SPD entwirft Schlachtplan in Düsseldorf
Die Parteispitze plante ein „Geheimtreffen“, um die Personal- und Themenstrategie festzuzurren. Doch geheim blieb es nicht.
DÜSSELDORF/BERLIN Erst werden im Restaurant „Albatros” im AirportHotel Lindner ein paar Tische zusammengeschoben, dann schüttelt der Kellner den Kopf. „Zu sehr auf dem Präsentierteller”, befindet er. Also alles von vorne, dieses Mal abgeschirmter, die wichtigsten Sozialdemokraten der Republik sollen mehr Privatsphäre haben.
Mit einer der ersten Linienmaschinen landet der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Morgen in Düsseldorf, fährt zum Landtag, um der SPD-Fraktion einen Besuch abzustatten. Gleichzeitig beginnen im Hotel im Stadtteil Unterrath die Vorbereitungen für das abendliche Spitzentreffen. Es soll um nicht weniger als die strategische Ausrichtung der Partei für den Bundestagswahlkampf 2017 gehen, mit dem man endlich Bundeskanzlerin Angela Merkel stürzen will. Programm, Personal, Kanzlerkandidat: Dem Vernehmen nach soll alles auf den Tisch, schön vertraulich bitte. Deswegen wollten die Sozialdemokraten bis zuletzt geheimhalten, wo genau sie sich in der Landeshauptstadt zusammensetzen.
Sie entschieden sich für ein Haus, das vor allem bei Geschäftsleuten und Messebesuchern beliebt ist: außerhalb des Zentrums, schnelle Anbindung zum Flughafen, in direkter Nachbarschaft zu jenen Wiesen, auf denen einst Kartäuser-Mönche zurückgezogen im Kloster lebten.
Am Abend ist das Vorhaben gescheitert. Mehrere Redaktionen erfahren vom Veranstaltungsort, Dutzende Kamerateams bringen sich nun in Stellung, Übertragungswagen werden geparkt. Von einem Geheimtreffen kann wirklich keine Rede mehr sein.
Drinnen sah der ursprüngliche Ablaufplan durchaus eine Dramaturgie der Vertraulichkeit vor. Zunächst sollten Gabriel, NRW-Ministerpräsidentin und SPD-Vizechefin Hannelore Kraft sowie Noch-EUParlamentschef Martin Schulz bei einem Abendessen à la carte im Restaurant „Albatros“zusammensitzen, bevor man die anderen Mitglieder der engsten Führung in einem Konferenzraum getroffen hätte. Schulz musste jedoch für die Beerdigung des einstigen portugiesischen Präsidenten Mário Soares nach Lissabon reisen und nimmt nicht teil.
Und als dann zur Überraschung der Genossen zahlreiche Journalisten im Restaurant auf die Protagonisten warteten, tritt nur Generalsekretärin Katarina Barley für einige Sätze vor die Mikrofone – und die Kellner decken den vorbereiteten Tisch wieder ab. „Wir treffen uns heute in Düsseldorf, um über die in- haltliche Ausrichtung für die nächsten Monate zu sprechen“, sagt sie. Es sei der SPD wichtig, „nicht immer nur auf die Schreihälse links und rechts außen zu schauen, sondern auf die Menschen, die die Gesellschaft voranbringen“. Personalentscheidungen werde es nicht geben.
Das ist die offizielle Botschaft: Die Partei hält eisern an ihrem Zeitplan fest, den Kanzlerkandidaten erst bei einer Vorstandsklausur am 29. Januar in Berlin zu nominieren. Und tatsächlich parieren die Genossen die hartnäckigen Fragen der Journalisten mit eben diesem Satz.
Doch längst scheint klar, dass alles auf Gabriel hinausläuft. Jede andere Variante würde die Partei in unruhiges Fahrwasser bringen, Ga-
Sigmar Gabriel briel gilt im Vorstand als gesetzt für das Rennen gegen Merkel. Mit seinem Besuch in Düsseldorf wertet er die Bedeutung Nordrhein-Westfalens für die Bundestagswahl auf, nennt Kraft vor der Fraktion „die Seele des Landes“und spricht mit Blick auf die Abstimmung im Mai von einer „kleinen Bundestagswahl“. Anfragen zum Treffen am Abend und der K-Frage kontert er vor dem Landtag aber nur forsch mit diesen schmalen Sätzen: „Wir reden über die Inhalte des Wahlkampfs. Ich weiß gar nicht, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, dass wir über Personal reden.“
Doch welche Inhalte werden das sein, die der SPD-Kanzlerkandidat den Bürgern bis zur Bundestagswahl im September schmackhaft machen will? Die Debatte darüber führt der Parteichef am Abend bei Brötchen, Obst und Roter Grütze mit dem engsten SPD-Führungszirkel in einem Konferenzraum: Gabriels Stellvertreter sind angereist, darunter Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (der neben Martin Schulz durchaus als Alternativkandidat zu Gabriel gehandelt wurde), auch Fraktionschef Thomas Oppermann ist da.
Einige Themen gelten bereits als gesetzt, bei anderen debattiert die Partei noch lebhaft. So soll soziale Gerechtigkeit oben auf der Agenda stehen. Nach dem rund dreistündigen Treffen betonte Barley, das sei der Markenkern der SPD. Was sie nicht sagt: Die Parteispitze debattierte in Düsseldorf durchaus darüber, ob das Thema innere Sicherheit nicht einen höheren Stellenwert einnehmen solle. Gabriel hatte auch zuvor mehrfach betont, dass er einen inhaltlichen Wahlkampf anstrebt, mit möglichst großer Distanz zur Union. Tenor: Es wäre Gift, den Eindruck eines Einheitsbreis zu vermitteln, und die große Koalition ist keine attraktive Perspektive – zumal so der Einzug eines Genossen ins Kanzleramt unmöglich wäre.
Und so setzt die SPD auf eine Handvoll Themen, die zwingend im nächsten Koalitionsvertrag stehen müssen. Wenn nicht, ziehe man die Opposition vor, hieß es. Die bei der Union verschriene Bürgerversicherung ist ein Beispiel. Mit der Forderung, die private Krankenversicherung abzuschaffen und alle Bürger gesetzlich zu versichern, haben die Sozialdemokraten bereits drei Wahlkämpfe eher erfolglos bestritten. Das soll nun anders werden. Als Blaupause gilt ein Modell, wonach die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder gleich hoch liegen sollen, was zu einem Anstieg der Lohnnebenkosten führen würde. Gutverdiener müssten dann tiefer in die Tasche greifen.
Aber während bei der Bürgerversicherung Einigkeit in der SPD herrscht, ist das Thema Steuern noch umstritten, das Thema Vermögensteuer wackelt. Klar ist nur: Man will die mittleren und kleinen Einkommen entlasten. Dafür sollen Steuerschlupflöcher gestopft werden. Außerdem soll ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Modell her, von der Kita bis zur Uni soll Gebührenfreiheit gelten. Barley ergänzte nach dem Treffen, dass man auch bei diesen Themen mehr Gerechtigkeit wolle: „Ob bei hohen Mieten in Städten, ob bei Unordnung auf dem Arbeitsmarkt, ob bei Breitbandversorgung und Daseinsvorsorge auf dem Land.“Über all dem steht jedoch die Prämisse: Der Kanzlerkandidat muss zum Programm passen. Dass Gabriel dafür der Richtige sein könnte, bestreitet an diesem Abend niemand.
„Ich weiß nicht, wer auf die Idee kam, dass wir über Personal reden“
SPD-Vorsitzender