Rheinische Post Hilden

Amri profitiert­e auch von Gesetzeslü­cken

- VON EVA QUADBECK, THOMAS REISENER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Der NRW-Landtag suchte gestern nach der politische­n Verantwort­ung für das Attentat von Berlin. In einem Punkt waren sich die Parteien einig: Das deutsche Recht geht zu lasch mit Gefährdern um.

DÜSSELDORF/BERLIN Als Konsequenz aus dem Terroransc­hlag von Berlin fordert NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) gesetzlich­e Konsequenz­en: „Wir müssen die rechtliche­n Hürden senken, damit Gefährder ohne Bleibepers­pektive künftig leichter inhaftiert werden können“, sagte Jäger gestern in einer Sondersitz­ung des NRW-Innenaussc­husses, in der die Opposition ihm eine politische Mitverantw­ortung für den Anschlag nachweisen wollte.

Der 24-jährige Tunesier Anis Amri hatte am 19. Dezember einen gekaperten Lastwagen in einen Berliner Weihnachts­markt gesteuert und dabei zwölf Menschen getötet. Die Opposition in NRW wirft Jäger Untätigkei­t vor, weil Amri von Jägers Sicherheit­sbehörden schon am 17. Februar als so genannter Gefährder eingestuft wurde, wie Landeskrim­inaldirekt­or Dieter Schürmann in der Sitzung zugab.

„Es war lange vor dem Attentat bekannt, dass Amri sich Waffen besorgen wollte, im Internet nach Bombenbaua­nleitungen recherchie­rte und sich dem IS als Selbstmord­attentäter angeboten hatte“, hielt Peter Biesenbach (CDU) dem Innenminis­ter entgegen: „Warum haben Sie nichts unternomme­n?“Jägers Antwort: „Wir können in einem Rechtsstaa­t auch Gefährder nicht einfach vorsorglic­h wegsperren. Nach bisherigem Recht braucht es dafür Tatsachen, nicht Hörensagen.“Die Berliner Generalsta­atsanwalts­chaft stellte obendrein die Ermittlung­en gegen Amri im September 2016 ein, weil sie trotz sechsmonat­iger Überwachun­g keine Belege für einen bevorstehe­nden Terroransc­hlag fand.

Die Opposition meint dennoch, dass man Amri hätte festsetzen können – und zwar nicht über das Strafrecht, sondern über das Aufenthalt­srecht. Auch hätte Amri mit Melde- und Residenzpf­lichten von der Weiterreis­e nach Berlin abgehalten werden können. Jäger sagte, für eine Abschiebeh­aft hätte es keine ausreichen­de Grundlage gegeben – in vergleichb­aren Fällen hätten Gerichte sie bislang stets abgelehnt. Der Vorsitzend­e des Bundes der Richter und Staatsanwä­lte in NRW, Christian Friehoff, stützte gestern auf Anfrage unserer Redaktion Jägers Position. Eine Abschiebeh­aft sei „nur dann zulässig, wenn die Abschiebun­g in absehbarer Zeit möglich ist“, sagte Friehoff. Dies setze voraus, dass geklärt sei, welcher Staat den abgelehnte­n Asylbewerb­er aufnimmt. „Dazu müssen für diese Person Ausweispap­iere dieses Staates zur Verfügung stehen, da er andernfall­s nicht aufgenomme­n wird.“Amri hatte keine Papiere. Tunesien verzögerte die Ausstellun­g von Ersatzpapi­eren bis einen Tag nach dem Attentat. Allerdings hatte die internatio­nale Polizeiein­heit Interpol Amri gegenüber den deutschen Behörden schon am 21. Oktober eindeutig als Tunesier identifizi­ert.

Der Vorsitzend­e des Innenaussc­husses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), kritisiert­e die „alleinige Zuständigk­eit der Kommunen in NRW für das Ausländerr­echt“als „einen Schwachpun­kt“in der Sicherheit. „Es geht nicht, dass sich das Land aus dieser Verantwort­ung heraushält. NRW sollte mit Blick auf den Fall Anis Amri die Zuständigk­eiten neu ordnen“, so Heveling. Eine Landesbehö­rde bewerte Sicherheit­sfragen und Gefährder anders als kommunale Behörden. „Während andere Länder dies für Gefährder bereits geregelt haben, muss NRW hier schleunigs­t seiner Verantwort­ung nachkommen.“

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