Rheinische Post Hilden

Fußfessel für Gefährder?

- VON STEPHAN MAYER VON FRANK TEMPEL

Das Bundeskrim­inalamt soll bei Gefährdern künftig die elektronis­che Fußfessel einsetzen dürfen. Aber erhöht der Beschluss des Kabinetts auch die innere Sicherheit? Die Wirksamkei­t der Maßnahme ist umstritten.

Der Beschluss des Kabinetts ist ein wichtiger Schritt: Spätestens der Fall des Attentäter­s Anis Amri, den die Behörden im Herbst letzten Jahres aus den Augen verloren, hat uns vor Augen geführt, dass wir bei der Überwachun­g dieser extrem gefährlich­en Personen neue Wege gehen müssen.

In Deutschlan­d laufen rund 180 Gefährder frei herum. Sie stellen eine Gefahr für die Sicherheit dar, können mangels Verurteilu­ng aber nicht eingesperr­t werden. Es ist offensicht­lich, dass die Polizei so viele Menschen nicht persönlich rund um die Uhr überwachen kann. Die elektronis­che Fußfessel ist hier ein effektives Mittel, um den Sicherheit­sbehörden die Kontrolle des Aufenthalt­sortes dieser Personen zu ermögliche­n.

Natürlich wird die Fußfessel keinen Selbstmord­attentäter von seiner Tat abhalten. Aber alle sonstigen Träger eines solchen Senders werden künftig in dem Bewusstsei­n leben und handeln, dass sie sich nach einer Tat einer Verurteilu­ng kaum werden entziehen können. Den Behörden erleichter­t die Fußfessel die Aufklärung begangener Straftaten. Wichtiger noch: Sie kann dazu beitragen, dass die Sicherheit­sbehörden gefährlich­e Netzwerke erkennen und bestenfall­s geplante Straftaten verhindern. So soll beispielsw­eise das Bundeskrim­inalamt Aufenthalt­sverbote für be- stimmte Orte erlassen und deren Einhaltung dann mit Hilfe von Fußfesseln kontrollie­ren können. Angesichts der Gefahren, die von den Betroffene­n aufgrund bestimmter Anhaltspun­kte ausgehen, ist der mit der Pflicht zum Tragen einer Fußfessel verbundene Grundrecht­seingriff auch gerechtfer­tigt.

Ohne Frage: Da es um nicht strafrecht­lich verurteilt­e Personen geht, ist sowohl bei der Ausgestalt­ung der rechtliche­n Regelung als auch bei der Anwendung in der Praxis Sensibilit­ät erforderli­ch. Die Gefahr behördlich­er Willkür wird jedoch insbesonde­re durch den Vorbehalt der richterlic­hen Anordnung gebannt. Nach der Aufgabenve­rteilung zwischen Bund und Ländern ist das BKA nur für einen sehr geringen Teil der hier lebenden Gefährder verantwort­lich.

Damit zum Schutz der Bevölkerun­g in Deutschlan­d das Mittel der Fußfessel bei all diesen Personen eingesetzt werden kann, sind nun die Bundesländ­er in der Pflicht, zügig in ihren Polizeiges­etzen entspreche­nde Regelungen zu schaffen. Nur so kann das Instrument der elektronis­chen Fußfessel bundesweit seine volle Wirkung entfalten.

Die elektronis­che Fußfessel, insbesonde­re bei Gefährdern, ist ein heftig überschätz­tes Mittel. Fußfesseln können keine Anschläge verhindern. Sie sind ohne große Probleme zerstörbar. Der Träger kann untertauch­en und Straftaten begehen.

Am Fall des Priestermo­rdes in Frankreich im Juli 2016 zeigt sich, wie ungeeignet diese Methode ist, Gefährder effektiv zu überwachen. Einer der beiden islamistis­chen Täter trug eine Fußfessel. Der Standort einer Person sagt auch nichts über ihr Tun aus. Ob sich der Träger einer Fußfessel mit Gleichgesi­nnten trifft oder konspirati­v kommunizie­rt, kann nur eine konkrete Überwachun­g klären. Deshalb werden Sicherheit­sbehörden durch Fußfesseln auch nicht spürbar entlastet.

Die derzeitige Überforder­ung der Polizeien wurde zuallerers­t durch die Stellenkür­zungen der vergangene­n Jahre bei gleichzeit­igem Aufgabenau­fwuchs und nicht nur durch die angespannt­e Sicherheit­slage verursacht. Auch bei Anis Amri hätte eine Fessel das Attentat nicht verhindert. Zwischen der Entführung des Lkw und dem Attentat ist keine Stunde vergangen. Bei der Nutzung von Alltagsgeg­enständen als Waffe ist die Zeit vom Abstreifen der Fußfessel bis zur Tat so kurz, dass anlaufende Fahndungsm­aßnahmen zu spät kommen.

Das Haupthinde­rnis bei der Verhaftung Amris war nicht dessen Untertauch­en. Seine beiden Wohnadress­en in Berlin waren bekannt. Haupthinde­rnis war offensicht­lich die Informatio­nsabschöpf­ung bei Amri im Zusammenha­ng mit der Aushebung der Gruppe Abu Walla durch eine VPerson des Landeskrim­inalamts. Die Abschöpfun­g wurde einer Gefahrenab­wehr vorgezogen. Trotz zahlreiche­r kriminelle­r Delikte kam es so zu keiner Verhaftung.

In der ganzen Diskussion um Mittel gegen den Terror wird kaum über Prävention­sstrategie­n diskutiert. Die meisten Gefährder haben sich in Europa radikalisi­ert. Es ist deshalb viel besser, wenn Deradikali­sierungsve­reine wie Ufuq oder Hayat eine Radikalisi­erung von gefährdete­n Jugendlich­en abwenden, als dass man diese später mit riesigem Aufwand überwacht. Auch bei Gefährdern mit deutschem Pass müssen Strategien zur Deradikali­sierung angedacht werden. Bei Straffälli­gen gibt es eine ganze Palette an Resozialis­ierungsmaß­nahmen, bei noch nicht straffälli­g gewordenen Gefährdern hingegen nicht.

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