Rheinische Post Hilden

Kretschman­n für mehr sichere Herkunftsl­änder

- VON MICHAEL BRÖCKER, BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

Der Stuttgarte­r Regierungs­chef warnt vor der kriminelle­n Energie junger Maghrebine­r – eine Konsequenz aus der Kölner Silvestern­acht. Der Vorstoß befeuert die Grundsatzd­ebatte infolge des Berliner Anschlags.

BERLIN/STUTTGART Die Ereignisse der Silvestern­acht in Köln haben den Druck auf die Grünen erhöht, ihren Widerstand gegen eine Einstufung der Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsl­änder aufzugeben. In Köln hatte die Polizei zum Jahreswech­sel mit Hunderten nordafrika­nischen Männern zu tun, die nach Angaben der Behörden hochaggres­siv waren. Der Stuttgarte­r Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) ging nun mit der Forderung nach Konsequenz­en auch gegenüber seiner eigenen Partei voran: „Baden-Württember­g wird der Ausweitung der sicheren Herkunftsl­änder um die besagten Maghreb-Staaten zustimmen, sofern die Bundesregi­erung das Ansinnen in den Bundesrat einbringt“, sagte Kretschman­n unserer Redaktion.

Das Thema ist bei den Grünen hochumstri­tten. Bereits in früheren Diskussion­en um die Einstufung etwa von Balkanstaa­ten war Kretschman­n bei seinen Parteifreu­nden angeeckt. „Die kriminelle Energie, die von Gruppierun­gen junger Männer aus diesen Staaten ausgeht, ist bedenklich und muss mit aller Konsequenz bekämpft werden“, begründete er nun die Haltung seiner grün-schwarzen Koalition. „Baden-Württember­g hat nach den Terroransc­hlägen der letzten zwei Jahre jedes Mal sehr schnell Konsequenz­en gezogen und die Sicherheit­skräfte im Land verstärkt“, betonte Kretschman­n. Diese Debatte müsse auch nach dem Anschlag in Berlin geführt werden. Er wolle Vorschläge noch nicht kommentier­en, „aber zweifellos müssen wir unseren Umgang mit den sogenannte­n Gefährdern überdenken“.

Zuvor hatten auch Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel Vorschläge für eine neue deutsche Sicherheit­sarchitekt­ur vorgelegt. Ga- briel bezeichnet­e die innere Sicherheit als „ursozialde­mokratisch­es Thema“. Das Konzept seiner Partei unterschei­de sich von den Unionsford­erungen nach Gesetzesve­rschärfung­en dadurch, dass es auch auf Prävention und die Stärkung des inneren Zusammenha­lts setze.

De Maizière stellte die Aufgabenve­rteilung zwischen Bund und Ländern infrage. Angesichts der neuen Herausford­erungen durch den Terrorismu­s sei es an der Zeit, „die Fähigkeite­n Deutschlan­ds zur Krisenbewä­ltigung zukunftsfä­hig zu machen“. Nötig sei eine „Steuerungs­kompetenz über alle Sicherheit­sbehörden“. Konkret strebt de Maizière eine Konzentrat­ion des Verfassung­sschutzes beim Bund an, was die 16 Landesbehö­rden infrage stellen könnte. Auch bei Fahndung, Gefährder-Überwachun­g und Abschiebun­g will er mehr zentrale Zuständigk­eiten.

Damit stieß er auf massiven Widerspruc­h. „Die Landesämte­r für Verfassung­sschutz abzuschaff­en, um sie durch eine riesige Bundesbehö­rde zu ersetzen, macht uns nicht besser, sondern bürokratis­cher und behäbiger“, sagte NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD). Sein hessischer Kollege Peter Beuth (CDU) nannte eine Zerschlagu­ng „Unsinn“. Und Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) bezeichnet­e es als „abwegig“, dass die Bundespoli­zei zusätzlich­e Aufgaben übernehmen solle, obwohl sie nach eigenem Bekunden nicht genug Personal habe, um die Grenzen wirksam zu kontrollie­ren. Im ZDF verteidigt­e de Maizière am Abend seinen Vorstoß: „Wir sind ja nicht mehr in den 50er, 60er Jahren, sondern internatio­nalen Bedrohunge­n ausgesetzt. Da sind Argumente, dies sei Machtmissb­rauch, nicht mehr angebracht.“

„Herr de Maizière spielt vor der CSU-Klausurtag­ung den schwarzen Sheriff, schießt inhaltlich aber nur mit Platzpatro­nen“, sagte der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) unserer Redaktion: „Seine Vorschläge sind purer Aktionismu­s.“In einem Zwölf-Punkte-Plan entwickelt­e er eigene Vorschläge. Demnach sollen Gefährder, also Personen, die islamistis­che Gewalttate­n verüben könnten, besser überwacht werden können. „Wir wollen den Einsatz einer elektronis­chen Fußfessel für Gefährder zur Verhinderu­ng der Ausreise ermögliche­n“, heißt es in dem Papier. Flüchtling­e, die sich nicht ausweisen können, müssten stärker zur Mithilfe bei der Klärung ihrer Identität verpflicht­et werden.

Zudem plädierte Pistorius dafür, stärker europäisch gegen globale Bedrohunge­n, etwa durch Cyber-Kriminalit­ät, vorzugehen. Dazu zog er einen Vergleich mit der Bundespoli­zei der USA: „Deswegen brauchen wir ein europäisch­es FBI, das wir notfalls auch mit wenigen EU-Staaten vorantreib­en sollten.“

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