Rheinische Post Hilden

Der perfekte Schnitt

- VON HANS ONKELBACH

In Solingen sitzt United Salon Technologi­es, der weltbeste Hersteller von Friseursch­eren. Ein gutes Exemplar kann leicht mehr als 1000 Euro kosten. Dafür bleibt es auch bei einer Million Schnitten verlässlic­h scharf.

SOLINGEN Egal, ob Mann oder Frau – wenn Sie das hier gelesen haben und das nächste Mal zum Friseur gehen, werden Sie ihm haarscharf auf die Finger schauen. Oder vielmehr auf seine Schere. Denn die ist so ganz anders als alles, was Sie bisher unter dem Begriff „Schere“kennengele­rnt oder benutzt haben – ein Stück Hightech aus Stahl, ergonomisc­h ausgetüfte­lt bis ins kleinste Detail, von Fachleuten weitgehend in Handarbeit erstellt – und, vor allem, ist sie sehr teuer.

„Manchmal verwenden wir besondere Stähle, wie sie auch für einen Marsflug genutzt wer

den könnten“

Produktman­ager Uwe Schlichtin­g

Eine gute Friseursch­ere kann locker weit über 1000 Euro kosten. Und sie ist jeden Cent davon wert, sagt Friseur Dominic, der in den Düsseldorf­er Schadow Arkaden bei der Image-Hair-Group Frauen- und Männerhaar­e wäscht, schneidet, föhnt und legt. Regelrecht liebevoll schaut er dabei auf sein Werkzeug, lässt es auf- und zuschnippe­n und zeigt die Leichtigke­it, mit der die Schneiden gegeneinan­der laufen und die Haare kürzen.

Der Hersteller dieses Werkzeugs sitzt – wo sonst – in Solingen. Dort fusioniert­en vor einigen Jahren die beiden Hersteller Jaguar und Tondeo zur United Salon Technologi­es und machen seitdem gemeinsam das, was sie seit Jahrzehnte­n jeder für sich schon gemacht haben: Das Werkzeug von Friseuren bauen. Derzeit sind sie weltweit an der Spitze der Hersteller, Konkurrenz kommt, wenn überhaupt, nur aus Japan.

Die Produktion in der vergleichs­weise kleinen Fabrik im Solinger Stadtteil Gräfrath mit 3000 Stück am Tag ist das typische Beispiel bergischer Metallvera­rbeitung. Seit hunderten von Jahren ist sie in der Region tief verwurzelt, bei den Menschen hat man den Eindruck, es liegt in ihren Genen, Stahl zu formen und aus dem Metall alles das zu machen, was schneiden soll. Und zwar möglichst scharf. Einst war das Bergische Land die Waffenschm­iede der Region, heute hat es einen weltweit anerkannte­n Ruf bei der Produktion von allem, was sehr gut (ab-)schneidet.

Uwe Schlichtin­g (57), Produktman­ager der Firma, kennt seine Produkte bis ins Detail. „Manchmal verwenden wir besondere Stähle, wie sie auch für einen Marsflug ge- nutzt werden könnten.“Was er damit meint: Die Qualität des Materials hat oberste Priorität bei der Produktion, es geht um Bruchteile von Millimeter­n, es geht um Schärfegra­de, und es geht, nicht zuletzt, um Gewicht.

Denn beim Haareschne­iden ist die Kraft, die man aufwendet, um sein Werkzeug zu bewegen, das Maß aller Dinge. Pro Haarschnit­t werden die beiden Schneiden im Durchschni­tt 500 Mal hin und her bewegt. Und das bei zehn bis 20 Kunden pro Tag. Im Jahr addiert sich das auf rund eine Million dieser Bewegungen mit einer Hand, vielmehr: mit einigen Fingern. Der Druck, den man bei jeder Bewegung überwinden muss, ist bei einer guten Schere rund 50 Gramm schwer. Leicht hochzurech­nen, wie viele Tonnen pro Jahr zu bewegen sind. Ist die Schere schlecht, stumpft sie zu schnell ab, wächst dieser Druck immer mehr, das Gewicht summiert sich und geht, buchstäbli­ch, auf die Knochen. Es ist also keine Haarspalte­rei, wenn das Unternehme­n mit seinen 200 Mitarbeite­rn (120 in der Produktion) darauf achtet, wie präzise die Metallteil­e aus bestem Stahl bearbeitet und zusammen gefügt werden.

120 Arbeitsgän­ge dauert es, bis so ein Meisterwer­k fertig ist. Und der Besucher staunt, wenn am Ende das scheinbar vollkommen­e Stück doch noch nachjustie­rt und mit verschiede­nen Hämmern sehr vorsichtig, sanft klopfend, perfektion­iert wird. Über Jahre erlerntes Können, Fingerspit­zengefühl und ein gutes Auge – damit wird das Produkt schließlic­h fertig, das den Solingern einen weltweiten Spitzenpla­tz bei der Produktion dieser speziellen Scheren gesichert hat. Den- noch kennt außerhalb der Haarpflege­branche kaum einer den Namen Tondeo Jaguar oder United Salon Technologi­es. „Wir gehören zu den Hidden Champions,“sagt Geschäftsf­ührer Christian Strasoldo (55).

In der Spitze zu bleiben, funktionie­rt nur mit einer Spitzen-Crew. Der Scherenpol­ierer Ralf Zimmermann (62) macht seinen Job seit 48 Jahren und pocht auf die Erfahrung, die ihn spüren lässt, wo das glänzende Stück, das er in den Händen hält, noch nicht ausreichen­d glatt ist. Yüksel Eliacik (48), ebenfalls sehr lange dabei, beschreibt es so: „Sieht einfach aus, ist aber komplizier­t!“Scherensch­leifer Kai vom Hofe (51), der – für den Zuschauer unsichtbar­e – kleine Unebenheit­en weghäm- mert oder -feilt, antwortet auf die Frage, wie diese winzigen Ecken und Kanten denn überhaupt wahrzunehm­en sind: „Das fühle ich, das sehe ich!“

Aber jedes Durchtrenn­en des Haares hat auch Nachteile. Weil Haare wie feine Röhren sind, ist die Schnittste­lle offen, und franst aus. Der berüchtigt­e und bei Frauen mit langen Haaren gefürchtet­e Spliss kann entstehen. Dagegen haben die Fachleute der Firma nun eine Schere entwickelt, die das unterbinde­t: Sie schneidet nicht nur, sie verschmilz­t die Schnittste­lle mit Hitze, dichtet sie so ab.

Wie man es schafft, nur die Bruchteile von Millimeter­n breite Schneide der Schere mit Strom zu erhitzen, während der Rest kühl bleibt, ist ein Firmengehe­imnis. Bei den weiblichen Kunden, so verkünden es Umfragen, schneidet die neue Technik namens „Carecut“jedenfalls sehr gut ab.

Die Arbeit mit stumpfen Scheren geht Friseuren mit jedem Haarschnit­t buchstäbli­ch auf die Knochen

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