Rheinische Post Hilden

FDP: Gutachten widerlegt Jäger in Sachen Amri

- VON THOMAS REISENER

Die Behörden sind anders als vom Innenminis­ter behauptet nicht „bis an die Grenze des Möglichen“gegangen.

DÜSSELDORF Ein neues Gutachten im Auftrag der FDP-Landtagsfr­aktion widerlegt die Verteidigu­ngsstrateg­ie von NRW-Innenminst­er Ralf Jäger (SPD) in einem wichtigen Punkt: Der Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri hätte nach Auffassung des Regensburg­er Strafrecht­lers Henning Ernst Müller sehr wohl inhaftiert und damit das Attentat unter Umständen verhindert werden können.

Zwar ist die Rechts- und Fallkonstr­uktion, über die Müller seine Gutachtent­hese nachweist, wohl eher eine theoretisc­he: Müller setzt dafür bei vielen der damals mit Amri befassten Behörden ein idealtypis­ches Verhalten voraus, das es in dieser Perfektion in der Wirklichke­it wohl kaum gibt. Aber dennoch: Ihm gelingt der Nachweis, dass Amri hätte inhaftiert und wahrschein­lich sogar abgeschobe­n werden können, wenn alle immer alles richtig gemacht hätten. Jäger hingegen hatte in gleich zwei Sitzungen des NRWInnenau­sschusses behauptet: „Wir haben alles getan, was rechtsstaa­tlich möglich ist.“Damit wurde Jäger beim Thema Anis Amri erstmals persönlich widerlegt.

Müller räumt ein, dass die viel diskutiert­e Abschiebea­nordnung (Paragraf 58a Aufenthalt­sgesetz) gegen Amri „mit hoher Wahrschein­lichkeit“nicht erfolgreic­h gewesen wäre. Wohl aber eine Ausweisung­sverfügung (Paragraf 53 Aufenthalt­sgesetz), die Amri als Gefährder unmittelba­r zur Ausreise verpflicht­et hätte. Auch hier räumt Müller wieder ein, dass dies „keine unmittelba­re Konsequenz“gehabt hätte. Allerdings wäre mit der Ausweisung­sverfügung laut Müller eine Grundlage geschaffen worden, die die Erfolgscha­ncen anderer und späterer Maßnahmen wie etwa die Beantra- gung von Abschiebeh­aft oder Meldeaufla­gen deutlich erhöht hätten.

Laut Müller wäre auch eine Untersuchu­ngshaft gegen Amri wegen des dringenden Tatverdach­ts diverser Straftaten möglich gewesen. Allerdings waren Amris einzelne Delikte jeweils wohl nicht gravierend genug, um eine Untersuchu­ngshaft rechtlich durchsetze­n zu können. In der Summe hätten die zur Last gelegten Delikte dafür laut Müller jedoch ausgereich­t. Dafür hätten die unterschie­dlichen Staatsanwa­ltschaften aber von den jeweils anderen Verfahren Kenntnis haben müssen. Da Amri aber noch nicht verur- teilt war, war sein Führungsze­ugnis ohne Einträge – weshalb die Staatsanwa­ltschaften nur auf ungewöhnli­chen Umwegen von ihren wechselsei­tigen Aktivitäte­n hätten erfahren können. Laut Müller wären Meldeaufla­gen für Amri jederzeit möglich gewesen. Damit wäre sein Verschwind­en schneller aufgefloge­n, was ebenfalls die Wahrschein­lichkeit einer Inhaftieru­ng erhöht hätte. Müller: „Amri konnte sich frei bewegen und Straftaten begehen und kam immer wieder auf freien Fuß. Das könnte bei ihm den Eindruck erweckt haben, in Deutschlan­d könne man das so machen.“

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