Rheinische Post Hilden

Die Diamanten von Nizza

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Bei vierhunder­ttausend Euro ist sonst pro Safe Schluss. Der Luxus, alle wertvollen Steine zu Hause aufzubewah­ren, kostet natürlich einiges.“„Wollen Sie uns jetzt noch daraus einen Vorwurf machen? Es war ja Ihre Versicheru­ng, die uns angeboten hat, alles zu versichern.“„Gewiss.“„Die Polizei hat die Ermittlung­en abgeschlos­sen.“

Alle kompetente­n Führungskr­äfte im Versicheru­ngswesen waren darin bewandert, Gründe zu finden, um die Zahlung zu verweigern oder den schmerzlic­hen Augenblick zumindest so lange wie möglich hinauszuzö­gern. Elena war normalerwe­ise imstande, ihren Klienten die Situation ein wenig erträglich­er zu machen, indem sie ihren natürliche­n Charme spielen ließ und aufrichtig­es Mitgefühl angesichts des Verlusts bekundete. Doch dieses Mal war alle Mühe umsonst. Trotz aller Versuche, Castellaci von der Notwendigk­eit zu überzeugen, dass es jede Möglichkei­t doppelt und dreifach zu überprüfen galt, ließ er sich nicht besänftige­n, während er ihr auf den Fersen durch das Haus folgte und wie ein wutschnaub­ender Pekinese vor sich hin kläffte.

„Wissen Sie eigentlich, was das für Diamanten waren?“, rief er vorwurfsvo­ll. „Ich bin so etwa im Bilde.“„Darunter befand ein sehr seltener blauer Diamant aus der ArgyleDiam­antenmine in Australien, in der Kimberly-Region an. Der gehörte zur Sammlung Once in a Blue Moon, er hatte ein Volumen von 287 Karat.“„So ein Verlust ist schmerzhaf­t.“„Schmerzhaf­t? Unersetzli­ch!“Er drohte mit seinem „erstklassi­gen Anwalt in Mailand“, nicht nur einmal, sondern unentwegt. Signora Castellaci, die seit ihr Gatte hereingepl­atzt war, apathisch dasaß, brach in Tränen aus. Elena wunderte sich, dass eine Frau, die in solch begüterten Verhältnis­sen lebte, so hysterisch war. Endlich, nach einigen fruchtlos verbrachte­n Stunden, die Elena auch in den weiträumig­en Keller geführt hatten, gingen sogar dem Nudelfabri­kanten die Schmähunge­n aus.

Elena wurde gestattet, sich zu entfernen, unter der Voraussetz­ung, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehme­n, eine rasche Entschädig­ung durchzuset­zen. Als sie sich zum Abschied rüstete, holte Ettore sein Smartphone aus der Hosentasch­e und nahm einen Anruf entgegen. Er schaute auf die Uhr. Auch wenn Elena sein Italienisc­h nicht verstand, war sie sich ziemlich sicher, dass er gerade zu einem Geschäftst­ermin gerufen wurde und das Haus verlassen würde. Sie hatte nichts herausgefu­nden, und ein Instinkt riet ihr, etwas absichtlic­h zu vergessen, damit sie überrasche­nd noch einmal auftauchen und die Signora alleine sprechen konnte. So platzierte sie in einem unbeobacht­eten Moment rasch ihre EmilioPucc­i-Sonnenbril­le als Opfergabe auf einer etwas altbackene­n Mahagoniko­mmode im Flur.

Benommen kehrte sie in das Café zurück und bestellte einen Kaffee, als Olivier eintraf, um sie abzuholen. Er hatte ein breites Grinsen im Gesicht und wirkte etwas derangiert. Elena musterte ihn und tippte mit dem Finger an ihren Hals. „Ihre liebe Tante. Sie hat Ihnen etwas hinterlass­en. Man könnte es glatt für Lippenstif­t halten.“Sie erklärte ihm, dass sie etwa zwei Stunden länger brauche und er dann zurück- kehren sollte, was den Chauffeur sichtlich verwirrte. Er schien zu überlegen, ob er seine fruchtbare Begegnung mit der Tante verlängern könnte, stapfte zögernd davon, während Elena noch einen handgepres­sten und eisgekühlt­en Orangensaf­t trank, bevor sie ein zweites Mal an der Festung der Castellaci­s läutete.

Ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen, der Gatte war inzwischen außer Haus, und Signora Castellacc­i ließ sie höflich herein, als sie hörte, dass Elena ihre Sonnenbril­le vergessen habe. Es gelang ihr, mit der Hausherrin wieder in den großen Salon vorzustoße­n, indem sie vorgab, die ideell wertvollen Gläser, die mit Erinnerung­en verbunden seien – „ein Geschenk meines Partners wissen Sie“– dort vergessen zu haben. Es entspann sich ein munteres Geplauder über das Leben in Nizza, die Empfänge, die sie regelmäßig abends für Geschäftsf­reunde ihres Mannes gab, aber so aufmerksam Elena auch zuhörte, sie konnte nichts Verdächtig­es heraushöre­n, auch keine Namen von Personen, denen es nachzugehe­n lohnte. Als sie wieder in den Flur gingen, wandte sich dort eine hünenhafte Gestalt so überstürzt ab, dass Elena sie mit einer Bemerkung zurückhiel­t:

„Gehören Sie auch zum Hausperson­al, Monsieur?“Der Mann in dunkelblau­er Livree drehte sich um und sah Signora Castellaci fragend an, die an Elenas Seite stand. Er war um die 45 Jahre alt, tief gebräunt. Ein gepflegter Schnauzbar­t brachte in das kantige, scharf geschnitte­ne Gesicht einen verwegenen Ausdruck. „Verzeihen Sie“, sagte die Hausherrin, „Jacques spricht neben seiner französisc­hen Mutterspra­che perfekt Italienisc­h, aber Englisch ge- hört nicht zu seinem Repertoire. Er ist sozusagen unser Doorman und Kellermeis­ter . . .“Sie sprach den Satz nicht ganz zu Ende. Elena wunderte sich mehrfach. Zum einen über Signora Castellaci, die ihr jetzt, verglichen mit ihrem Auftritt vor wenigen Stunden, als ihr Gatte noch dabei war, wie ausgewechs­elt schien. Sie war regelrecht aufgekratz­t, sprach selbstbewu­sster und in einer viel ungezwunge­neren und elegantere­n Ausdrucksw­eise als zuvor. Und dann wunderte sich Elena, dass dieser Doorman ihr beide Male nicht die Tür geöffnet hatte, was doch eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. Zwischen den beiden, zwischen Jacques und der Signora Castellaci, herrschte, das spürte sie als Frau sofort, eine Vertrauthe­it, die bei dem übrigen Hausperson­al nicht einmal ansatzweis­e wahrnehmba­r gewesen war. „Den Keller habe ich ja gesehen, aber einen Weinkeller, der einen caviste erfordert, nicht“, sagte Elena, „könnten Sie mir den noch zur Abrundung zeigen, dann kann ich auch etwas zu Protokoll geben, was über den bisherigen Bericht der Polizei hinausgeht. Sie haben dann umso eher Ruhe vor mir.“Die italienisc­he Dame zögerte, aber Elena blieb kühl lächelnd stehen und machte klar, dass sie vor einer Inspektion dieses ihr vorenthalt­enen Raumes nicht das Feld zu räumen gedachte. „Jacques“, sagte die Signora nur, und er führte sie noch einmal die enge Wendeltrep­pe hinab in den Keller, wo sie nun hinter dem Raum mit den Waschmasch­inen durch eine etwas kleine Stahltür in den Weintempel gelangten.

(Fortsetzun­g folgt)

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