Rheinische Post Hilden

NRW fehlen Plätze für Abschiebeh­aft

- VON DETLEV HÜWEL UND THOMAS REISENER

Nach Einschätzu­ng der Polizei und der Opposition im Landtag wird der Bedarf aber in wenigen Monaten dramatisch steigen.

DÜSSELDORF Für in Gewahrsam genommene ausreisepf­lichtige Flüchtling­e gibt es in NRW zu wenige Unterbring­ungsplätze. „Das Land muss seine Kapazitäte­n für die Abschiebeh­aft um mehrere Tausend Plätze ausbauen. Die vorhandene­n Kapazitäte­n werden bald zu dramatisch­en Engpässen führen“, warnt der Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, gegenüber unserer Redaktion. Aktuell kann NRW lediglich rund 100 Ausländer in Abschiebeh­aft nehmen.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) hat ebenfalls gefordert, dass die Länder ausreichen­d Plätze für die Abschiebeh­aft zur Verfügung stellen müssten. Wie groß der Bedarf ist, wollte das Ministeriu­m nicht sagen. Aber eine Sprecherin verweist auf ein drängendes Problem, das sich aus den knappen Kapazitäte­n ergibt: „Die Behörden der Länder beantragen keine Haftbefehl­e, wenn sie wissen, dass keine ausreichen­den Haftplätze vorhanden sind.“

Nach Auskunft des Düsseldorf­er Innenminis­teriums betreibt NRW derzeit nur eine einzige sogenannte Unterbring­ungseinric­htung für Ausreisepf­lichtige (Ufa) in Büren. Für Frauen stehen im Zuge einer Verwaltung­svereinbar­ung weitere fünf Plätze in Rheinland-Pfalz zur Verfügung. „Diese Kapazitäte­n sind auskömmlic­h“, so ein Ministeriu­mssprecher. Zur Belegungsq­uote macht das Ministeriu­m keine Angaben; Insider berichten von durchschni­ttlich 60 Prozent.

Nach Einschätzu­ng von Plickert und der Opposition im Landtag wird der Bedarf aber in wenigen Monaten dramatisch steigen. Zum einen wird allgemein mit der baldigen Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsl­änder gerechnet. Laut Plickert bedeutet das: „Dann fällt die Duldung weg, und die Personen aus diesen Staaten fallen unter das Verfahren zur beschleuni­gten Abschiebun­g.“Weil gerade bei abschiebep­flichtigen Nordafrika­nern häufig damit zu rechnen ist, dass sie sich per Flucht der Abschiebun­g entziehen wollen, rechnet Plickert dann mit „einer massenhaft­en Ingewahrsa­mnahme von Nordafrika­nern in Abschiebeh­aft“.

Laut Ausländerz­entralregi­ster lebten im August 2016 in NRW 45.436 geduldete Flüchtling­e. Mehr als 2000 davon kamen aus den MaghrebSta­aten. Diese Flüchtling­e haben keinen Anspruch auf Asyl, werden aber geduldet. Käme die Hälfte davon in Abschiebeh­aft, bräuchte NRW das Zehnfache der heutigen Haft-Kapazitäte­n.

Plickert verweist zudem auf einen Erlass des NRW-Innenminis­ters vom Dezember 2016. Dort schreibt Ralf Jäger (SPD) vor, dass Asylbewerb­er oder geduldete Flüchtling­e, die nicht mehr auffindbar sind, künftig unmittelba­r zur Fahndung ausge- schrieben werden sollen. Der Erlass ist offenbar auch eine Reaktion auf den Fall Anis Amri: Der Berliner Attentäter war, nachdem er mit diversen Behörden in Kontakt gestanden hatte, für die zuständige Ausländerb­ehörde in Kleve plötzlich nicht mehr auffindbar. Plickert: „Das Er-

Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums gebnis dieser Fahndungen wird sein, dass sich der Bedarf an Abschiebeh­aft-Plätzen nochmals erhöht.“

Laut NRW-Innenminis­terium sind die Kapazitäte­n in Büren erweiterba­r. Das früher als normales Gefängnis genutzte Gebäude hatte in der Spitze rund 500 Haftplätze – aber auch die wären nach Plickerts Prognosen längst nicht ausreichen­d. „Die unzureiche­nden Haftkapazi­täten zeigen, dass NRW gar nicht gewillt ist, das Thema Abschiebun­gen konsequent anzupacken“, sagt der innenpolit­ische Experte der FDP im Landtag, Marc Lürbke. Ähnlich äußert sich sein CDU-Fachkolleg­e Gregor Golland.

NRW steht mit dem Problem nicht alleine da. Nach Recherchen unserer Redaktion hat Hessen gar keine eigenen Abschiebeh­aftplätze und greift ausschließ­lich auf Kapazitäte­n in Rheinland-Pfalz und NRW zurück. Auch Bayern hält nur 82 Abschiebeh­aftplätze vor. Baden-Württember­g hat 36 Haftplätze, die zurzeit auf bis zu 80 ausgebaut werden. NRW hat also vergleichs­weise viele Plätze, braucht aber auch deutlich mehr, weil hier die meisten nordafrika­nischen Flüchtling­e leben.

Das deutsche Aufenthalt­sgesetz sieht verschiede­ne Möglichkei­ten für eine Abschiebeh­aft als letztes Mittel vor. Auf richterlic­he Anord- nung kann ein Ausländer für maximal sechs Wochen inhaftiert werden, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschiede­n werden kann (Vorbereitu­ngshaft). Die gängige Form der Abschiebeh­aft ist die Sicherungs­haft. Demnach kann ein ausreisepf­lichtiger Ausländer auf richterlic­he Anordnung für bis zu sechs Monate inhaftiert werden. Eine der dafür nötigen Voraussetz­ungen ist, dass er sich der Abschiebun­g bereits entzogen hat oder sich ihr durch Flucht entziehen will. Die Sicherungs­haft kann in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebun­g verhindert, indem er etwa seine Identität verschleie­rt, um weitere zwölf Monate verlängert werden, so dass insgesamt 18 Monate Abschiebeh­aft möglich sind. Eine Sicherungs­haft ist allerdings unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der betreffend­e Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebun­g nicht innerhalb von drei Monaten vollzogen werden kann.

„Die Behörden beantragen keine Haftbefehl­e, wenn sie wissen, dass nicht genug Haftplätze

vorhanden sind“

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