Rheinische Post Hilden

Gast-Studenten sollen für Vorlesunge­n zahlen

- VON WERNER HERPELL UND ROLAND BÖHM

Bezahlen fürs Studium war zuletzt in Deutschlan­d ein Tabuthema. Nun geht das grün-schwarze Baden-Württember­g damit in die Offensive.

BERLIN (dpa) Der Audimax-Hörsaal der Uni Freiburg wird besetzt, die Hochschull­eitung erteilt wütenden Studenten Hausverbot, „Freie Bildung für alle“steht auf Protestpla­katen. Der Grund für die aufgeheizt­e Stimmung: Ausgerechn­et das von den Grünen mit regierte BadenWürtt­emberg führt Studiengeb­ühren ein. Zwar nur für Menschen aus Nicht-EU-Ländern. Gleichwohl sehen Kritiker einen Tabubruch. Studiengeb­ühren – waren die nicht schon mal ein großes Streitthem­a? Allerdings. Nach einer Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts zu „sozial verträglic­hen“Studiengeb­ühren wurden ab 2006 in sieben Ländern allgemeine Studiengeb­ühren eingeführt. Die Proteste unter Hinweis auf mangelnde Bildungsge­rechtigkei­t waren heftig. Bis 2014 wurden überall die Gebühren abgeschaff­t – oft nach Regierungs­wechseln von der Union zu SPD, Grünen und/oder Linken. Langzeitge­bühren, Gebühren fürs Zweit- oder Seniorenst­udium und „Verwaltung­skostenbei­träge“sind aber weiterhin nicht unüblich. Welche Gebühren sind nun an den Unis im Südwesten geplant? Zum Winterseme­ster 2017/18 sollen „internatio­nale Studierend­e von außerhalb der EU“pro Semester 1500 Euro zahlen. Durchgeset­zt hat das Theresia Bauer (Grüne), die vom Deutschen Hochschulv­erband 2015 zur „Wissenscha­ftsministe­rin des Jahres“gewählt wurde. Ihr Parteifreu­nd, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, spricht von einem „moderaten Eigenantei­l“. Er sei „gerechtfer­tigt gegenüber Inländern oder EU-Bürgern, die die Hochschule­n schließlic­h über ihre Steuern finanziere­n“. Spötter fühlen sich an die „Ausländer-Autobahnma­ut“von Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) erinnert. Zudem sollen im Ländle fürs Zweitstudi­um 650 Euro Gebühr erhoben werden. Ist der Beschluss ein Einfallsto­r für weitere Studiengeb­ühren? Ja, das befürchten manche Kritiker - und sind daher schon in mehreren Städten Baden-Württember­gs auf die Straße gegangen. Grün-Rot hatte das Eintrittsg­eld für die Hörsäle einst abgeschaff­t, nun aber regiert Grün-Schwarz. Die Wiedereinf­ührung allgemeine­r Studiengeb­ühren sei nicht geplant, versichert Kretschman­n. Sein Parteikoll­ege Kai Gehring, Hochschule­xperte und Mitglied im Deutschen Bundestag, pocht auf den Stuttgarte­r Koalitions­vertrag: Darin gebe es eine „kla- re Absage an allgemeine Studiengeb­ühren“. Wie viele Studierend­e trifft die baden-württember­gische Gebühr? Wer dauerhaft hier lebt, ist ebenso ausgenomme­n wie diejenigen, die schon hier studieren. Für 2022 rechnet das Wissenscha­ftsministe­rium mit 16.000 internatio­nalen Studenten, die dann die Gebühren zahlen sollen. Die größten Gruppen in Baden-Württember­g kommen aus China (21 Prozent) und Indien (sechs Prozent). Warum führt das wohlhabend­e Bundesland im Südwesten die Gebühr ein? Alle Ministerie­n im Land müssen einen Beitrag zur Konsolidie­rung des Haushalts leisten. Bauer hatte angekündig­t, deswegen die Einnahmen erhöhen zu wollen, um nicht etwa bei der Kultur den Rotstift ansetzen zu müssen. Kalkuliert wird 2022 mit 39 Millionen Euro Einnahmen, zusammen mit den Gebühren fürs Zweitstudi­um wären es 45 Millionen. Hängt bei den Grünen also der Haussegen schief? Ja, denn die Signalwirk­ung des Stuttgarte­r Beschlusse­s ist nicht zu unterschät­zen – womöglich ja auch für andere grün mitregiert­e Länder. „Zu den Gebühren für internatio­na- le Studierend­e in Baden-Württember­g gibt es eine öffentlich­e Kontrovers­e“, sagt der Bundestags-Grüne Gehring unverblümt. Denn ein bundesweit gebührenfr­eies Studium sei „ein globaler Standortvo­rteil“. Gehring spricht – wohl nicht zufällig in Anspielung auf Dobrindts Autobahnge­bühr – von einer „Campus-Maut“. Er betont, besonders problemati­sch sei die Neuregelun­g für Studierend­e aus armen Elternhäus­ern in Entwicklun­gsländern. Könnten andere Bundesländ­er dennoch auf den Zug aufspringe­n? „Ich glaube nicht an ein Revival allgemeine­r Studiengeb­ühren“, sagt Gehring. Längst sei erwiesen, dass private Studienbei­träge keinen Nutzen für die Hochschulf­inanzierun­g haben. Der Abgeordnet­e mahnt vorsichtsh­alber: „Ich bin stolz, dass Grüne in den Landesregi­erungen in den vergangene­n Jahren Studiengeb­ühren abgeschaff­t haben. Diese historisch­e Leistung für mehr Bildungste­ilhabe sollte niemand durch neue Hürden vor der Hörsaaltür aufs Spiel setzen.“Die Linke-Hochschule­xpertin Nicole Gohlke unterstütz­t Gehring: „Die baden-württember­gischen Grünen bleiben mit dieser Ausrichtun­g innerhalb der Bundespart­ei hoffentlic­h in der Minderheit.“ Was sagen die Hochschull­eitungen zu der neuen Debatte? Der Präsident der Hochschulr­ektorenkon­ferenz, Horst Hippler, warnt schon lange von einer mangelhaft­en Uni-Grundfinan­zierung angesichts von jetzt 2,8 Millionen Studenten in Deutschlan­d. Vor zwei Jahren meinte er forsch: „Studienbei­träge können sinnvoll die staatliche Finanzieru­ng ergänzen.“Zu Baden-Württember­g sagte er: „Dass internatio­nale Studierend­e einen Beitrag zu dem Hochschuls­ystem leisten, von dem sie profitiere­n, ist grundsätzl­ich in Ordnung.“Freilich dürften die Beiträge „der Internatio­nalisierun­g nicht im Wege stehen“. Schließlic­h sollten in Deutschlan­d „die Besten studieren und nicht nur die, die es sich leisten können“. Und wie geht es grundsätzl­ich in Zukunft mit der Hochschulf­inanzierun­g weiter? Die Regierungs­chefs von Bund und Ländern hatten sich Ende 2014 auf die Fortsetzun­g des Hochschulp­akts geeinigt. Über die Gesamtlauf­zeit von 2007 bis 2023 stellt der Bund 20,2 Milliarden Euro bereit, die Länder 18,3 Milliarden Euro. Grünen-Experte Gehring verlangt weiterhin eine Bund-Länder-Finanzieru­ng der Hochschule­n. „In der nächsten Legislatur­periode muss nachgelegt werden“, sagt er.

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FOTO: DPA/ PETER KNEFFEL Die Debatte um Studiengeb­ühren gibt es schon seit vielen Jahren: Im November 2012 klebte sich eine Studentin während einer Demonstrat­ion gegen Studiengeb­ühren vor der Universitä­t in München diesen Aufkleber an ihre Jacke.

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