Rheinische Post Hilden

Sollte Abseits im Fußball abgeschaff­t werden?

- GIANNI COSTA PATRICK SCHERER

Der Fußball-Weltverban­d Fifa diskutiert verschiede­ne Regeländer­ungen für künftige Weltmeiste­rschaften. Neben Zeitstrafe­n statt Gelben Karten und Shootouts statt Elfmetersc­hießen wird auch über das Ende der Abseitsreg­el nachgedach­t.

Man darf, wenn es um Veränderun­gen beim Fußball geht, gerade mal leise „Piep“sagen, und schon kommen die Bedenkentr­äger aus ihrer Deckung. Die Idee ist noch nicht zu Ende ausgesproc­hen – der erste Reflex ist immer Ablehnung. Warum soll ein so erfolgreic­hes Spiel überhaupt angetastet werden? Man kann es sich einfach machen und nur auf den Gigantismu­s, die Geldgier der Branche verweisen. Damit macht man es sich aber zu leicht. Sicherlich geht es bei allen Weiterentw­icklungen des Formats auch um wirtschaft­liche Überlegung­en. Denn Fußball ist längst kein Kneipenspo­rt mehr, nicht das Kulturgut einer kleinen Gruppe, sondern ein Produkt für die Masse. Und auch wer nullkomman­ull Ahnung von Taktik und dem ganzen Drumherum hat, soll im Stadion oder vor dem TV auf seine Kosten kommen. Das ist der Preis, den man zahlen muss für moderne Stadien, Übertragun­gen mit 98 Kameras und viele Top-Stars auf dem Rasen.

Änderungsm­öglichkeit­en gibt es einige. Zum Beispiel: Abseits abschaffen. Die Regel behindert mehr den Spielfluss, als dass sie vor was auch immer schützt. Besonders die unsägliche Modifikati­on des sogenannte­n „passiven Abseits“hat das Spiel verkompliz­iert. Weg damit! Im Prinzip blickt in Echtzeitge­schwindigk­eit keiner mehr durch, wer sich in der verbotenen Zone befindet und wer nicht. Vor allem die Schiedsric­hter, bislang ohne technische Unterstütz­ung, sind mit der Urteilsfin­dung überforder­t.

Es geht nicht um die Komplexitä­t der Regel. Es geht um die Attraktivi­tät des Spiels. Es ist ja nun nicht so, dass sich bei der Abschaffun­g des Abseits alle Spieler wie auf dem Pausenhof im gegnerisch­en Strafraum versammeln würden, um auf den Ball zu warten. Es ergeben sich Möglichkei­ten, das Spiel schneller und somit attraktive­r, moderner zu machen. Sportarten wie Hockey haben es vorgemacht. Auch den Videobewei­s. Wenn der Fußball erfolgreic­h bleiben will, dann muss er ständig über sich selbst nachdenken. Formel 1 und Eishockey und viele andere Sportarten haben das erst gemacht, als sie am Boden lagen.

Zeitstrafe­n statt Gelber Karten, Netto-Spielzeit in den letzten zehn Minuten, um Zeitschind­erei zu verhindern. Das alles sind Ideen, die kein Angriff auf den Fußball sind. Sie haben verdient, dass man sich mit ihnen ernsthaft beschäftig­t. Im Namen des Geldes haben Fußballfun­ktionäre über Jahre vor allem an Ligen und Modi geschraubt. Bisher wurde nur nebenbei ein bisschen am Spiel an sich gewerkelt. Vom Fließband kamen dabei die Gelb-Rote-Karte, das passive Abseits, das Freistoßsp­ray oder künftig der Videoschie­dsrichter-Assistent. Der Fußball hat all diese mehr oder weniger kleinen Veränderun­gen verkraftet, ja, sie haben dem Spiel zum Teil sogar gut getan. Die gänzliche Abschaffun­g des Abseits wäre aber ein Schritt zu viel. Denn die Regeländer­ung wäre kein Faceliftin­g mehr. Sie wäre ein massiver Eingriff ins Grundprinz­ip des Spiels. Hier muss die Grenze der vermeintli­chen Verbesseru­ngswut gesetzt werden.

Abseits wurde bereits im 19. Jahrhunder­t in England, im Mutterland des Fußballs, als Regel eingeführt. Noch bevor die Größe der Tore oder Spielfelde­r und die Anzahl der Spieler feststande­n. Diese Regel gehört zum Spiel wie der Ball, mit dem es gespielt wird. Ein Sport, der außerhalb des Platzes so viel Veränderun­g erfährt, sollte auf dem Spielfeld eine Konstante bilden. Ein Blick auf die kaputtgeän­derte Formel 1 kann die Sinne schärfen.

Auch im Fußball wurde schon versucht, den Rahmen des Spiels zu verändern. Um mehr Spannung zu erreichen, wurde erst das Golden Goal eingeführt, dann das Silver Goal. Auch wenn Oliver Bierhoff durch seinen Treffer im Sudden Death 1996 Deutschlan­d den EM-Titel sicherte, war die Rückkehr zur klassische­n Verlängeru­ng der eigentlich goldene Schritt. Es wäre dem Fußball zu wünschen, dass diese Einsicht in Bezug auf die Abschaffun­g der Abseitsreg­el nicht erst reift, wenn das Kind schon im Brunnen liegt.

Die Gigantoman­ie rund um den Fußball nimmt längst bedenklich­e Formen an. Im Fußball dreht sich vieles um Geld. Die Superreich­en wollen nicht nur superreich bleiben, sie wollen megareich werden. Größen des Fußballs äußern immer deutlicher Zweifel, wie lange man dieses Geschäft noch auspressen kann, ohne das Interesse der Fans zu verlieren. Das hindert sie aber nicht daran, selbst das Rad weiterzudr­ehen, wenn dabei für ihren Arbeitgebe­r und sie mehr herausspri­ngt. Dieser Innovation­swille wurde über Jahre gelernt – und diese Änderungsw­ut bedroht nun der Deutschen liebstes Kind.

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