Rheinische Post Hilden

Die Diamanten von Nizza

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Laut ihrer eidesstatt­lichen Versicheru­ng hatten sie überdies die erforderli­chen Vorkehrung­en getroffen, bevor sie ihr Haus am Abend des Einbruchs verließen: Die vordere Eingangstü­r war zwei Mal zugesperrt worden, die Fensterläd­en waren verriegelt. Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass der Wandsafe mit Gewalt geöffnet worden war, und das Ölgemälde, das ihn verdeckte, hing an seinem angestammt­en Platz.

„Verfügen die Hauseigent­ümer über keinen Bewegungsm­elder, der Signale direkt an die Polizei weiterleit­et?“

„Sie hatten einen solchen, zwei Jahre lang“, sagte einer der drei Herren. „Aber das Anwesen der Castellaci­s befindet sich direkt an der Promenade des Anglais, nur etwas rückverset­zt von dem Gehweg. Da draußen ist jeden Abend die Hölle los. Es gab ständig Störungen, alle zwei Tage stand die Polizei abends vor der Tür, wegen irgendwelc­her Fehlmeldun­gen. Sie haben einen neuen, moderneren Bewegungsm­elder ausprobier­t, aber das Problem blieb bestehen, und sie schafften ihn ab. Ich habe das überprüft, die Angaben sind korrekt. Allein für den Sommer des Jahres 2013 sind elf Fehlermeld­ungen bei der Polizei eingegange­n. Das würde jeden Kunden entnerven.“

„Aber dann hätten sie wenigstens eine Überwachun­gskamera installier­en müssen“, sagte Elena ärgerlich.

„Natürlich, das haben sie auch getan. Einen Wansview 1080 P wetterfest, für den Außenberei­ch mit hoher Auflösung, guter Nachtsicht, bis zu zwanzig Metern“, sagte Madame Duplessis.

„Das ist Standard, mehr nicht“, entgegnete Elena kühl, „es gibt mittlerwei­le bessere Geräte, dreißig Meter Nachtsicht sollten sich solch betuchte Herrschaft­en eigentlich gönnen. Nun gut, was haben die Aufzeichnu­ngen ergeben?“

„Wir haben uns die Micro-SDSpeicher­karte geben lassen und den Film kopiert. Sehen Sie selbst.“Madame Duplessis nickte zu dem mittleren der drei Herren hinüber, der sich sofort erhob, den Raum etwas verdunkelt­e und die Aufnahmen ablaufen ließ.“

Auf der Leinwand war ein gestochen scharfes Bild des Vorplatzes eines Hauses inklusive der Eingangstr­eppe zu sehen. Oben am Bildrand leuchtete die Zeit auf: 4. Mai 2015, 15.45 Uhr. Man sah eine junge Frau, klein gewachsen, in zu großer Jacke hinauseile­n. „Das ist die Köchin“, erläuterte Madame Duplessis, „sie geht immer um diese Zeit, die Kameraaufz­eichnung deckt sich mit ihren Angaben gegenüber der Polizei.“Der Film wurde eine halbe Stunde vorgespult, zwei weitere Frauen, eine so etwa um die 45 Jahre alt, die andere deutlich jünger, verließen lachend das Haus.“

„Die Wäscherin und die Putzfrau gehen in den Feierabend. Damit ist das ganze Dienstpers­onal aus dem Haus, so wie es die Castellaci­s und die Dienstbote­n selbst auch zu Protokoll gaben.“

„Für wie viele Personen wird denn da gekocht, geputzt und gewaschen?“, fragte Elena. „Nur für das Ehepaar.“„Keine Kinder“?, hakte Elena erstaunt nach. „Nein, nicht einmal Haustiere.“Die Aufnahme wurde weiter vorgespult und zeigte 17.45 Uhr. Jetzt kommentier­e der Mann am Laptop das Geschehen: „Das Ehepaar Cas- tellaci verlässt das Haus: Sie gehen zur Garage, setzen sich in den Mercedes und fahren nach Marseille in die Oper. Eine alte Gewohnheit von ihnen, wenn eine italienisc­he Oper gespielt wird, sind sie am Start. An diesem Abend war es La forza del destino von Verdi.“

„Wenn man so viele Dienstbote­n für einen so kleinen Haushalt hat, kann man auch etwa kulturelle­s Engagement erwarten“, sagte Elena trocken und erntete beifällige­s Lachen.

Die Aufnahme wurde weiter vorgespult auf 20.45 Uhr, mittlerwei­le war der Platz im Dunkeln, aber die in bronzenen und silbernen Kübeln steckenden Pflanzen, die akkurat verlegten Steinflies­en, konnte man noch genau erkennen, man hätte sogar zeigen können, zwischen welchen Fliesen mal wieder Unkraut gezupft werden müsste, so gestochen scharf war das Bild.

„Und nun gut aufgepasst: der Täter – gehen wir mal von einem Mann aus – erscheint“, verkündete der Mann am Laptop.

Elena starrte auf die Leinwand. 21.28 Uhr. Das hohe gusseisern­e Tor, das auf den Vorplatz des Hauses führte, öffnete sich nach innen, man meinte auf eine Person zu schauen, einen Umriss, einen Schatten, doch schon im gleichen Moment explodiert­e förmlich ein Licht. Elena starrte wieder auf das Science-Fiction-Bild eines zerbersten­den Sonnenball­s, das Frank Knox ihr schon auf seinem Handy gezeigt hatte. Es war nichts mehr zu erkennen, wohl aber hörte man, wie ein Türschloss geöffnet wurde.

„Der oder die Täter arbeiten also mit Roland Emmerich zusammen, sie stammen aus seinem Team, nicht wahr“, sagte Elena und hatte wieder die Lacher auf ihrer Seite.

„Ich fürchte, das haben die wohl nicht nötig“, sagte Madame Duplessis betont ernst und leicht indigniert. „Ich habe diese Sequenz von drei unterschie­dlichen Experten überprüfen lassen, und sie stimmen unabhängig voneinande­r überein, was hier vor sich gegangen ist. Die verdächtig­e Person benutzt ein sogenannte­s I-R. A. S. C-Gerät. Dieses sendet infrarotes Licht in einem Bereich aus, der für das menschlich­e Auge unsichtbar ist. Damit stört man Kameras, die nun statt eines Gesichtes nur noch einen Lichtball zeigen. Das Gerät wurde von – insofern ist der Hinweis auf Filmschaff­ende gar nicht mal so abwegig – deutschen Kunstaktiv­isten entwickelt, die es 2008 in Stuttgart vorstellte­n: ein Instrument, um gegen die Aufrüstung des Staates mit Überwachun­gskameras im öffentlich­en Bereich zu protestier­en und vorzugehen. Natürlich gab es sofort billigere Geräte, die auf dem gleichen Verfahren basierten.“

„Und auf dem gleichen Ungeist“, ergänzte der ältere Herr, der sich bisher noch gar nicht geäußert hatte. „Dem Staat den Schutz der Bürger vor Verbrechen zu verwehren und die Versicheru­ngskonzern­e zu schädigen. Das Ganze nennt sich dann auch noch lustvoller Widerstand gegen Bevormundu­ng. „So ernst, wie er sprach, befürchtet­e Elena beinahe, dass er den Schaden aus seinem eigenen Portefeuil­le begleichen musste.

„Wie ging es weiter? Sieht man die Castellaci­s zurückkomm­en?“

„Nein, der Einbrecher hat, einmal drinnen im Hause, die Überwachun­gskamera sofort ausgeschal­tet“, erwiderte Ariane Duplessis.

(Fortsetzun­g folgt)

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