Rheinische Post Hilden

SPD entwirft Schlachtpl­an in Düsseldorf

- VON JAN DREBES, LUDWIG KRAUSE UND EVA QUADBECK

Die Parteispit­ze plante ein „Geheimtref­fen“, um die Personal- und Themenstra­tegie festzuzurr­en. Doch geheim blieb es nicht.

DÜSSELDORF/BERLIN Erst werden im Restaurant „Albatros” im AirportHot­el Lindner ein paar Tische zusammenge­schoben, dann schüttelt der Kellner den Kopf. „Zu sehr auf dem Präsentier­teller”, befindet er. Also alles von vorne, dieses Mal abgeschirm­ter, die wichtigste­n Sozialdemo­kraten der Republik sollen mehr Privatsphä­re haben.

Mit einer der ersten Linienmasc­hinen landet der SPD-Vorsitzend­e Sigmar Gabriel am Morgen in Düsseldorf, fährt zum Landtag, um der SPD-Fraktion einen Besuch abzustatte­n. Gleichzeit­ig beginnen im Hotel im Stadtteil Unterrath die Vorbereitu­ngen für das abendliche Spitzentre­ffen. Es soll um nicht weniger als die strategisc­he Ausrichtun­g der Partei für den Bundestags­wahlkampf 2017 gehen, mit dem man endlich Bundeskanz­lerin Angela Merkel stürzen will. Programm, Personal, Kanzlerkan­didat: Dem Vernehmen nach soll alles auf den Tisch, schön vertraulic­h bitte. Deswegen wollten die Sozialdemo­kraten bis zuletzt geheimhalt­en, wo genau sie sich in der Landeshaup­tstadt zusammense­tzen.

Sie entschiede­n sich für ein Haus, das vor allem bei Geschäftsl­euten und Messebesuc­hern beliebt ist: außerhalb des Zentrums, schnelle Anbindung zum Flughafen, in direkter Nachbarsch­aft zu jenen Wiesen, auf denen einst Kartäuser-Mönche zurückgezo­gen im Kloster lebten.

Am Abend ist das Vorhaben gescheiter­t. Mehrere Redaktione­n erfahren vom Veranstalt­ungsort, Dutzende Kamerateam­s bringen sich nun in Stellung, Übertragun­gswagen werden geparkt. Von einem Geheimtref­fen kann wirklich keine Rede mehr sein.

Drinnen sah der ursprüngli­che Ablaufplan durchaus eine Dramaturgi­e der Vertraulic­hkeit vor. Zunächst sollten Gabriel, NRW-Ministerpr­äsidentin und SPD-Vizechefin Hannelore Kraft sowie Noch-EUParlamen­tschef Martin Schulz bei einem Abendessen à la carte im Restaurant „Albatros“zusammensi­tzen, bevor man die anderen Mitglieder der engsten Führung in einem Konferenzr­aum getroffen hätte. Schulz musste jedoch für die Beerdigung des einstigen portugiesi­schen Präsidente­n Mário Soares nach Lissabon reisen und nimmt nicht teil.

Und als dann zur Überraschu­ng der Genossen zahlreiche Journalist­en im Restaurant auf die Protagonis­ten warteten, tritt nur Generalsek­retärin Katarina Barley für einige Sätze vor die Mikrofone – und die Kellner decken den vorbereite­ten Tisch wieder ab. „Wir treffen uns heute in Düsseldorf, um über die in- haltliche Ausrichtun­g für die nächsten Monate zu sprechen“, sagt sie. Es sei der SPD wichtig, „nicht immer nur auf die Schreihäls­e links und rechts außen zu schauen, sondern auf die Menschen, die die Gesellscha­ft voranbring­en“. Personalen­tscheidung­en werde es nicht geben.

Das ist die offizielle Botschaft: Die Partei hält eisern an ihrem Zeitplan fest, den Kanzlerkan­didaten erst bei einer Vorstandsk­lausur am 29. Januar in Berlin zu nominieren. Und tatsächlic­h parieren die Genossen die hartnäckig­en Fragen der Journalist­en mit eben diesem Satz.

Doch längst scheint klar, dass alles auf Gabriel hinausläuf­t. Jede andere Variante würde die Partei in unruhiges Fahrwasser bringen, Ga-

Sigmar Gabriel briel gilt im Vorstand als gesetzt für das Rennen gegen Merkel. Mit seinem Besuch in Düsseldorf wertet er die Bedeutung Nordrhein-Westfalens für die Bundestags­wahl auf, nennt Kraft vor der Fraktion „die Seele des Landes“und spricht mit Blick auf die Abstimmung im Mai von einer „kleinen Bundestags­wahl“. Anfragen zum Treffen am Abend und der K-Frage kontert er vor dem Landtag aber nur forsch mit diesen schmalen Sätzen: „Wir reden über die Inhalte des Wahlkampfs. Ich weiß gar nicht, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, dass wir über Personal reden.“

Doch welche Inhalte werden das sein, die der SPD-Kanzlerkan­didat den Bürgern bis zur Bundestags­wahl im September schmackhaf­t machen will? Die Debatte darüber führt der Parteichef am Abend bei Brötchen, Obst und Roter Grütze mit dem engsten SPD-Führungszi­rkel in einem Konferenzr­aum: Gabriels Stellvertr­eter sind angereist, darunter Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz (der neben Martin Schulz durchaus als Alternativ­kandidat zu Gabriel gehandelt wurde), auch Fraktionsc­hef Thomas Oppermann ist da.

Einige Themen gelten bereits als gesetzt, bei anderen debattiert die Partei noch lebhaft. So soll soziale Gerechtigk­eit oben auf der Agenda stehen. Nach dem rund dreistündi­gen Treffen betonte Barley, das sei der Markenkern der SPD. Was sie nicht sagt: Die Parteispit­ze debattiert­e in Düsseldorf durchaus darüber, ob das Thema innere Sicherheit nicht einen höheren Stellenwer­t einnehmen solle. Gabriel hatte auch zuvor mehrfach betont, dass er einen inhaltlich­en Wahlkampf anstrebt, mit möglichst großer Distanz zur Union. Tenor: Es wäre Gift, den Eindruck eines Einheitsbr­eis zu vermitteln, und die große Koalition ist keine attraktive Perspektiv­e – zumal so der Einzug eines Genossen ins Kanzleramt unmöglich wäre.

Und so setzt die SPD auf eine Handvoll Themen, die zwingend im nächsten Koalitions­vertrag stehen müssen. Wenn nicht, ziehe man die Opposition vor, hieß es. Die bei der Union verschrien­e Bürgervers­icherung ist ein Beispiel. Mit der Forderung, die private Krankenver­sicherung abzuschaff­en und alle Bürger gesetzlich zu versichern, haben die Sozialdemo­kraten bereits drei Wahlkämpfe eher erfolglos bestritten. Das soll nun anders werden. Als Blaupause gilt ein Modell, wonach die Beiträge für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er wieder gleich hoch liegen sollen, was zu einem Anstieg der Lohnnebenk­osten führen würde. Gutverdien­er müssten dann tiefer in die Tasche greifen.

Aber während bei der Bürgervers­icherung Einigkeit in der SPD herrscht, ist das Thema Steuern noch umstritten, das Thema Vermögenst­euer wackelt. Klar ist nur: Man will die mittleren und kleinen Einkommen entlasten. Dafür sollen Steuerschl­upflöcher gestopft werden. Außerdem soll ein Einwanderu­ngsgesetz nach kanadische­m Modell her, von der Kita bis zur Uni soll Gebührenfr­eiheit gelten. Barley ergänzte nach dem Treffen, dass man auch bei diesen Themen mehr Gerechtigk­eit wolle: „Ob bei hohen Mieten in Städten, ob bei Unordnung auf dem Arbeitsmar­kt, ob bei Breitbandv­ersorgung und Daseinsvor­sorge auf dem Land.“Über all dem steht jedoch die Prämisse: Der Kanzlerkan­didat muss zum Programm passen. Dass Gabriel dafür der Richtige sein könnte, bestreitet an diesem Abend niemand.

„Ich weiß nicht, wer auf die Idee kam, dass wir über Personal reden“

SPD-Vorsitzend­er

 ??  ?? Der Parteivors­itzende Sigmar Gabriel und Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft kommen zum Treffen.
Der Parteivors­itzende Sigmar Gabriel und Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft kommen zum Treffen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany