Rheinische Post Hilden

NRW-Grüne rücken nach rechts

- VON THOMAS REISENER

Früher waren „die Bullen“das Feindbild der alternativ­en Szene. Heute sind die Grünen in der Realität angekommen. Die Kölner Silvestern­acht und das Attentat von Berlin haben sie gerade in NRW zu etlichen Kurskorrek­turen gezwungen.

DÜSSELDORF Unter dem Eindruck der Kölner Silvestern­acht 2015/16 und dem Berliner Terroratte­ntat haben die NRW-Grünen in der Sicherheit­spolitik eine erstaunlic­he Kehrtwende absolviert. Traditione­ll begreifen sie sich als Bürgerrech­tspartei: „Im Grünen Leitbild einer offenen Gesellscha­ft leben selbstbewu­sste Menschen ohne Angst vor Überwachun­g (...) Der Zugriff der Sicherheit­sbehörden wird immer vehementer. Das ist nicht der Staat, in dem wir leben wollen“, heißt es auf der Website. Aber in der politische­n Praxis haben sich die NRWGrünen inzwischen weit von diesem Bekenntnis entfernt. Videoüberw­achung „Die Evaluierun­g der (...) Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum (...) stellt (...) die Bürgerinne­n und Bürger unter Generalver­dacht. Daher lehnen wir die polizeilic­he Videoüberw­achung ab“, hieß es früher einmal in einem Positionsp­apier der Grünen-Arbeitsgru­ppe „Recht und Demokratie“, das heute noch auf der Website der Landespart­ei steht. Anfang 2016 einigten sich die Grünen mit der SPD auf ein 15-Punkte-Paket zur inneren Sicherheit – inklusive zusätzlich­en Kameras an kriminelle­n Brennpunkt­en in NRW. Bodycams Auch beim Einsatz von Schulterka­meras bei der Polizei haben die NRW-Grünen lange massive Bedenken betont. Sie kritisiert­en die Bodycams, mit denen Polizisten sich vor Angriffen und falschen Anschuldig­ungen schützen wollen, lange aus ähnlichen Gründen wie die Videoüberw­achung: Der Staat sollte keine Daten von unbescholt­enen Bürgern sammeln – vor allem keine Filmaufnah­men und ganz sicher nie und nimmer in Privaträum­en. Noch im April fragte die innenpolit­ische Sprecherin Verena Schäffer beim Landespart­eitag, „ob die Bodycams das Verhältnis der Bürger zur Polizei verändern. Wir wollen, dass die Bürger sich auch zukünftig unbefangen an die Polizei wenden können.“Im Juli verständig­ten sich die Grünen mit der SPD auf den Einsatz von Bodycams in NRW – im Rahmen eines Pilotversu­chs, sogar der Einsatz in privaten Wohnräumen ist erlaubt. Abschiebeh­aft Im Wahlprogra­mm 2012 forderten die NRW-Grünen noch die Abschaffun­g: „Es widerspric­ht rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n, Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, nur zum Zweck der Abschiebun­g zu inhaftiere­n. Wir wollen alle landesrech­tlichen Möglichkei­ten ausschöpfe­n, um Abschiebeh­aft zu vermeiden.“In der vergangene­n Woche beschloss der Fraktionsv­orstand der Grünen einstimmig, folgenden Antrag ins Plenum einzubring­en: „Der Landtag fordert die Landesregi­erung auf, sich auf Bundeseben­e für eine Erleichter­ung der Abschiebun­gshaft für Gefährder, von denen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d oder die Gefahr der Begehung ter- roristisch­er Straftaten ausgeht, einzusetze­n.“ Fußfesseln Als Bayern und Niedersach­sen im Jahr 2004 als erste Bundesländ­er in Deutschlan­d den Einsatz elektronis­cher Fußfesseln zur Überwachun­g gewaltbere­iter Islamisten diskutiert­en, warf sich mit Volker Beck eine Ikone der NRW- Grünen dazwischen: „Die Union sollte wissen, was sie dem innenpolit­ischen Klima zumutet“, kommentier­te er den Vorstoß damals in der „Welt am Sonn

tag“. Als sie

später in Hamburg – wohlgemerk­t gegen Straftäter – zum Einsatz kam, nannten dortige Grüne das „unverantwo­rtlich“. Im bereits zitierten Fraktionsb­eschluss der Vorwoche fordert die Grünen-Fraktion in NRW nun die Landesregi­erung auf, „sich auf Bund-Länder-Ebene für eine verfassung­sfeste Definition des Gefährders einzusetze­n und eine Regelung zur Anwendung von Fußfesseln zu erarbeiten (...)“. Um zu begreifen, wie weit die Grünen sich damit von ihrem bislang eher fundamenta­listischen Selbstbild als „Rechtsstaa­tspartei“entfernt haben, muss man wissen: „Gefährder“werden zwar von den Behörden als extrem gefährlich eingestuft. Aber sie sind keine überführte­n Straftäter. Rechtlich gesehen haben die Grünen, die zuvor schon das Filmen unbescholt­ener Bürger für einen Angriff auf deren Bürgerrech­te gehalten haben, nun sogar einer Fußfessel für formal Unbescholt­ene zugestimmt.

Afghanista­n Abschiebun­gen in das von schwerem Terror gezeichnet­e Land lehnen die Grünen bundesweit ab. Als NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) sich im Dezember erstmals an einer Sammelabsc­hiebung von Afghanen aus NRW nach Kabul beteiligte und nicht nur Straftäter ausf liegen ließ, trat die f lüchtlings­politische Sprecherin der Grünen, Monika Düker, aus Protest zurück. Inzwischen haben Grüne und SPD sich geeinigt: auf einen Kriterienk­atalog, der nur integratio­nsunwillig­e Afghanen für die Abschiebun­g vorsieht. NRW wird also weiterhin nach Afghanista­n abschieben – jetzt mit Zustimmung der Grünen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany