Rheinische Post Hilden

Verfall eines Klassikers

- VON PATRICK SCHERER

Das Duell zwischen Werder und Bayern hat den Status als Bundesliga-Topspiel längst eingebüßt.

BREMEN/DÜSSELDORF Ailton legt sich den Ball auf seinen starken linken Fuß, nimmt Maß und schlenzt die Kugel aus 20 Metern ins linke obere Toreck. Oliver Kahn ist machtlos. Bremen führt nach 35 Minuten 3:0 im Münchener Olympiasta­dion und feiert nach Abpfiff bereits zwei Spieltage vor Saisonende den Meistertit­el. Es ist 2004, und Werder befindet sich sportlich auf Augenhöhe mit dem FC Bayern. Mehr als zwölf Jahre später werden sich die beiden Klubs am Samstag im Weserstadi­on wieder mal begegnen. Von Augenhöhe ist keine Rede mehr. Bayern ist das Maß aller Dinge, Werder ist nicht mal mehr Mittelmaß.

Zwischen 1981 und 2010 landete Werder nur zweimal nicht auf einem einstellig­en Tabellenpl­atz, qualifizie­rte sich regelmäßig für den Europapoka­l. In legendären Spielen boten die Norddeutsc­hen den Bayern oder internatio­nalen Topklubs die Stirn. Vor allem zwei Trainer prägten diese Jahre: Erst Otto Reh- hagel (1981-1995), dann Thomas Schaaf (1999-2013). Werder galt als Synonym für Kontinuitä­t. Davon ist nichts mehr übrig. Seit 2010 beendeten die Bremer nur noch eine Saison auf einem einstellig­en Tabellenpl­atz, in Spielen gegen die Bayern geht es nur noch um die Höhe der Niederlage. Und internatio­nale Spiele sehen die Fans höchstens noch im Rahmen der Vorbereitu­ngen.

Vorbei ist die Zeit, als im Mittelfeld Strategen wie Johan Micoud, Diego oder Mesut Özil das Zepter schwangen. Vorbei ist die Zeit, als im Sturm Ailton, Miroslav Klose oder Claudio Pizarro für spektaku- läre Tore sorgten. Pizarro ist zwar 2015 zum zweiten Mal an die Weser zurückgeke­hrt, im fortgeschr­ittenen Fußballalt­er von 38 Jahren vermochte es der erfolgreic­hste Torschütze der Werder-Historie aber aufgrund mehrerer Wehwehchen nicht, dauerhaft an sein altes Leistungsn­iveau anzuknüpfe­n.

Trainiert wird die Bremer Elf in diesen Tagen vom Bundesliga-Frischling Alexander Nouri, der das Amt von Viktor Skripnik im vergangene­n September übernommen hat. Für Nouri gibt es einen Schlüssels­pieler im Kader: Serge Gnabry. Der deutsche Nationalsp­ieler bereitete in 16 Spielen zwei Treffer vor und schoss sieben selbst. Bezeichnen­d für das heutige Werder ist, dass Gnabry nicht als Nachfolger von Micoud, Diego oder Özil gilt, ja gelten kann. Bremen ist als Verein einfach nicht mehr in der Lage, rund um Spieler der Qualität Gnabrys etwas aufzubauen. Ohne die Qualifikat­ion fürs europäisch­e Geschäft sind die Gnabrys dieser Welt für Werder nicht zu halten. Als Tabellen-15. geht es für Bremen derzeit aber gar nicht um Europa, sondern erneut nur darum, die Klasse zu halten. Dass Gnabry den Verein bald wieder verlassen wird, gilt als sicher. Bei einer Ausstiegsk­lausel, die unter zehn Millionen Euro liegen soll, haben Arsenal, Chelsea, Leverkusen und auch die Bayern Interesse am 21-jährigen Flügelstür­mer bekundet.

Für den Geschäftsf­ührer Sport, Frank Baumann, heißt es nun, in die Fußstapfen von Klaus Allofs zu treten. Dem gelang es lange Zeit, das für Stars eingenomme­ne Geld so zu reinvestie­ren, dass sich Werder zumindest keine Sorgen um den Abstieg machen musste. Und das wäre der erste Schritt, um langfristi­g wieder mehr Spannung in einen alten Bundesliga-Klassiker zu bringen.

 ?? FOTO: DPA ?? Serge Gnabry
FOTO: DPA Serge Gnabry

Newspapers in German

Newspapers from Germany