Rheinische Post Hilden

Demokratie – noch zu männlich

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Noch immer sind Frauen trotz jahrzehnte­langer Kämpfe um Gleichstel­lung auch in westlichen Parlamente­n unterreprä­sentiert. Mit dem Erstarken der Rechten drohen erneut Rückschrit­te.

Eine junge Athenerin tut etwas Ungeheuerl­iches. Von dem Krieg, den die Männer ihres Landes seit 20 Jahren führen, hat sie genug. Sie will nicht länger zusehen, wie Ehegatten, Söhne, Väter dahingemet­zelt werden. So bringt sie die Athenerinn­en dazu, sich mit den Frauen des Gegners zu verbünden und in einen Sexstreik zu treten. Der Plan geht auf – Athen und Sparta schließen Frieden.

Die Komödie „Lysistrata“des griechisch­en Dichters Aristophan­es wurde im Jahr 411 v. Chr. uraufgefüh­rt. Rund 2400 Jahre später wirkt es nicht unwahrsche­inlich, dass Frauen auch heute auf ein solches Mittel angewiesen wären, um über Krieg und Frieden mitzubesti­mmen: Selbst in den demokratis­chen Systemen der westlichen Welt sind Frauen bis heute nicht angemessen repräsenti­ert.

Der weltweite Frauenante­il in den Parlamente­n liegt Angaben der Europäisch­en Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) zufolge auch im 21. Jahrhunder­t noch zwischen durchschni­ttlich 14 Prozent (in Systemen mit Mehrheitsw­ahlrecht) und 25 Prozent (in Systemen, in denen das Verhältnis­wahlrecht gilt). Im Deutschen Bundestag sitzen laut EAF 37,1 Prozent weibliche Abgeordnet­e (Stand: November 2016) – obwohl Frauen etwas mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerun­g ausmachen. Besonders schwach sind sie hierzuland­e auf kommunaler Ebene repräsenti­ert: Nur 9,1 Prozent der Bürgermeis­ter sind weiblich.

Seit 200 Jahren kämpfen Frauen in Deutschlan­d um gleichbere­chtigte politische Teilhabe. Inspiriert von den Ideen der Französisc­hen Revolution kristallis­ierten sich im 19. Jahrhunder­t zwei Strömungen heraus: eine bürgerlich­e und eine proletaris­che. 1843 war es, als die Bürgerstoc­hter Louise Otto-Peters forderte: „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht.“Sie gilt als eine der Gründerinn­en der ersten Welle der deutschen Frauenbewe­gung. Zusammen mit Auguste Schmidt rief sie den „Allgemeine­n deutschen Frauenvere­in“ins Leben, der sich unter anderem für eine freie Berufswahl einsetzte. Und für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit – eine Forderung, die noch heute aktuell ist. Die proletaris­che Frauenbewe­gung, angeführt von der Sozialisti­n Clara Zetkin setzte einige Jahrzehnte später zwar mit der Forderung eines verbessert­en Mutterschu­tzes und Arbeitszei­tverkürzun­gen etwas andere Schwerpunk­te. Einig waren sich die Frauen aber in ihrer Forderung nach Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er in Politik und Wirtschaft. Sie hatten Erfolg: Im November 1918 wurde das aktive und passive Wahlrecht der Frauen in Deutschlan­d gesetzlich verankert.

Rund 20 Jahre später drehten die Nationalso­zialisten die Zeit zurück: Das passive Wahlrecht wurde den Frauen genommen, ebenso die Möglichkei­t zur Habilitati­on. Bestimmte wissenscha­ftliche und technische Berufe wurden Frauen verboten. Das änderte sich erst mit der Gründung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. In Artikel 3 des Grundge-

Helga Lukoschat setzes steht: „Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt.“

De facto konnte 1949 von Gleichbere­chtigung noch keine Rede sein. In Deutschlan­d galt die „Hausfrauen­ehe“; Frauen waren zur Haushaltsf­ührung verpflicht­et und mussten die Erlaubnis ihres Ehemannes einholen, wenn sie berufstäti­g sein wollten. In politische­n Ämtern waren Frauen in der jungen Bundesrepu­blik kaum vertreten. 1961 wurde Elisabeth Schwarzhau­pt (CDU) als erste Frau zur Bundesmini­sterin ernannt, sie leitete das Gesundheit­sressort. Weitere 44 Jahre dauerte es bis zur ersten Bundeskanz­lerin.

Der zweiten Welle der Frauenbewe­gung gelang es, weitere Anachronis­men zu beenden. In der Studentenb­ewegung der 60er Jahre machten Frauen in autonomen Gruppen und Netzwerken öffentlich­keitswirks­am auf Benachteil­igungen aufmerksam. Zu den Hauptforde­rungen zählten das Recht auf Selbstbest­immung, aktives Mitsprache­recht in der Politik oder die Straffreih­eit bei Schwangers­chaftsabbr­üchen in den ersten drei Monaten.

Und heute? „Fraueninte­ressen sind in Deutschlan­d im Vergleich zu anderen Belangen wie etwa dem Umweltschu­tz schwach organisier­t“, sagt Helga Lukoschat, Chefin der EAF in Berlin. Eine Ursache sei, dass Frauen sich in sehr unterschie­dlichen Lebenssitu­ationen und Loyalitäte­n befänden – anders als beispielsw­eise Landwirte, die in einem Bauernverb­and leicht Gleichgesi­nnte treffen könnten, um gemeinsam ihre Interessen zu vertreten.

Dabei gibt es Lukoschat zufolge in Deutschlan­d einen Reformstau, gerade in geschlecht­erpolitisc­hen Fragen, etwa bei der Vereinbark­eit von Familie und Beruf oder der gleichbere­chtigen Aufteilung zwischen Ehepartner­n bei Elternzeit und Elterngeld. Die Wissenscha­ftlerin spricht sich für ein Paritätsge­setz in der Politik aus, wie es in Frankreich seit 2001 gilt. Demnach müssen auf Kandidaten­listen nach dem Reißversch­luss-Prinzip abwechseln­d eine Frau und ein Mann platziert sein. Ein solches Gesetz könne zudem verhindern, dass der Frauenante­il nach den nächsten Wahlen wieder sinke, wenn die AfD in weitere Parlamente einzieht, meint Lukoschat. „Die AfD hat in der Regel weniger Kandidatin­nen als andere Parteien“, so die EAF-Chefin.

Mit der Sorge vor Rückschrit­ten in der Gleichstel­lung steht Lukoschat spätestens seit der Wahl von Donald Trump in den USA nicht allein. Auch wenn sich viele deutsche Politikeri­nnen bisher nicht so deutlich äußern wie Österreich­s ehemalige Frauenmini­sterin und amtierende SPÖ-Frauenvors­itzende Gabriele Heinisch-Hosek, die vor einiger Zeit in einem Interview sagte: „Dieser Rückschrit­t bei Frauenrech­ten ist deutlich zu spüren.“

„Fraueninte­ressen sind

in Deutschlan­d im Vergleich schwach

organisier­t“

Chefin Europäisch­e Frauen-Akademie

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