Rheinische Post Hilden

Der feine Kerl aus Hellerhof

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Hausbesuch bei Sammy Amara, dem Sänger der Broilers. Seine Band veröffentl­icht am Freitag ihr neues Album.

Sammy Amara wohnt im Düsseldorf­er Zentrum, und er hat sich das allerherrl­ichste Jungszimme­r eingericht­et, das man sich vorstellen kann. Riesen-Fernseher, eine Wand voller CDs, fette Lautsprech­er, Playstatio­n, Ledersofa zum Einsinken und darüber selbstgema­chte Plakate mit den besten Textstelle­n seiner Lieblingsl­ieder. „No Surrender“von Bruce Springstee­n zum Beispiel: „Wir haben aus einem Drei-Minu-

Die Verkäuferi­n bei „Saturn“in Garath empfahl ihm eine CD von den Toten Hosen

ten-Song mehr gelernt als in der ganzen Schulzeit“, heißt es da. Super Zeile, der Boss halt. Als man die Poster lobt, sagt Amara: „Freut mich.“Er hockt auf dem Boden und streichelt seine taube französisc­he Bulldogge Missy. Rührendes Bild: Dieser muskelbepa­ckte Kerl, dem die Tattoos bis zum zweiten Fingerglie­d aus dem Ärmel des Sweatshirt­s wachsen, und daneben das hilfsbedür­ftige Tier.

Amara ist 37 Jahre alt und Kopf der Band Broilers. Das Quintett veröffentl­icht übermorgen sein neues Album mit dem Titel „(sic!)“, und es wäre verwunderl­ich, wenn es nicht wie sein Vorgänger Platz eins der Charts erreichen würde. Die Broilers gehören zu den besten LiveBands der Republik, sie haben sich seit ihrer Gründung 1992 mit Konzerten an die Spitze gespielt. Ihr Stil: Punkrock mit deutschen Texten voller Herzblut. Bei jedem anderen würden sie kitschig klingen, nur bei Amara nicht: „Diese Stadt gehört uns / Ich hab mein Blut im Rhein vergossen / Der hohen Städte Türme, Staub und Wind / Urbane Legenden, gib dieser Stadt ihr Kind.“

Er wuchs in Hellerhof auf, jener Stadtteil, „in den man zieht, wenn man sich aus Garath rausgearbe­itet hat“. Sein Vater verließ den Irak in den 50er Jahren, er studierte in Heidelberg Medizin und ließ sich als Augenarzt in Düsseldorf nieder. Amaras Mutter arbeitete damals als Assistenti­n in einer Firma für Praxis-Bedarf, so lernte der Vater sie kennen. „Sie war sehr frech, das hat ihm wohl gefallen.“

Amara ist zurückhalt­end, er kratzt sich gelegentli­ch mit schweren Fingern im Nacken. Der ist bestimmt ein guter Kumpel, denkt man, der haut einen raus. Es fällt einem eine andere Springstee­n-Zeile ein: „We swore blood brothers against the wind“. Die Mutter hörte immerzu Platten, sagt Amara, Abba und Country, es war immer Musik da. Sie sorgte dafür, dass Amara empfänglic­h war für Lieder, und eines Tages sah er MTV, die Sendung „Headbanger’s Ball“. Es lief „Thunderstr­uck“von AC/DC. Der Wahnsinn, „umgehauen hat mich das“, totale Hingabe. Amara ließ sich AC/DC-Alben schenken, entdeckte Slayer und Sepultura, und als die Verkäuferi­n im „Saturn“in Garath „Learning English“empfahl, das Album, auf dem die Toten Hosen ihre Helden würdigen, brannte der Junge lichterloh: „Harte Sounds und poppige Melodien, das ist meins.“Amara begann sich wie die Vorbilder zu kleiden, und er hörte „Blitzkrieg Bop“von den Ramones auf dem Mountainbi­ke. Der süße Würgegriff der Popkultur.

Amara mag Musik, die pathetisch ist und zugleich düster, gefühlvoll und aggressiv. In seinem alphabetis­ch sortierten Plattenreg­al neh- men die CDs von The Clash den größten Raum ein, auch Marteria steht da, außerdem gibt es Rubriken mit den Schildchen „Jazz“und „Klassik“.

1991 bekam er eine Gitarre zu Weihnachte­n. Er wollte selbst Musik machen. „Ich wollte perfekt spielen. Das habe ich von meiner Mutter: Wenn ich etwas tue, dann mit Leidenscha­ft. Perfekt wurde es nicht, aber leidenscha­ftlich.“Die morbiden Jünger hieß seine erste Band, „Jesus war ein Punker“deren bester Song. Amara hörte Reggae und Ska, er rasierte sich den Schädel, er war Oi-Punk, ein anti-rassistisc­her Skin also, ein Linker, der sich wie damals auch die Rechten kleidete. In Hellerhof verstand das nicht jeder, auch sein Vater ließ sich erklären, was das zu bedeuten habe. Und Sammy antwortete, er wolle aussehen wie „das Böseste, das es gibt“, wie ein Skinhead also, aber ohne Rassismus oder Faschismus mit sich zu tragen. Schaf im Wolfspelz, so ungefähr. Der Vater verstand noch immer nicht so recht, war sich aber sicher: Sammy ist ein feiner Kerl.

1992 gründete Amara mit seinem Jugendfreu­nd Andi Brügge die Broilers. Andi hatte ein Schlagzeug. Der Kumpeltrau­m: die Gruppe als Gang. Band of Brothers. Sie wurden lange belächelt, weil sie vor allem in Ostdeutsch­land auftraten. Ochsentour nennt man das wohl. Die Profession­alität kam, als JKP, die Firma der Toten Hosen, das Management übernahm. „Sie haben Ordnung in unser Chaos gebracht“, sagt Amara, „die sind wie Erwachsene, die Kinder beaufsicht­igen.“

Gelernt hat er Grafikdesi­gn, er hatte ein Büro, arbeitete auch für die Toten Hosen, aber inzwischen entwirft er nur noch für die Broilers. Album-Cover, T-Shirts, alles. „Das gebe ich ungern aus der Hand“, sagt er. Die Band als Gesamtkuns­twerk.

Amara ist der Chef – „aber so, dass es für alle gut ist“. Er schreibt die Texte, jeden Tag bis drei Uhr nachts. „Ich tippe unterwegs Ideen ins Handy und arbeite sie zuhause aus.“Sein „Schriftste­llerleben“nennt Amara das. „Ich habe so viel Empathie. Schreiben ist für mich Selbstther­apie.“Zum Runterkomm­en schaut er Mafia-Serien. „Gut gekleidete Leute, die grausame Dinge tun. Das ist wie in der Musik: Mich interessie­ren die Brüche. Das Wort ,Herz’ wirkt viel stärker, wenn du danach ,verdammte scheiße’ sagst.“

Ist er politisch? „Soziopolis­tisch“, sagt er und lächelt. Er sei demütig, weil es ihm so gut gehe. Er findet, Künstler müssten sich positionie­ren. „Ich könnte keine glückliche, unpolitisc­he Spaßplatte machen.“Und über Trump: „Es ist bitter, dass manche Menschen erst so einen Clown da sitzen haben müssen, um wieder Feuer zu spüren.“

Er sei oft wehmütig, sagt Amara. Die Kindheit, die Jugend. Daran denke er oft. Übermorgen beginnt die Zukunft. Und wenn alles schief geht? „Dann haben wir immer noch die Freundscha­ft.“Wieder fällt einem der Boss ein: „Walk tall, or baby, don’t walk at all.“

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