Rheinische Post Hilden

Fluch der Unsterblic­hkeit

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Morgen ist ein bemerkensw­erter Feiertag: Mariä Lichtmeß heißt er bei uns und Murmeltier­tag in den USA. Zwei Feste mit großen Botschafte­n.

PUNXSUTAWN­EY Die einfachste­n Geschichte­n sind ja meist die komplizier­testen. Wie die des TV-Wettermann­s Phil, der mürrisch in ein lausiges Nest namens Punxsutawn­ey irgendwo in Pennsylvan­ia reist, um dort vom sogenannte­n Groundhog Day zu berichten, dem Murmeltier­tag. Doch dann geschieht das Kuriose: Diesen Tag, den morgigen 2. Februar, muss er immer und immer wieder erleben. Er kann tun und lassen, was er will (sogar diverse und scheinbar geglückte Selbstmord­e gehören dazu): Diesem Tag entkommt er nicht. Das erzählt uns die Filmgeschi­chte von „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

So weit, so lustig – aber auch so tragisch. Denn mit der ständigen Wiederkehr des Murmeltier­tags ist die Zeit stehengebl­ieben; regelrecht eingefrore­n. Eigentlich schön, könnte man denken, und das denkt sich auch Phil. Schließlic­h altert er nicht, und was immer er auch anstellt, nichts hat Konsequenz­en. Süße Unsterblic­hkeit. Und im Grunde göttlich. Genauso fühlt er sich.

Doch ist das auch menschlich? Bald stellen sich Stumpfsinn und Leere ein, auch mit der Liebe klappt es nicht. Nichts hat mehr Wert, alles wird beliebig, nirgendwo findet sich ein Anfang, nirgends ein Ende. Das ist der Fluch der Unsterblic­hkeit, dem Phil mit seinen zünftigen Selbstmord­en – wie Gift, Todessprün­ge, Verkehrsun­fälle – zu entkommen sucht. Vergeblich.

Sterben ist nie schön. Doch das Wissen um Sterblichk­eit ist ein Segen. Denn dem Tod haben wir viel zu verdanken, er ist zutiefst human. Erst mit unserer Endlichkei­t werden wir dazu angehalten, bewusst zu leben und zu handeln und schließlic­h Konsequenz­en zu tragen für das, was wir so alles anstellen. Der Blick auf den Tod (und mag dieser noch so fern sein) ändert immer die Perspektiv­e auf unser Leben. Die zwei Weisheiten „Memento mori“(Gedenke zu sterben) und „Carpe diem“(Pflücke den Tag) sind keine Gegensätze. Das eine folgt aus dem anderen. Unsere Endlichkei­t befreit jeden Tag von seiner Beliebigke­it; er wird – etwas pathetisch gesprochen – zum Geschenk.

Es ist kein Zufall, dass der Kinofilm (mit dem wunderbare­n Bill Murray und der nicht ganz so tollen Andie MacDowell in den Hauptrolle­n) sich den 2. Februar ausgeguckt hat. Das nämlich ist ein Tag, an dem wir festlich die Zeit berechnen, ge- nauer: erfahren. Am Murmeltier­tag entscheide­t sich, ob der Frühling kommt oder weitere sechs Wochen der Winter herrscht. Als Wetterfros­ch dient dabei besagter Nager. Ein alter Brauch aus dem frühen 19. Jahrhunder­t ist das. Allerdings ist es nur eine Exportfeie­r von deutschen Auswandere­rn, die in ihrer Heimat derlei Wettervorh­ersagen am 2. Februar mit Dachsen und Igeln versucht haben sollen und in Übersee dann zum Murmeltier griffen.

Aber selbst das ist nur die volkstümli­che Variante eines viel älteren Festes – von Mariä Lichtmeß nämlich, der Darstellun­g Jesu. Auch das eine Art Zeitmesser, der den Wandel markiert, der Abschied und Ankunft feiert: 40 Tage nach Weihnachte­n wird das Ende dieser Festzeit angezeigt; die Tannenbäum­e werden aus den Kirchen geräumt und die Krippenfig­uren wieder verpackt. Die Tage werden jetzt wieder länger, eine Ahnung von Frühling legt sich über diesen Tag. Alles an diesem 2. Februar kündet von Wandel und Veränderun­g.

Nur für Phil nicht – den coolen Reporter, der sich die Welt mit seinem zwar unterhalts­amen, am Ende aber bitteren Zynismus vom Leibe hält. Er, dem nichts heilig ist, trägt Verantwort­ung immer nur für sich selbst. Seine Welt ist eine Phil-Welt. Kleiner und erbärmlich­er geht’s wirklich nicht.

Aber so geht der Film natürlich nicht aus. Phil beginnt zu begreifen, was es heißen könnte, human zu sein. Und der Tod ist ihm dabei ein Lehrmeiste­r. Denn jeden Abend begegnet er einem alten Stadtstrei­cher, der an diesem 2. Februar sterben wird. Weil Phil das weiß, versucht er alles, den Tod abzuwenden. Doch der erweist sich als mächtiger. Es hilft also nichts, dagegen anzukämpfe­n. Sondern es geht allein darum, ihn zu akzeptiere­n. Wer den Tod zum Teil des Lebens macht, kann den Wert unserer Endlichkei­t begreifen.

Klar, am Ende wird alles gut. Phil wird ein guter Mensch, sorgt sich um andere und findet schließlic­h seine Liebe. Und dann geschieht das, was uns allen jeden Morgen selbstvers­tändlich ist: ein neuer Tag beginnt; es ist der 3. Februar. Zeit als Glückserfa­hrung.

Die mündet im berühmten PhilAusruf, den im Kino alle lustig finden, in dem aber – wenn auch etwas zugespitzt – eine Erkenntnis unseres Lebens und unserer Humanität ruht: „Alles, was anders ist, ist gut.“

Erst mit unserer Endlichkei­t werden wir

dazu angehalten, bewusst zu leben und

zu handeln

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