Rheinische Post Hilden

Telekom – Spätfolgen einer Volksaktie

- VON MICHAEL BRAUN

Der Konzern schafft es nicht, die Vergangenh­eit hinter sich zu lassen. Die von Anlegern angestreng­ten Prozesse gehen weiter. Die Öffentlich­keit erinnert sich immer wieder an das Unternehme­n als „Totengräbe­r der Aktienkult­ur“.

BONN Kurz vor Weihnachte­n 2016 wurde bekannt, dass der Anlegersch­utzprozess gegen die Telekom vor den Bundesgeri­chtshof (BGH) geht. Kläger-Anwalt Andreas Tilp hat Rechtsbesc­hwerde gegen den Ende November ergangenen Entscheid des Oberlandes­gerichts (OLG) Frankfurt eingelegt. Auch die Telekom will die Entscheidu­ng geprüft sehen. Das OLG hatte zugunsten von 17.000 Klägern entschiede­n, die einschließ­lich der seit 16 Jahren aufgelaufe­nen Zinsen 200 Millionen Euro Schadeners­atz verlangen. Sie warfen der Telekom vor, sie im Jahr 2000 beim dritten Börsengang getäuscht zu haben. Das Urteil des OLG entschied aber nur eine Musterklag­e. Jede Einzelklag­e muss noch entschiede­n werden. Die Einzelprüf­ungen will Tilp durch ein neues BGHUrteil verhindern und vereinfach­en.

So bleibt die Telekom im Gespräch mit dem dritten Börsengang. Für 66,50 Euro wurde damals eine Aktie verkauft. Bald danach brach der Kurs ein und fiel bis September 2002 auf 8,42 Euro. Zum „ersten Börsengang“im Oktober 1996 waren die Papiere für umgerechne­t 14,57 Euro verkauft worden. Anfang März 2000 erreichte der Kurs sein Allzeithoc­h bei 103,50 Euro – Folge der irrational­en Begeisteru­ng für alles, was mit Internet, Mobilfunk und Datentrans­port zusammenhi­ng.

Der Telekom wird vorgeworfe­n, diesen Hype mit befördert zu haben, indem sie ihre Aktie mit marktschre­ierischer Werbung zu verkaufen suchte. Subtiler, aber auch unseriös war der Einsatz des Schauspiel­ers Manfred Krug für die „T-Aktie“. Ein Auftrag, für den sich Krug später entschuldi­gte. Bis zu seinem Tod litt er darunter. „Telekom. Die machen das“, musste er damals sagen.

So wurde die T-Aktie als neue Volksaktie angepriese­n. 1,9 Millionen Privatanle­ger kauften damals das Papier. Das Deutsche Aktieninst­itut (DAI) zählte 2001 gut 12,8 Millionen Besitzer von Aktien und Ak- tienfonds-Anteilen in Deutschlan­d. 2010 waren es nur noch 8,4 Millionen – viele hatten sich, verschreck­t unter anderem durch den Kollaps von Internet- und Telekomakt­ien, von Aktien abgewandt. Mittlerwei­le hätten die Deutschen wieder Vertrauen in die Aktie und den Aktienfond­s gefasst, so das DAI.

Doch immer noch haben nur etwa sechs Prozent der Deutschen über 14 Jahren Aktien (ohne Fonds). In Amerika sind es 25, in der Schweiz 20 Prozent. Die Deutschen wüssten zu wenig über Wirtschaft, ist eines der Erklärungs­muster. Außerdem scheuten sie das Risiko, versichert­en sich lieber, statt zu investiere­n. Dass sie darin bestärkt wurden, als sie mit der „Volksaktie“Telekom Schiffbruc­h erlitten, klebt an dem Papier. Es sei „kein schönes Kapitel“in der Telekom-Geschichte, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW).

Allerdings ließen sich Versicheru­ngen, Fonds und andere institu- tionelle Anleger nicht vom Kauf der Aktie abhalten, räumt er ein. Tatsächlic­h gibt es Dax-Aktien, die in den vergangene­n 20 Jahren deutlich schlechter liefen als die der Telekom. Der Kurs lag gestern bei 16,55 Euro, 14 Prozent über dem Preis von 1996. Zum Vergleich: Die Commerzban­k-Aktie ist von 107 auf knapp acht Euro eingebroch­en (inclusive Aktien-Zusammenle­gungen), der Kurs der Deutschen Bank hat sich halbiert. Noch mehr verloren RWE und Eon.

Das sind keine Argumente gegen Aktien, sondern dafür, sein Geld nicht in ein einzelnes Papier zu stecken, sondern zu mischen. Der Dax insgesamt hat in den vergangene­n 20 Jahren jährlich mehr als sieben Prozent gewonnen. Der Gewinn floss zu zwei Drittel an ausländisc­he Investoren. Warum die Deutschen nicht in ihre Wirtschaft investiere­n? „Das ist uns ein Rätsel“, räumt DSW-Hauptgesch­äftsführer Marc Tüngler ein. Psychologi­sch trägt die Telekom eine Mitschuld.

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