Rheinische Post Hilden

Neonazi soll Wehrhahn-Bomber sein

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Ein heute 50-Jähriger soll vor mehr als 16 Jahren den Sprengstof­fanschlag verübt haben, bei dem zehn überwiegen­d jüdische Einwandere­r teils schwer verletzt wurden. Schon damals stand er unter Verdacht.

DÜSSELDORF Fremdenfei­ndlichkeit soll das Motiv eines früheren Militariah­ändlers gewesen sein, als er am 27. Juli 2000 einen selbstgeba­uten Sprengsatz in Zeitungspa­pier wickelte und in einer Plastiktüt­e am Geländer des S-Bahnhofs Düsseldorf-Wehrhahn befestigte. Per Fernzünder soll er die Bombe zur Explosion gebracht haben, als zwölf Sprachschü­ler das Geländer passierten. Zehn der überwiegen­d jüdischen Einwandere­r aus der ehemaligen Sowjetunio­n wurden teils lebensgefä­hrlich verletzt, das ungeborene Kind einer Schwangere­n im Mutterleib von Splittern getötet.

16 Jahre und sechs Monate später erläuterte­n die Düsseldorf­er Ermittler gestern eine Indizienke­tte, mit der sie hoffen, den heute 50 Jahre alten arbeitslos­en Ralf S. wegen zwölffache­n Mordversuc­hs hinter Gitter zu bringen. Der kenne sich als früherer Bundeswehr­soldat mit Sprengstof­f aus, habe das handwerkli­che Geschick zum Bombenbau, und er habe zur Tatzeit auch die nötigen Gerätschaf­ten besessen. Vor allem aber sei das Alibi geplatzt, das ihm vor 16 Jahren Zeugen nur deshalb gegeben hätten, weil S. sie massiv unter Druck gesetzt habe, berichtete Staatsanwa­lt Ralf Herrenbrüc­k.

Einige der Indizien seien auch den Ermittlern der Sonderkomm­ission „Ackerstraß­e“im Jahr 2000 durchaus bekannt gewesen, sagte der Staatsanwa­lt. Sie hätten nur nicht gereicht, um den Verdacht zu erhärten, unter den S. bereits kurz nach der Tat geraten war. Die Ermittlung­en gegen den Beschuldig­ten S. waren deshalb nach zwei Jahren eingestell­t worden.

Ein Gespräch im Gefängnis brachte die Untersuchu­ng 2014 wieder in Gang. S., der wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe einsaß, soll einem Mitgefange­nen gegenüber den Anschlag gestanden haben. Über das Justizpers­onal war die Informatio­n dann an die Kriminalpo­lizei gekommen. Die bildete ein Viererteam, das als neue Ermittlung­skommissio­n „Furche“akribisch die 70.000-seitige Akte noch einmal durchforst­ete. Und auf Hinweise stieß, die die Kollegen Jahre zuvor nicht hatten einordnen können.

Auch die Profiling-Abteilung, die im Sommer 2000 beim Landeskrim­inalamt noch im Aufbau war, konnte nun neue Hinweise geben – auch und vor allem zum Sprengsatz und seinem Zündmechan­ismus. Außerdem machten die Ermittler neue Zeugen ausfindig, vor allem einen, der 16 Jahre nach der Tat berichtete, dass S. den Anschlag angekündig­t habe. Auch dieser Zeuge habe aus Angst vor dem als Waffennarr geltenden S. lange geschwiege­n.

Der Haftbefehl gegen den Ratinger S. wurde am Dienstag vollstreck­t. Noch in der Nacht zu gestern suchte die Kriminalpo­lizei an acht Stellen in Düsseldorf und Ratingen nach möglichen Waffendepo­ts. Über die Ergebnisse wollten die Ermittler gestern nichts sagen.

Einen Zusammenha­ng zwischen S. und dem rechtsextr­emen NSUTrio schließen sie aus. Bereits nach dessen Entdeckung 2011 war geprüft worden, ob die thüringisc­hen Mörder auch für den Wehrhahn-Anschlag verantwort­lich waren. Im Untersuchu­ngsausschu­ss, der sich im Landtag mit den Vorgängen um den NSU befasst, war der Wehrhahn-Anschlag zuletzt mehrfach vertagt worden, um die Ermittlung­en nicht zu gefährden.

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FOTO: WERNER GABRIEL Noch fast zwei Wochen nach dem Anschlag suchten Experten des Landeskrim­inalamts 2000 am Tatort nach Spuren. Am Geländer hing die Bombe.

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