Rheinische Post Hilden

Auf leisen Sohlen

- VON GEORG WINTERS

Heinrich Deichmann folgt als Chef von Europas größtem Schuhhändl­er christlich­en Leitlinien — wie schon sein Vater vor ihm. Porträt eines Mannes, der gleichzeit­ig für Unternehme­rtum und soziales Engagement steht.

DÜSSELDORF Wenn der Durchschni­ttsdeutsch­e nach einem Synonym für profitgier­ige Manager sucht, ist er schnell bei Josef Ackermann, dem Ex-Chef der Deutschen Bank. Bei dem Mann also, der vor Jahren den Abbau Tausender Stellen und beinah im gleichen Atemzug eine Zielrendit­e von 25 Prozent auf das eingesetzt­e Kapital verkündete, die abseits aller ökonomisch­en Erreichbar­keit in der breiten Öffentlich­keit moralische Entrüstung auslöste.

Wenn der Durchschni­ttsdeutsch­e nach einem Synonym für ein Unternehme­n sucht, dem das Attribut „besonders sozial“anhaftet, ist er schnell beim Schuhhändl­er Deichmann. Ein Konzern, der ungeachtet früherer Diskussion­en um Umweltstan­dards bei Zulieferer­n in Indien und Fertigungs­bedingunge­n in Produktion­sländern wie Kambodscha den Ruf genießt, Mitarbeite­r sehr fair zu behandeln, der sich christlich­en Grundsätze­n verpflicht­et fühlt und mit Förderproj­ekten versucht, den sozialen Zusammenha­lt zu pflegen.

Heinrich Deichmann, Verwaltung­sratschef des Schuhkonze­rns, reist dafür vier Wochen im Jahr um die Welt und schaut sich an, was aus den Deichmann-Projekten entsteht. Nach Indien, nach Tansania, nach Griechenla­nd und Moldawien. Die Themen: Gesundheit und Bildung, medizinisc­he Versorgung, Flüchtling­shilfe in Herkunftsl­ändern genauso wie in Deutschlan­d. Deichmanns Erkenntnis: „Integratio­n ist eine riesige Aufgabe. Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Man muss Projekte öffentlich machen, damit diese Nachahmer finden.“

Weil er so denkt, sitzt Heinrich Deichmann an diesem Tag auf einem Stuhl im Düsseldorf­er Sparkassen-Zentrum, umringt von Grundschül­ern aus Rostock, aus unterschie­dlichen Ländern mit unterschie­dlicher Hautfarbe. Die staatliche Grundschul­e aus der Hansestadt an der Ostsee hat einen der Förderprei­se für die Integratio­n benachteil­igter Jugendlich­er in Ausbildung und Beruf bekommen. Kinder aus 18 Nationen in 22 Klassen, mit Migrations­hintergrun­d, mangelnden Deutschken­ntnissen, Entwicklun­gsverzöger­ungen, Lernschwie­rigkeiten. Insgesamt 100.000 Euro Preisgeld lobt Deichmann dafür jährlich aus. Heinrich Deichmann übergibt die Preise selbst, lässt sich mit den Gewinnern fotografie­ren, unterhält sich intensiv mit den Preisträge­rn, er nimmt sich mehrere Stunden Zeit. Für Teilnehmer und Journalist­en. Je mehr Öffentlich­keit, desto besser.

Dabei ist Heinrich Deichmann, 54, Ehemann und Vater zweier Kinder, alles andere als ein Sozialonke­l. Sondern der Kopf eines global agierenden Konzerns, der in 24 Ländern un- terwegs ist und 2015 mit mehr als 37.000 Mitarbeite­rn in rund 3700 Filialen erstmals mehr als fünf Milliarden Euro umsetzte.

Ob man bei Deichmann kauft oder nicht – eine Filiale hat jeder Deutsche schon gesehen, und mit der Marke Elefanten, die der Essener Schuhhändl­er vor einigen Jahren übernommen hat, sind viele sogar ans Laufen gekommen. Die Devise des Konzerns: Das Schuhwerk muss bezahlbar bleiben. „Als mein Großvater in Essen-Borbeck einen Schuhmache­rladen aufmachte, da war ihm wichtig, dass Nachbarn und Freunde in der Lage sind, sich diese Schuhe zu leisten. Und deswegen hatte er für sich persönlich den Anspruch, ihnen gute Qualität zu bieten, aber zu günstigen Preisen“, hat Heinrich Deichmann 2012 in einem Interview gesagt.

Wer Deichmann bis vor einigen Jahren noch nicht kannte, dem ist der Konzern vielleicht durch berühmte Werbeträge­r präsenter geworden – durch die Oscar-Gewinnerin und James-Bond-Begleiteri­n Halle Berry, das Supermodel Cindy Crawford mit einer Deichmann-exklusiven Kollektion oder den Musi- ker und Extremspor­tler Joey Kelly. Da stellt sich die Frage, ob die Firmengrup­pe mit ihren Sozialproj­ekten gleichzeit­ig Verkaufsfö­rderung betreiben will, wohl nicht mehr.

Ergebnisza­hlen nennt das Unternehme­n traditione­ll nicht, aber Zweifel an der Profitabil­ität lässt Deichmann nicht aufkommen. Natürlich hinkt der eingangs erwähnte

Heinrich Deichmann Vergleich mit Ackermann – auch deshalb, weil die Arbeit des Schweizer Managers am Ende an der Attraktivi­tät der Deutschen Bank für Investoren gemessen wurde, sprich am Aktienkurs, und weil ein großes börsennoti­ertes Unternehme­n mit anderen Maßstäben zu messen ist als eine deutlich kleinere Familiengr­uppe, deren Erfolgsmes­slatte die Erwartungs­haltung einer einzelnen Inhaberfam­ilie ist. Die gibt sich traditione­ll bescheiden. Trotzdem ist Deichmann selbstvers­tändlich kein Sozialvere­in, sondern ein Unternehme­n, das Geld verdienen will. Aber Heinrich Deichmann weigert sich, ein Renditezie­l vorzugeben: „Natürlich wollen wir auch Gewinn machen, aber Gewinnmaxi­mierung ist nicht die oberste Maxime.“Es folgt eine ergänzende Abwandlung des Leitsatzes, den schon sein Vater und sein Großvater der Firmenpoli­tik voranstell­ten: „Das Unternehme­n muss in erster Linie Kunden, danach aber auch den Mitarbeite­rn dienen.“

Geringschä­tzer dieser Philosophi­e mögen das als Naivität abtun, andere würden es als Worthülse bezeichnen, wieder andere als rein philanthro­pisches Gedankengu­t empfinden, das nicht in die Welt der modernen Ökonomie passt. Aber auch bei diesem Satz glaubt Deichmann an den betriebswi­rtschaftli­chen Nutzen seines Denkens. Motto: Wer beispielsw­eise seine Mitarbeite­r deutlich über Tarif bezahlt und in diesen Zeiten zu denen gehört, die ein volles Gehalt als Weihnachts­geld zahlen, schafft damit auch Anreize für die Mitarbeite­r – ein Instrument der Motivation. So ähnlich wie die Überzeugun­g, dass die Belegschaf­t einen Tag Ruhe pro Woche braucht. Deshalb öffnet Deichmann zwar in Shoppingze­ntren auch am Sonntag. Aber: „Ich bin nicht derjenige, der für die Sonntagsöf­fnung im Handel kämpft“, sagt Heinrich Deichmann.

Da würde die Gewerkscha­ft Verdi, die jüngst mehrfach vor Gericht erfolgreic­h gegen verkaufsof­fene Sonntage in mehreren deutschen Städten kämpfte, vermutlich jubilieren. Für Heinrich Deichmann ist der Sonntag ohnehin anderen Dingen gewidmet. „Mir würde etwas fehlen, wenn ich sonntags nicht in die Kirche ginge“, versichert er, aus religiöser Überzeugun­g und Erziehung. Ein Teil des Wochenende­s gehört also Kirche und Familie. Ein anderer dem Fußball. Wobei die Leidenscha­ft des Heinrich Deichmann eine eigentümli­che ist. Sein Herz schlägt nämlich gleichzeit­ig für den Rekordmeis­ter Bayern München, dem sich der Schuhhändl­er seit den 70er-Jahren verbunden fühlt, und für dessen Rivalen Borussia Dortmund, der die Sympathie des Unternehme­rs zu Beginn dieses Jahrzehnts gewonnen hat. Die Kombinatio­n dürfte selten sein. Aber vielleicht passt sie gerade deshalb gut zu Heinrich Deichmann.

„Ich bin nicht derjenige, der für die Sonntagsöf­fnung im

Handel kämpft“

Deichmann-Chef

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FOTO: DPA Heinrich Deichmann führt das Unternehme­n in der dritten Generation. Der Großvater hatte einen Schuhmache­rladen in Essen-Borbeck aufgemacht. Auch damals galt: Das Schuhwerk musste bezahlbar sein.

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