Der gezielte Bruch mit der Tradition
Donald Trump setzt seine Wahlkampfrhetorik fort. Er schmäht die US-Elite und stilisiert sich als Mann des Volkes. Ein scharfer Politikwechsel steht an.
WASHINGTON Am Ende dann, nach dem letzten Satz seiner Rede, kann er sich die Pose des Triumphs nicht länger verkneifen. Donald Trump ballt die Hand zur Faust, als stünde er auf einer Wahlkampfbühne in Michigan oder Pennsylvania und nicht auf einer Balustrade vor dem Kapitol in Washington. Als müsste er noch immer seine Anhänger anfeuern, ihre Wut schüren, noch immer gegen die politische Elite wettern. Als wäre er noch immer Rebell und nicht Präsident.
Heute übergebe man die Macht nicht nur von einer Regierung an die nächste, von einer Partei an eine andere, sagt er, „wir geben sie euch zurück, dem amerikanischen Volk“. Zu lange, fügt er an, habe eine kleine Gruppe in Washington die Früchte geerntet, während das Volk die Kosten getragen habe. Politiker seien zu Wohlstand gelangt, „aber die Arbeitsplätze gingen ins Ausland, und Fabriken wurden geschlossen“. Das Establishment habe zwar sich selber geschützt, nicht aber die Bürger des Landes. Zu lange, sagt er, habe man die Industrien anderer Staaten reicht gemacht, auf Kosten der eigenen Industrie. Von einer nationalen Aufbauleistung spricht Trump, von streng zu sichernden Grenzen, in vagen Umrissen skizziert er ein groß angelegtes Infrastrukturprogramm. „Von diesem Tag an leitet eine neue Vision unser Land. Von diesem Moment an heißt es: Amerika zuerst – Amerika zuerst.“Jede Entscheidung, ob sie den Handel, Steuern, Einwanderung oder die Außenpolitik betreffe, werde von nun an zum Nutzen amerikanischer Arbeiter, amerikanischer Fabriken getroffen.
So rabiat hat es in der jüngeren Geschichte der Republik noch keiner gesagt, der in der Winterkälte an der Westseite des Parlaments stand, um als Präsident vereidigt zu werden. Zu den rhetorischen Pflichtübungen einer Amtseinführung gehört es, von Versöhnung zu reden, vom Heilen offener Wunden, auch von der Freiheit, für die Amerika nach eigenem Selbstverständnis in der Welt steht. Trump macht deutlich, dass es nicht der typische Machtwechsel ist.
Während der Wahlschlacht war er der Populist, der die in der Hauptstadt versammelten Akteure, gleich welcher Partei, kollektiv zu Versagern stempelte. 18 Monate lang zeichnete er ein gewaltiges Zerrbild der Wirklichkeit. Auch in dem Punkt bleibt er sich an diesem Tag treu. In düsteren Tönen spricht er von Verbrechen, Drogen, Banden: „Das amerikanische Blutbad muss aufhören, hier und jetzt“. Die Zeit für leeres Gerede sei abgelaufen, sagt er, die Stunde des Handelns angebrochen.
Dass es keine typische Inauguration ist, nicht wie sonst das feierliche Zeremoniell, das Differenzen wenigstens für einen Tag übertüncht, ist in den Straßen Washingtons deutlich zu spüren. „Nicht mein Präsident! Nicht mein Präsident!“, skandieren Demonstranten in der Nähe der Union Station, des zentralen Bahnhofs der Stadt. Mit Donald Trump, sagt ein Student, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, könne man sich unmöglich aussöhnen. Der sei ein Spalter, der jede einzelne Bevölkerungsgruppe vor den Kopf stoße, Schwarze, Latinos, Frauen. Einzige Ausnahme: weiße Männer.
Donald Trump habe die Chance, ein zweiter Ronald Reagan zu werden, meint dagegen Russell Martin, Mitte fünfzig, auf dem Kopf eine
Donald Trump rote Baseballkappe, versehen mit dem Lieblingsslogan des Bauunternehmers – „Make America Great Again“. Martin ist aus Atlanta nach Washington gefahren, knapp zehn Stunden auf der Autobahn. „Ich glaube wirklich, und vielleicht bin ich da naiv, dass er etwas Gutes für unser Land tun wird“, orakelt er. Amy Gonidakis, angereist aus Columbus in Ohio, appelliert an das Zusammengehörigkeitsgefühl: „Die Wahl ist gelaufen. Wir sitzen alle miteinander auf der Titanic. Wir sollten unserem Kapitän Mut zusprechen.“
Das Ritual ist natürlich das gleiche wie immer, so sehr Trumps Redetext von den Gepflogenheiten abweicht. Am Morgen geht der President-elect, wie er vor seinem Amtsschwur noch heißt, in die Kirche, St. John’s Episcopal Church gegenüber dem Weißen Haus. So haben es seit Franklin D. Roosevelt, der 1933 den Anfang machte, alle Präsidenten gehalten. Pünktlich um halb zwölf betritt er auf der Westseite des Kapitols die hell gestrichene Holzbalustrade, an der sie wochenlang gezimmert haben. Der mormonische Tabernakelchor aus Salt Lake City singt. Später wird Jackie Evancho, eine 16jährige Sopranistin aus Pittsburgh, entdeckt durch die Fernsehshow „America’s Got Talent“, die Nationalhymne singen. Als aber der New Yorker Chuck Schumer, der ranghöchste Demokrat im Senat, ans Pult tritt, um in markanten Sätzen an die Werte der Demokratie zu erinnern, muss er gegen zornige Sprechchöre ankämpfen. „Wir wollen Trump! Wir wollen Trump!“, schallt es ihm von der Wiese vor dem Parlamentshügel entgegen. Ein grober Verstoß gegen die ungeschriebenen Regeln.
Dann legt der Milliardär eine Hand auf zwei Bibeln und schwört einen Eid. Auf die eine Bibel hat bereits Abraham Lincoln geschworen, als er 1861 zum Präsidenten vereidigt wurde. Die andere hat Trump von seiner Mutter erhalten, als er 1955, kurz vor seinem neunten Geburtstag, die Sonntagsschule abschloss. John Roberts, der Chef des Obersten Gerichts, spricht ihm die Eidesformel vor. „Ich, Donald John Trump, schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich ausüben und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften wahren, schützen und verteidigen werde.“Als Nächstes, es hat inzwischen zu regnen begonnen, hält er seine erste Rede im Amt.
Vor allem dürfe sie nicht zu lang sein, lange Monologe würden die Leute nur langweilen, hatten Berater des 70-Jährigen vor der Zeremonie wiedergegeben, was ihrem Chef durch den Kopf gegangen war. Man wolle die Ärmel hochkrempeln, eine kompakte Ansprache solle dies unterstreichen. Am Abend zuvor, bei einem Galadiner, hatte Trump noch gescherzt, selbst wenn es wie aus Kannen gieße, sei ihm das herzlich egal, dann sehe man wenigstens, dass er echtes Haar auf dem Kopf trage und keine Perücke.
Davor, während eines Konzerts am Lincoln-Memorial, hatte er vom Spektakel der Amtseinführung geschwärmt: „Überall auf der Welt reden sie darüber, überall auf der Welt“. Und noch davor, bei einer Stippvisite im Trump-Hotel, einem umgestalteten Postamt an der Pennsylvania Avenue, hatte er seinen Sinn für Ästhetik in den höchsten Tönen gelobt. „Wo sind wir denn hier?“, rief er einer Runde von Republikanern zu, als staune er über sein eigenes Geschick. „Den Saal hier muss ein Genie gebaut haben.“Da schien sich einmal mehr alles nur um ihn, zu drehen, um den früheren Reality-TV-Star auf der ganz großen Bühne.
Bei seinem Auftritt vor dem Kapitol klingt es ganz anders, da gibt er den Robin Hood der amerikanischen Arbeiterklasse, der Abgehängten schlechthin. „Die vergessenen Männer und Frauen unseres Landes werden nicht länger vergessen sein“, sagt er. Im Wahlkampf war es einer seiner Lieblingssätze.
„Wir nehmen Washington die Macht und geben sie euch
zurück, dem amerikanischen Volk“
45. US-Präsident