Neonazi soll Wehrhahn-Bomber sein
Ein heute 50-Jähriger soll vor mehr als 16 Jahren den Sprengstoffanschlag verübt haben, bei dem zehn überwiegend jüdische Einwanderer teils schwer verletzt wurden. Schon damals stand er unter Verdacht.
DÜSSELDORF Fremdenfeindlichkeit soll das Motiv eines früheren Militariahändlers gewesen sein, als er am 27. Juli 2000 einen selbstgebauten Sprengsatz in Zeitungspapier wickelte und in einer Plastiktüte am Geländer des S-Bahnhofs Düsseldorf-Wehrhahn befestigte. Per Fernzünder soll er die Bombe zur Explosion gebracht haben, als zwölf Sprachschüler das Geländer passierten. Zehn der überwiegend jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion wurden teils lebensgefährlich verletzt, das ungeborene Kind einer Schwangeren im Mutterleib von Splittern getötet.
16 Jahre und sechs Monate später erläuterten die Düsseldorfer Ermittler gestern eine Indizienkette, mit der sie hoffen, den heute 50 Jahre alten arbeitslosen Ralf S. wegen zwölffachen Mordversuchs hinter Gitter zu bringen. Der kenne sich als früherer Bundeswehrsoldat mit Sprengstoff aus, habe das handwerkliche Geschick zum Bombenbau, und er habe zur Tatzeit auch die nötigen Gerätschaften besessen. Vor allem aber sei das Alibi geplatzt, das ihm vor 16 Jahren Zeugen nur deshalb gegeben hätten, weil S. sie massiv unter Druck gesetzt habe, berichtete Staatsanwalt Ralf Herrenbrück.
Einige der Indizien seien auch den Ermittlern der Sonderkommission „Ackerstraße“im Jahr 2000 durchaus bekannt gewesen, sagte der Staatsanwalt. Sie hätten nur nicht gereicht, um den Verdacht zu erhärten, unter den S. bereits kurz nach der Tat geraten war. Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten S. waren deshalb nach zwei Jahren eingestellt worden.
Ein Gespräch im Gefängnis brachte die Untersuchung 2014 wieder in Gang. S., der wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe einsaß, soll einem Mitgefangenen gegenüber den Anschlag gestanden haben. Über das Justizpersonal war die Information dann an die Kriminalpolizei gekommen. Die bildete ein Viererteam, das als neue Ermittlungskommission „Furche“akribisch die 70.000-seitige Akte noch einmal durchforstete. Und auf Hinweise stieß, die die Kollegen Jahre zuvor nicht hatten einordnen können.
Auch die Profiling-Abteilung, die im Sommer 2000 beim Landeskriminalamt noch im Aufbau war, konnte nun neue Hinweise geben – auch und vor allem zum Sprengsatz und seinem Zündmechanismus. Außerdem machten die Ermittler neue Zeugen ausfindig, vor allem einen, der 16 Jahre nach der Tat berichtete, dass S. den Anschlag angekündigt habe. Auch dieser Zeuge habe aus Angst vor dem als Waffennarr geltenden S. lange geschwiegen.
Der Haftbefehl gegen den Ratinger S. wurde am Dienstag vollstreckt. Noch in der Nacht zu gestern suchte die Kriminalpolizei an acht Stellen in Düsseldorf und Ratingen nach möglichen Waffendepots. Über die Ergebnisse wollten die Ermittler gestern nichts sagen.
Einen Zusammenhang zwischen S. und dem rechtsextremen NSUTrio schließen sie aus. Bereits nach dessen Entdeckung 2011 war geprüft worden, ob die thüringischen Mörder auch für den Wehrhahn-Anschlag verantwortlich waren. Im Untersuchungsausschuss, der sich im Landtag mit den Vorgängen um den NSU befasst, war der Wehrhahn-Anschlag zuletzt mehrfach vertagt worden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.