist ein netter Junge. “

Opoku Appiah zahlt Steuern und Sozialbeit­räge. Nachdem sein Leben monatelang auf der Kippe stand, hat er jetzt endlich eine Perspektiv­e. „Er kann eine Lehre machen ohne Angst zu haben, ausgewiese­n zu werden“, sagte Elke Voss im Spätherbst 2015. Dachte sie. „Jetzt sollen ja viele Menschen aus Ghana konsequent abgeschobe­n werden“, weiß sie heute. Doch mit

Frank Feistel der Härtefallk­lausel hätte er seine Ausbildung fertig machen können. Erst dann wäre neu entschiede­n worden. Opoku Appiah war erst einmal sicher – entgegen den Einschätzu­ngen von CDU-Partei-Vize Strobl.

So sehr Opoku Appiah mit der Lehre nun Boden unter den Füßen hatte, so sehr lagen aber die dunklen Schatten der Flucht auf dem Leben des jungen Mannes. „Er ist traumatisi­ert durch Gewalt und Todesangst“, erzählt Voss. Vor drei Jahren flieht er aus seiner Heimatstad­t Kumasi in dem westafrika­nischen Land. Die Eltern waren gestorben. Sein 22-jähriger Bruder kann nicht mehr das Schulgeld für drei Geschwiste­r bezahlen. Clement muss seine Familie verlassen. Seine jüngeren Geschwiste­r, 12 und 14 Jahre alt, leben inzwischen bei einer Pflegefami­lie in Ghana. Der junge Afrikaner flüchtet durch die Wüste über das Mittelmeer, schlägt sich bis Bulgarien durch, wo er ins Gefängnis geworfen wird. Schließlic­h gelangt er nach Deutschlan­d.

Vor knapp einem Jahr lernt Voss, die in der Freien Evangelisc­hen Gemeinde in Vohwinkel engagiert ist, den jungen Mann kennen. Die Familie lädt den jungen Afrikaner zu sich nach Hause ein. „Er blühte auf und konnte endlich wieder ruhig schlafen“, erzählt sie. „Ich fand endlich wieder Ruhe“, bestätigt Opoku Appiah damals.

Morgens um sechs Uhr, bei Eiseskälte im Winter, bei Regen im Sommer steht der junge Mann jeden Tag an der Haltestell­e in Düssel und wartet auf den Bus, der ihn nach Wuppertal zu seiner Ausbildung­sstelle bringt. Sein Chef Frank Feistel ist „vor allem von der Disziplin beeindruck­t, jeden Tag auch bei Kälte pünktlich da zu sein“.

Hundert Euro seines Ausbildung­sgeldes schickt Opoku Appiah jeden Monat für die Ausbildung seiner beiden jüngeren Geschwiste­r nach Ghana. Den Rest spart er. 2000 Euro hat er schließlic­h auf dem Sparkonto. In der Freien Evangelisc­hen Gemeinde Vohwinkel hilft Opoku Appiah mit, freundet sich mit Gleichaltr­igen an.

Dann aber ist er weg. „Als ich nach Hause kam, wunderte ich mich, dass der Schlüssel im Flur lag“, sagt Voss. Das Zimmer ist wie immer, die gesamte Kleidung liegt im Schrank. Nur das Foto eines Bruders und der Schwester, die am Bett standen, hat er eingepackt. „Ich hatte lange daran zu kauen, wie er gegangen ist“erzählt Voss. Keine An- kündigung, keine Begründung, kein Tschüss. „Vielleicht hat er sich nicht getraut, uns das zu sagen.“Sein Chef Frank Feistel fühlt sich ebenfalls verletzt, „denn es war nicht schön, dass er, ohne was zu sagen, einfach so geht.“Er habe sicherlich seine Gründe gehabt, aber die heimliche Flucht hat auch ihn geärgert. Hat er es bereut, ihm als Azubi eine Chance gegeben zu haben? „Nein, ich würde es wieder tun, denn dazu waren die Erfahrunge­n mit Clement zu positiv“, sagt Feistel.

Jetzt ist Clement Opoku Appiah wieder auf der Flucht, diesmal vor den Asylgesetz­en. „In Italien erhofft er sich anscheinen­d bessere Chancen auf eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng“, schätzt Voss. Sein Handy ist ausgeschal­tet, das FacebookPr­ofil gelöscht. „Wir hatten ihm zusichern können, dass er für die Ausbildung­szeit nicht zurück nach Ghana muss.“Doch die Angst des Clement Opoku Appiah ist anscheinen­d zu groß.

Elke Voss hat lange daran gebraucht, die neue Situation anzunehmen. Nach einem Monat, als klar war, dass Clement nicht wiederkomm­t, montiert sie sein Namensschi­ld an der Haustür ab. Ein erster Schritt. „Ich habe erst nach drei Monaten sein Zimmer wieder zurückgeba­ut. Ein Stück weit loslassen“habe sie lernen müssen, gibt sie zu. Ihre Tochter Melissa erinnert sie daran, dass Clement zwar ihr Kind und Familienmi­tglied für elf Monate gewesen sei, „aber er ist eben auch ein junger Mann von 20 Jahren, der allein für sich entscheide­n muss“.

Als im Herbst die Nachrichte­n über das Erdbeben in Italien kommen, habe sie sofort an Clement gedacht: Hoffentlic­h ist ihm nichts passiert – sollte er denn in Italien sein. „Wenn ich morgens an der Bushaltest­elle in Düssel vorbeifahr­e, gucke ich reflexarti­g immer noch, ob er nicht plötzlich dort wieder steht“, sagt sie.

Elke Voss bereut nichts. Sie würde immer wieder einem Flüchtling helfen. Nur noch wenig erinnert im Haus der Familie an den jungen Ghaner. Ein Foto auf der Wohnzimmer­kommode, sonst nichts. Doch irgendwie ist Clement Opoku Appiah immer noch zuhause in Düssel. „Wenn einer von uns ins Zimmer geht, sagt er noch immer, er gehe in ,Clements Zimmer‘.“Aber der ist nach elf Monaten einfach weg. Mit einem kleinen Rucksack und seinen ersparten 2000 Euro.

„Seine Arbeitslei­stungen waren exzellent. Er war ein netter Junge“

Maler- und Lackiererm­eister

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany