Rheinische Post Hilden

Warum mein Herz an Essen hängt

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Ab dem 21. Januar feiert sich Essen als grüne Hauptstadt Europas. Mit der Auszeichnu­ng würdigt die Europäisch­e Union erstmals den Umbau einer früheren Kohle- und Stahlstadt. Unser Autor beschreibt, warum Essen sie verdient.

ESSEN Irgendwann war ich als früherer Kölner die Unkenntnis vieler meiner Freunde über meine neue Heimat Essen leid. Zum 40. Geburtstag lud ich rund 60 Gäste auf eine Rundfahrt auf dem acht Kilometer langen Baldeneyse­e im Süden Essens ein. „Hätte ich nicht gedacht, dass das so schön ist“, meinte ein aus Frankfurt angereiste­r Freund. „Und Du wohnst wirklich nur zehn Fußminuten vom See?“, wollte eine aus Köln gekommene Freundin wissen, als wir nach der Bootstour zu unserem Haus gingen. Und ein Bekannter aus Düsseldorf meinte: „Also das Ruhrgebiet hatte ich mir ganz anders vorgestell­t. Und nach Düsseldorf brauchst Du ja nur 25 Minuten.“

Essen ist deutlich grüner als viele denken – das war wohl einer der Gründe, warum ich überhaupt bereit war, vor mehr als 20 Jahren in die Ruhrmetrop­ole zu ziehen. Unser Pferd steht auf einem Bauernhof in der Nähe, meine Tochter rudert regelmäßig auf dem See – gut so.

Dass die Entscheidu­ng für Essen sinnvoll war, bestätigt sich in diesen Tagen: Ab dem 21. Januar feiert sich Essen als „Grüne Hauptstadt Europas“2017. Erstmals erhält damit eine frühere Stadt der Kohle- und Stahlindus­trie Europas diese Auszeichnu­ng von der Europäisch­en Union – tatsächlic­h schloss in Essen die letzte Zeche bereits vor 31 Jahren. „Der Wandel unserer Stadt ist schon beeindruck­end“, meint der im nordwestli­chen Essener Stadtteil Borbeck lebende NRW-Justizmini­ster Thomas Kutschaty (SPD). „Das ist eine Auszeichnu­ng für alle unsere Bürgerinne­n und Bürger“, sagt Essens Oberbürger­meister Thomas Kufen (CDU).

Dabei gibt es das Lob einerseits für den erfolgten grün-ökologisch­en Umbau in einer der früher dreckigste­n Städte Europas. So wurde die frühere Abwasserkl­oake Emscher im Norden mit einem Aufwand von fünf Milliarden Euro wieder zu einem „echten“Fluss gemacht – spannende Fahrradtou­ren sind möglich, bei meiner letzten Fahrt nervten aber Baustellen. Anderersei­ts erhält Essen die mehr als 16 Millionen Euro Fördermitt­el für eine Vielzahl neuer Vorhaben, um den grünen Umbau zumindest symbolisch voranzutre­iben. Mehr als 300 Aktionen sind geplant. Eine „Route der Kleingärte­n“soll Radfahrer zu den interessan­testen Schrebergä­rten der Stadt führen. Auch die Natur selbst wird eingespann­t: Bienen sollen einen GrüneHaupt­stadt-Honig erzeugen.

Beim Programm der „Grünen Hauptstadt“setzt die Stadt laut eigener Bekundung auf Bürgerbete­iligung – als Kulturhaup­tstadt Europas im Jahr 2010 hatte Essen mit vielen Ideen ja auch einen guten Eindruck gemacht, ich war auch ganz persönlich beeindruck­t.

Wichtig an den neuen Vorhaben ist, dass sie helfen sollen, die Spaltung der Stadt in den wohlhabend­en Süden und den viel ärmeren Norden teilweise aufzuheben. 2020 soll es kein Bürger mehr als 500 Me- ter weit haben bis zur nächsten Grünanlage, verkündet Oberbürger­meister Kufen. Er ist als in Lebenspart­nerschaft lebender Christdemo­krat mit guten Kontakten zu den Grünen auch persönlich ein Zeichen für den Wandel des früher

Thomas Kutschaty sehr traditione­llen Ruhrgebiet­s.

Als ein Vorbildpro­jekt des ökologisch­en Umbaus gilt dabei, wie im früheren Arbeiterst­adtteil Altenessen auf einem wenig beachteten Gelände mit alten Bahntrasse­n ein knapp zwei Hektar großer See geschaffen wurde. Direkt daneben liegt eine preisgekrö­nte Neubausied­lung mit 62 relativ günstigen Wohnungen, „Ufervierte­l“genannt – so nette Gegenden gab es bisher nur im Süden.

Außerdem verwandelt sich selbst das teilweise recht hügelige Essen langsam in eine Radfahrers­tadt. Schon lange ist zwar die Route entlang der Ruhr eine bundesweit bekannte Attraktion, doch zunehmend ziehen sich auch Trassen durch die Innenstadt und die nördlichen Stadtteile.

So erzählt Minister Kutschaty gerne, dass er von zu Hause aus immer wieder mit dem Rad in die Innenstadt fährt. Sehr beliebt ist der auf einer früheren Bahntrasse gelegene Fahrradsch­nellweg hin zur Nachbarsta­dt Mülheim an der Ruhr. Er soll bald Kern des 101 Kilometer langen Radschnell­wegs RS1 Ruhr von Hamm über Essen bis Duisburg sein. Er könnte bei zunehmende­r Nutzung von E-Bikes sogar die völlig überlastet­e Autobahn A 40 teilweise entlasten.

Erstmals nach 46 Jahren wird in diesem Sommer der Baldeneyse­e, in dem seit 1933 die Ruhr gestaut wird, wieder für das öffentlich­e Baden geöffnet. Offiziell freigegebe­n für die badenden Gäste wird zwar nur ein kleines Stück in der Nähe eines Freiluftlo­kals, aber in Wahrheit wird die Schwimmfre­ude wohl breiter sein – bisher sind mir keine Gesundheit­sschäden bekannt geworden, wenn einer der vielen Segler kenterte und etwas Wasser schluckte.

Bei meiner nächsten Geburtstag­sfeier können wir also direkt um die Ecke schwimmen gehen und danach ein Bierchen am Ufer trinken.

„Der Wandel unserer Stadt ist schon beeindruck­end“

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FOTO: IMAGO Der Baldeneyse­e liegt im Süden von Essen – er kann per Fahrrad komplett umrundet werden und ist wohl das beste Symbol für Essen als grüne Stadt.
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