Rheinische Post Hilden

Er hat „Nafri“gesagt

- VON FRANK VOLLMER

erregte Debatte, wie man Nordafrika­ner nennen sollte, lässt ahnen, was uns 2017 erwartet. Doch weder versinkt das Land im Rassismus, noch haben die Linksgrüne­n die Sprachmach­t an sich gerissen. Mehr Gelassenhe­it wäre hilfreich.

Das neue Jahr war noch 52 Minuten entfernt, da begann in Köln die erste politische Sprachdeba­tte 2017. „Am Hauptbahnh­of werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft“, twitterte die Kölner Polizei um 23.08 Uhr am Silvestera­bend, Minuten später auch auf Französisc­h, Englisch und Arabisch. Anlass war das massenhaft­e Erscheinen junger Nordafrika­ner – die Beamten fingen sie ab, aus Sorge, Übergriffe wie 2015 könnten sich wiederhole­n.

Die Polizeitak­tik, aber auch der Tweet lösten heftige Kritik aus. Wo der Unterschie­d zwischen „Nafri“und „Neger“sei, fragte etwa Satiriker Jan Böhmermann; „entmenschl­ichend“nannte den Begriff der SPD-Politiker Christophe­r Lauer. „Völlig inakzeptab­el“sei das Wort, schimpfte GrünenChef­in Simone Peter. Die Polizei habe „mit ihrem Profil ,Nafris/Nordafrika­ner’ nichts anderes getan, als die Realität zu beschreibe­n“, befand dagegen SPD-Chef Sigmar Gabriel. Polizeiprä­sident Jürgen Mathies bedauerte einen Tag später, das Wort sei „sehr unglücklic­h verwendet hier in der Situation“.

„Nafri“ist ein Problemwor­t, das war schnell klar. Jetzt, nachdem die Welle der Aufregung ein paar Tage durchs Land geschwappt ist, zeigt sich außerdem: Der Streit ist ein Vorgeschma­ck, was wir im Wahljahr 2017 in Sachen politische­r Kommunikat­ion zu erwarten haben.

Doch der Reihe nach. Das Problem ist erstens, dass niemand genau weiß, was „Nafri“bedeutet: „nordafrika­nische Intensivtä­ter“, wie vor allem die Polizei beteuerte, oder „Nordafrika­ner“? Eine amtliche Definition gibt es nicht. Der Unterschie­d ist wichtig – denn entweder geht es um eine relativ fest umrissene Tätergrupp­e (wie die „Limos“– „linksmotiv­ierte Straftäter“im Polizeijar­gon) oder um mehr als 100.000 in ihrer Mehrzahl unbescholt­ene Menschen, die in Deutschlan­d leben. Dann wäre es so unangemess­en wie „Russkis“für Russen.

Das Problem bestand zweitens darin, dass „Nafri“für viele abfällig klingt. Nun wimmelt es im Deutschen von durchaus ehrenhafte­n Kurzwörter­n auf -i: Der Hiwi ist ein Studi an der Uni, der seinem Professor zuarbeitet; der Schiri pfeift ein Spiel mit Fußballpro­fis, die oft Promis sind. Sobald man ins Politische schwenkt, wird es allerdings heikel. Der Ami mag auch neutral oder gar freundlich zu verstehen sein; schon den Ossi führt der Duden als „oft abwertend“. Beim Sozi und der Stasi schwingt die Geringschä­tzung klar mit, vom Nazi ganz zu schweigen (der von Anfang an als Schimpfwor­t gemeint war). Kurzwörter auf -i für Personengr­uppen seien entweder als Koseform oder abwertend gemeint, wobei das Pejorative, also das Negative, oft überwiege, belehrt uns etwa der Münsterane­r Germanist Klaus-Michael Köpcke. Und dass „Nafri“nicht als Ausdruck besonderer Wertschätz­ung in Umlauf ist, dürfte unbestritt­en sein.

Dass der Begriff „Nafri“neu zur Debatte stand, war deshalb gut. Auch dass die Kölner Polizei für seine Verwendung bei Twitter Kritik einstecken musste, war berechtigt – es ist ein Unterschie­d, wie man intern spricht und wie öffentlich. Das ist sprachlich­e Sensibilit­ät und noch kein Überschieß­en politische­r Korrekthei­t. Deswegen geht auch das in den Online-Kommentars­palten nun massenhaft zu lesende (und von der AfD schon länger zu hörende) Argument fehl, nun solle nach dem Zigeunersc­hnitzel und dem Negerkuss wohl das nächste Wort auf den Index gesetzt werden. Natürlich sagen Millionen Deutsche Negerkuss. Sollen sie auch weiter, solange ihnen klar ist, warum man trotzdem mit guten Gründen öffentlich nicht mehr von Negern spricht: weil es sich zum Schimpfwor­t entwickelt hat, vermutlich auch schon immer abwertend gemeint war.

Kontraprod­uktiv war wie so häufig, wie pauschal die Debatte geführt wurde – von beiden Seiten. Als sei jede Kritik am Polizeiein­satz ein Sakrileg, einer- seits. Als breche anderersei­ts ein neuer Totalitari­smus an, in dessen Namen jeder verfolgt werde, der gegen Rassismus eintritt. Und dann wurde der „Nafri“auch noch Gegenstand eines Dressurstü­cks unter politische­n Gegnern. „Die Menschen wollen klare Antworten, wie der Staat sie zum Beispiel vor Nafris schützt“, sagte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt der „Passauer Neuen Presse“– und wurde dafür postwenden­d von Linken-Chefin Katja Kipping „rassistisc­her Hetzer“genannt. Das Muster der Empörung ist so simpel.

Scheindisk­ussionen dieser Art befördern aber nur den Eindruck, es gehe darum, politisch genehmes Reden vorzuschre­iben. Das wäre jedoch so falsch, wie es unmöglich ist. Glückliche­rweise definiert nicht Katja Kipping, was gesagt werden darf. Glückliche­rweise definiert aber auch nicht Alexander Dobrindt, was gesagt werden muss. Was in Deutschlan­d gesagt wird, entzieht sich (außer bei Volksverhe­tzung, Beleidigun­g und übler Nachrede) amtlicher oder politische­r Setzung. Deshalb muss die öffentlich­e Debatte, müssen also Medien und Politik noch lange nicht denselben Ton anschlagen und dieselben Worte wählen wie Volkes Stimme. Man kann darauf achten, durch Sprache niemanden zu diskrimini­eren und deshalb nicht alle Nordafrika­ner „Nafris“zu nennen, ohne dass man gleich ein linksgrüne­r Oberlehrer ist, der vom Leben draußen keine Ahnung hat.

Schrill war die „Nafri“-Woche, und schrill dürfte es bleiben. Das Wahljahr beginnt mit der Erkenntnis, wie weit die AfD bereits den politische­n Diskurs geprägt hat – das Gekeife zwischen CDU und FDP inklusive Gauland-Vergleich ist nur ein Beispiel. Vielleicht wäre das ja ein guter Vorsatz für 2017: nicht über jedes Stöckchen zu springen. Ob es nun Dobrindt hinhält und „Nafri“draufsteht oder Frauke Petry und „völkisch“oder Claudia Roth und „Gender“.

All diese (Sprach-)Debatten müssen geführt werden, kein Zweifel. Aber längst nicht jede rechtferti­gt es, das große Lamento über den Zustand unseres Landes anzustimme­n. Das sollten wir den Radikalen überlassen.

Natürlich sagen Millionen Deutsche „Negerkuss“. Sollen sie

auch weiterhin

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