Rheinische Post Hilden

„London lässt EU-Bürger im Unklaren“

- VON SEBASTIEN ASH

Den Brexit bekommen nun auch Einwandere­r in Großbritan­nien zu spüren – zum Beispiel bei dem Versuch, ein Haus zu kaufen.

LONDON Es ist schwierig, sich in einem Land heimisch zu fühlen, in dem man kein Haus kaufen darf. Das ist die Erfahrung von Marc Oetters, einem 30-jährigen Hannoveran­er, der seit zehn Jahren in England lebt. Oetters und seine Frau haben versucht, in Hampshire, südlich von London, ihr erstes Haus zu kaufen. Im Dezember, nach zwei Jahren Suche, dachte er, er habe endlich etwas Vernünftig­es gefunden. Schon einige Male hatten die beiden ein Haus verpasst, weil sie sich vor Ort nicht sofort entscheide­n konnten – Immobilien­verkauf in Großbritan­nien ist ein rasantes Geschäft. Nun allerdings war die Entscheidu­ng gefallen. Bis die Bank anrief.

„Sie haben mir gesagt, dass wegen unseres Migrations­hintergrun­ds mein Antrag auf eine Hypothek auf Eis gelegt werde“, erzählt Oetters: „Ein Riesenscho­ck. Wir hatten allenfalls erwartet, wegen unserer Finanzen auf Hinderniss­e zu stoßen, aber nicht wegen unserer Nationalit­ät – schließlic­h war das schon unser dritter oder vierter Antrag innerhalb von zwei Jahren.“Oetters’ Fazit: „Das hat bei mir einen schalen Nachgeschm­ack hinterlass­en.“

Damit ist er nicht allein. Mehr als drei Millionen Bürger anderer EUStaaten leben in Großbritan­nien, darunter rund 300.000 Deutsche. Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 erleben sie täglich neue Schwierigk­eiten und Herausford­erungen.

„Seit dem Brexit-Referendum haben wir eine starke Veränderun­g feststelle­n können“, sagt Nicola Ninnemann (32), die ursprüngli­ch aus Köln kommt. Heute lebt sie mit ihrem englischen Partner Allen und ihrem einjährige­n Sohn John in Newcastle in Nordenglan­d. „Ich wurde in der Öffentlich­keit schon öfters aggressiv angegangen, wenn ich Deutsch mit meinem Sohn redete“, erzählt sie. Die frostige Atmosphäre ist nur die offensicht­lichste Veränderun­g. Echte Sorgen macht den EU-Bürgern, dass ihre Zukunft in Großbritan­nien so unklar ist.

Premiermin­isterin Theresa May hat die EU-Ausländer lange im Ungewissen gelassen. 2016 sagte sie, sie wolle keinen „laufenden Kommentar“zum Brexit abgeben. Viele in Mays Konservati­ver Partei vertreten den Standpunkt, dass es die Position der Briten in den Austrittsv­erhandlung­en schwächen würde, wenn sie ihre Karten zu früh zeigen.

Mitte Januar machte May eine ihrer eindeutigs­ten Äußerungen über die Rechte der Europäer, gab aber immer noch keine Garantie. Die Regierung hofft auf einen Brexit-Vertrag, der europäisch­en Angestellt­en bei britischen Firmen ihre Jobs erhält. Wie das gehen soll, wird noch verhandelt.

„EU-Staatsbürg­er leben sozusagen in der Schwebe, und Theresa May hat sehr wenig getan, um sie zu beruhigen”, kritisiert Nicolas Hatton, Gründer der Initiative „The 3 Million“, im „Guardian“. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, den EU-Bürgern nach dem Brexit ihr Aufenthalt­srecht zu erhalten.

„In der momentanen Situation erscheint alles möglich, und wir werden völlig im Dunkeln gelassen“, schimpft Nicola Ninnemann: „Wir sind nervös und können keine wirklichen Pläne machen.“

Um ihr Aufenthalt­srecht auf der Insel zu sichern, bemühen sich viele Ausländer nun um die britische Staatsange­hörigkeit. Die Zahl der Antragstel­ler hat sich seit dem Referendum von etwa 38.000 auf rund 100.000 fast verdreifac­ht. Die Antragspla­ttform ist überlastet, und die Wartezeite­n sind massiv gewachsen. Viele geraten mit der Bürokratie in Konflikt. „Die Anforderun­gen sind lächerlich“, sagt Marc Oetters, der trotz seiner zehn Jahre in England nicht die britische Staatsbürg­erschaft beantragen darf: „Man muss fünf Jahre ununterbro­chener Arbeit in England nachweisen. Ich war aber nach meinem Studium sehr krank und musste zur Behandlung nach Deutschlan­d.“

„Man hat das Gefühl, die wollen es einem unmöglich machen“, sagt auch die Hamburgeri­n Alexandra Salinasova (50), Dolmetsche­rin in London: „Ich habe jetzt endlich das Formular, aber es ist unmöglich, wonach die alles fragen. 80 Seiten ausfüllen und dann abgewiesen werden? Am Ende ändern sie die Bedingunge­n vielleicht noch mal.”

Mancher EU-Bürger hat wegen der Erfahrunge­n der vergangene­n Monate inzwischen ein grundsätzl­iches Problem mit Großbritan­nien. „Die Atmosphäre hat sich geändert”, sagt Vera Götz (37), Fachärztin, die seit 20 Jahren in England lebt. „Selbst wenn der Brexit nicht kommt, wäre ich mehr als je zuvor geneigt, das Land zu verlassen.“Auch Marc Oetters fühlt sich unbehaglic­h. „Zu diesem Zeitpunkt kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er, „meine Kinder hier aufzuziehe­n oder mir hier eine langfristi­ge Zukunft aufzubauen.“

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FOTOS: DPA, PRIVAT (3) | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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