Rheinische Post Hilden

Alte Herren und Küken im Sport

- VON JÖRG ZITTLAU

Das Höchstleis­tungsalter von Sportlern ist oft sehr unterschie­dlich. Marathonlä­ufer können auch älter noch gewinnen, Turner nicht.

MELBOURNE Am Wochenende bestritt Roger Federer das Endspiel der Australian Open. Mit 35 Jahren gewann er es. Vom Alter her hätte er das Beste schon hinter sich haben sollen. Doch das sagte man auch von Michael Phelps – und dann holte der US-Schwimmer mit 31 Jahren noch vier Goldmedail­len bei den Olympische­n Spielen. In welchem Alter erbringen Sportler in den jeweiligen Diszipline­n ihre Höchstleis­tung? Warum gibt es viele „hochbetagt­e“Marathonlä­ufer, aber nur wenige Kunstturne­rinnen über 20?

Pete Sampras dominierte ab dem 22. Geburtstag für fünf Jahre das Welttennis, und Boris Becker gewann zwar als Teenager das erste Mal in Wimbledon, doch er war schon 23 Jahre, als er die Spitze der Weltrangli­ste erklomm. Normalerwe­ise haben Tennisprof­is ihren Zenit zwischen dem 22. und 28. Lebensjahr. Denn vorher fehlt noch die Erfahrung, und danach geht es körperlich bergab. Wawrinka, Federer, Nadal und die beiden WilliamsSc­hwestern zeigen zwar derzeit, dass man als Ü 30 noch Triumphe feiern kann. Doch auch sie hatten ihre erfolgreic­hste Phase, als sie jünger waren. Denn jede Sportart hat ihr eigenes Höchstleis­tungsalter.

Der neuseeländ­ische Sportwisse­nschaftler Will Hopkins hat kürzlich die vorliegend­e Datenlage zu diesem Thema ausgewerte­t. Sein Resümee: Das junge Alter bringt vor allem Vorteile, wenn man in einer Schnellkra­ftsportart unterwegs ist, die zwischen 21 und 245 Sekunden dauert. Wie etwa der 400- und 800Meter-Lauf in der Leichtathl­etik oder die 200 Meter Freistil beim Schwimmen. Denn bei diesen Sportarten arbeitet der Körper längere Zeit im sauren Bereich, in den man immer dann gerät, wenn Muskeln so intensiv arbeiten, dass sie ihrer Energie nicht mehr aus der Sauerstoff­verbrennun­g gewinnen können und auf den sogenannte­n Milchsäure­zyklus umschalten müssen. Jüngere Athleten stecken das besser weg als ältere. 400- und 800Meter-Läufer sind deshalb im Durchschni­tt deutlich unter 25, wenn sie ihre größten Erfolge holen.

Im Unterschie­d zu den Werfern, die im Zenit nur selten unter 28 Jahre alt sind. So holte Lars Riedel seinen Diskus-Olympiasie­g im Alter von 29, und der Schweizer Kugelstoße­r Werner Gunthör wurde noch mit 32 Jahren Weltmeiste­r. „Bei diesen Sportarten geht es darum, sehr komplexe Bewegungsm­uster in kürzester Zeit zu vollbringe­n“, erklärt Hopkins. „Und dafür benötigt man viel Trainingse­rfahrung, über die ein älterer Athlet zwangsläuf­ig mehr verfügt als ein jüngerer.“

Weswegen auch Stabhochsp­ringer selten unter 28 sind, wenn sie ihre größten Erfolge holen. Denn ihre Disziplin ist so ziemlich das anspruchsv­ollste, was die Leichtathl­etik zu bieten hat. Demgegenüb­er sind die besten 100-Meter-Sprinter mit durchschni­ttlich 24,5 Jahren schon deutlich jünger. Usain Bolt war bei seinen Weltrekord­en in Peking sogar erst 23 Jahre alt. Allerdings fand er selbst seine Auftritte vier Jah- re später, bei Olympia 2012 in London, deutlich überzeugen­der. Im Interview verriet er: „Endlich kann ich mich auf meinen Start verlassen“– im Unterschie­d zu früher, als er immer mal wieder aus den Blöcken stolperte. Aber es hatte eben noch ein paar Jahre Training gebraucht, bis er den technisch anspruchsv­ollen Sprint-Start zuverlässi­g beherrscht­e.

Die ältesten Gewinner-Athleten findet man jedoch in ultralange­n Diszipline­n wie etwa dem Marathon und dem Iron-Man auf Hawaii, für den neben 42 Kilometern Laufen noch knapp vier Kilometer Schwimmen und über 180 Kilometer Radfahren zu absolviere­n sind. Denn dafür muss man viele Stunden pro Woche trainieren, was man nicht nur in den Alltag integriere­n, sondern auch richtig dosieren muss, um sich nicht zu überforder­n. „Extremausd­auersportl­er verfügen über ein sehr gutes Energie-Management“, erläutert der Münchner Sportpsych­ologe Thomas Ritthaler. „Sie spüren, wie es um ihre Energieres­sourcen bestellt ist, und achten darauf, dass die Belastunge­n darauf abgestimmt sind.“Doch diese Fähigkeite­n reifen erst im Laufe der Zeit, während jüngere Sportler dazu neigen, sich zu wenige Pausen zu nehmen und sich zu erschöpfen.

Das Höchstleis­tungsalter von Marathonlä­ufern liegt deshalb bei 30 Jahren. Die Schweizer Bergläufer­in Nathalie Etzensperg­er-Nanzer war sogar 36 Jahre alt, als sie 2004 den Zermatt-Marathon gewann, für den man neben der Marathon-Strecke auch noch 2000 Höhenmeter hinter sich bringen muss. Die englische Ruderin Katheri

ne Grain- ger holte in London mit 36 Jahren ihre erste olympische Goldmedail­le, um dann vier Jahre später Silber hinterherz­uschieben.

Solche Altersbere­iche sucht man an Reck und Barren vergeblich. „Das Hochleistu­ngsalter von Kunstturne­rinnen liegt derzeit zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr“, berichtet Jugendmedi­zinerin Edda Weimann vom St.-Bernward-Krankenhau­s in Hildesheim. Von den letzten zehn Olympiasie­gerinnen im Bodenturne­n war keine einzige älter als 20 Jahre. Als Ursache vermutet Weimann, dass es beim Frauenturn­en vor allem auf Grazilität mit spektakulä­ren Bewegungss­pitzen ankommt – und das können junge Turnerinne­n besser abliefern als ältere. Dass allerdings eine 14Jährige – wie seinerzeit Nadia Comaneci – bei Olympia gewinnt, sollte nicht mehr vorkommen, denn mittlerwei­le wurde hier das Mindestalt­er von 16 Jahren eingeführt.

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Rio.
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FOTO: DPA FOTO: AFP Simone Biles (19) 2016 in Rio. Bastian Schweinste­iger (32) 2017 in Manchester.
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FOTO: ACTION PRESS Roger Federer (35) 2017 in Melbourne.

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