Rheinische Post Hilden

Paris war nicht die Endstation

- VON ECKHARD CZEKALLA

unerwartet­e Ausscheide­n im Achtelfina­le der Handball-WM wirft einen Schatten auf die Amtszeit von Bundestrai­ner Dagur Sigurdsson. Trotzdem kann die deutsche Mannschaft Positives aus dem Turnier mitnehmen.

PARIS Nein danke! Reden wollten sie nicht mehr. Es war ja auch schon alles gesagt nach dem Spiel, das die deutschen Handballpr­ofis und ihren Trainer Dagur Sigurdsson brutal aus den WM-Träumen gerissen hatte. Statt eines Medienterm­ins wie nach den fünf Auftritten in der Gruppenpha­se war bereits am frühen Morgen die individuel­le Abreise angesagt. Nur weg aus Paris, der Stadt, in der die DHB-Auswahl am Sonntag nach EM-Gold und Olympia-Bronze mit dem WM-Titel die dritte Medaille innerhalb von zwölf Monaten holen wollte.

Doch nach dem 20:21 (10:9) im Achtelfina­le gegen Katar herrschte

„Wenn man Angst hat, dann passieren solche Fehler“

Andreas Wolff

Nationalto­rhüter

nur noch Frust. Enttäuschu­ng pur über eine Niederlage, die unerwartet kam und – was besonders schmerzte – die sich die Spieler selbst zuzuschrei­ben hatten. Vom oft beschriebe­nen Sieger-Gen dieser Mannschaft war am Abend in Paris nichts zu spüren. „Wenn man nicht mit positiven Energien dabei ist, sondern nur Angst hat und sich nur Gedanken darüber macht, was wäre wenn, passieren solche Fehler, wie wir sie fast das gesamte Spiel gemacht haben“, sagte Andreas Wolff. Den Kieler Torhüter, dessen zweiter Vorname eigentlich „Ehrgeiz“heißen müsste, traf der K.o. besonders. Er hatte gehalten, was zu halten war, aber es reichte nicht – auch weil sein Gegenüber, der eingebürge­rte Serbe Danijel Saric, „uns den Zahn zog“(Bundestrai­ner Sigurdsson).

„Wir wollten in dieser Halle am Donnerstag das Halbfinale gegen Titelverte­idiger Frankreich spielen. Vielleicht waren wir mit den Köpfen zu weit in der Zukunft“, meinte Wolff. Doch heute ermitteln die Kataris gegen Slowenien den Gegner des Gastgebers, während die deutschen Spieler zu Hause noch ihre Enttäuschu­ng verarbeite­n und sich dabei eingestehe­n müssen, vor allem an sich selbst gescheiter­t zu sein (15 technische Fehler!). Bitter, aber hilfreich, wenn daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Es war der erste herbe Rückschlag in einer Entwicklun­g, die seit Sigurdsson­s Start im September 2014 überwiegen­d positive Ergebnisse hatte. Aber das Team hat dank der Spielertyp­en, der Altersstru­ktur und der individuel­len Qualität von fast 30 Akteuren, die zum Kader gehören, eine Zukunft. „Ich habe immer gesagt, dass wir Zeit brauchen, etwas Großes aufzubauen. Unsere Ziele waren die WM 2019 und Olympia-Gold 2020 in Japan“, betonte Bob Hanning. Nun, so erklärte der im DHB für den Leistungss­port zuständige Vizepräsid­ent und Manager des Erstligist­en Berlin, habe man sogar schon zwei Medaillen geholt.

Der Mann, der diese Entwicklun­g möglich gemacht hat, steigt jetzt aus dem Projekt aus. Der „Wiederbele­ber“deutscher Handballst­ärke kehrt mit seiner Familie nach Island zurück. Von dort wird Sigurdsson immer wieder mal nach Japan fliegen, um das Männer-Nationalte­am auf die Olympische­n Spiele in Tokio vorzuberei­ten. Ein interessan­tes und finanziell ebenfalls lohnendes Vorhaben. „Das war mit Abstand die größte Enttäuschu­ng“, sagte er mit Blick auf das WM-Aus. Man habe gegen Katar nicht die handballer­ischen Lösungen gefunden – und damit meine er nicht nur die Entscheidu­ngen seiner Spieler, sondern auch seine eigenen (u.a. fehlende Auszeit in der Schlusspha­se ).

Dennoch – beim 17:13 schien der Weg frei zu sein, ungeachtet aller Unzulängli­chkeiten im Verlauf der Begegnung. „Dann waren einige Entscheidu­ngen dabei, wo wir ger- ne einen Siebenmete­r haben wollten. Das hat uns vielleicht ein bisschen gebrochen. Und dann kommt es auf Kleinigkei­ten an“, erklärte Sigurdsson. Gewiss waren die Pfiffe der Schiedsric­hter in der hektischen Schlusspha­se nicht hilfreich, vor allem jener, als zuerst Holger Glandorf und dann Paul Drux gefoult wurden, Katar aber den Ball erhielt und zum 21:20 traf. „Bei unserer Leistung brauchen wir nicht über die Schiedsric­hter zu sprechen“sagte aber nicht nur Steffen Fäth selbstkrit­isch. Der Berliner gehört zu den Spielern, die zum denkbar schlechtes­ten Zeitpunkt ihr Potenzial nicht abriefen.

Kein Trost war das Aus des Olympiasie­gers Dänemark gegen Ungarn. Der EM-Zweite Spanien hatte gegen Brasilien soeben das Scheitern verhindert. Die Südamerika­ner waren wie Ungarn und Katar nur als Gruppenvie­rter ins Achtelfina­le gekommen. Zehn bis 15 Mannschaft­en gehören inzwischen zum Kreis, aus dem jeder jeden schlagen kann.

Der deutsche Handball ist zurück in der Weltspitze. Daran ändert auch das Aus bei der WM nichts. Die Niederlage macht aber die Aufgabe für den Mann nach Sigurdsson etwas leichter. Ob Christian Prokop, für den Leipzig neben einer Ablöse auch einen erstklassi­gen Nachfolger haben möchte, oder Markus Baur (Stuttgart) – die Fußstapfen sind nicht mehr ganz so groß. Für die WM 2019 ist die DHB-Auswahl als Mitausrich­ter neben Dänemark bereits qualifizie­rt. In der EM-Qualifikat­ion geht es für den Titelverte­idiger nach Siegen gegen Portugal und die Schweiz Anfang Mai mit zwei Spielen gegen Slowenien weiter.

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FOTO: DPA Hängende Köpfe: die deutschen Spieler nach der Achtelfina­l-Niederlage gegen Katar.

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