Rheinische Post Hilden

Ralf S. war gleich nach Anschlag verdächtig

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Die neuen Ermittlung­en wurden durch die „Operative Fallanalys­e“des Landeskrim­inalamts gestützt. Doch vor allem neue Zeugenauss­agen belasten den Rechtsextr­emen mehr als 16 Jahre nach der Tat schwer.

DÜSSELDORF 6032 Tage haben sie darauf gewartet: Auf das Klingeln an der Tür und die Polizeibea­mten, die den Satz sagen würden: „Wir haben ihn.“Am Dienstag hatte die Ungewisshe­it für die zehn Opfer des Sprengstof­fanschlags von Düsseldorf ein Ende. 16 Jahre, sechs Monate und vier Tage nach dem Attentat wurden sie von der Kripo persönlich darüber informiert, was gestern auch die Öffentlich­keit erfuhr: Der Mann, der am 27. Juli 2000 einen Sprengsatz in eine Plastiktüt­e

Im Gefängnis soll er ausgeplaud­ert haben, wie er die Bombe gebaut und den Anschlag

verübt hat

packte und in die Luft jagte, ist nach Überzeugun­g der Ermittler überführt. Ralf S., heute 50, sitzt in Untersuchu­ngshaft.

Er soll seine Opfer gekannt haben. Vielleicht nicht persönlich, aber er wusste, dass diese Zwölf, die auf dem Heimweg vom Deutschkur­sus an dem Geländer vorbeigehe­n würden, Zuwanderer aus der früheren Sowjetunio­n waren. Und Ausländer mochte S. nicht. „Er machte sie pauschal für seine eigene finanziell­e Misere verantwort­lich, beklagte oft, dass Ausländer vom Staat unterstütz­t würden und er nicht“, berichtete gestern Udo Moll, der seit 2014 die neuen Ermittlung­en zum Wehrhahn-Anschlag leitet.

In der knapp 70.000 Seiten starken Akte waren er und sein dreiköpfig­es Team auch auf ein mögliches Motiv des gescheiter­ten Militariah­ändlers, der sich heute als Detektiv, Sicherheit­sexperte und „Survival Coach“bezeichnet, gestoßen: Ende 1999 hatte die Privatschu­le, an der Einwandere­rn Deutschkur­se vom Arbeitsamt bezahlt wurden, eine Dependance direkt gegenüber von S. Militarial­aden unterhalte­n, in dem sich die seinerzeit sehr umtriebige rechtsextr­eme Szene Düsseldorf­s mit Nazi-Musik und Kampfanzüg­en eindeckte. Zwei SkinheadTy­pen in langen Ledermänte­ln sollen sich damals mit Kampfhunde­n links und rechts vom Eingang der Schule postiert und die Schüler gezwungen haben, zwischen ihnen hindurch zu gehen. Zwei Wochen ließen die sich das gefallen, dann sei es zu einer Gegenaktio­n gekommen: Während die Skinheads unten standen, hätten sich die Sprachschü­ler mit verschränk­ten Armen an den Fenstern des Obergescho­sses präsentier­t – eine Demonstrat­ion von Stärke, nach der die Männer in den Ledermänte­ln in S. Laden ver- schwunden und nie wieder vor der Schule aufgetauch­t seien. Weil die späteren Opfer nicht Teil der Aktion waren und bis zu dem Anschlag noch mehr als ein halbes Jahr verging, war den damaligen Ermittlern der Vorfall nicht bedeutsam erschienen. Heute glauben ihre Kollegen: S. habe da womöglich einen Hass auch auf die Sprachschu­le entwickelt. Er selbst hatte Anfang 2000 einen Offenbarun­gseid ablegen müssen, sein Laden lief schlecht, er hatte hohe Schulden, und auch das lastete er den Zuwanderer­n an.

Denen habe er es „mal richtig gezeigt“, plauderte Ralf S. 2014 aus, während er eine nicht bezahlte Geldstrafe in der JVA Castrop-Rauxel absaß. Detailreic­h habe er beschriebe­n, wie er die Bombe gebaut und den Anschlag verübt habe, sagte ein damaliger Mitgefange­ner unserer Redaktion. Er hatte damals auch die Polizei informiert – nachdem er sich im Internet vergewisse­rt hatte, dass es diesen Anschlag tatsächlic­h gegeben hat. „Als ich las, was passiert war, habe ich Rotz und Wasser geheult.“

14 Jahre zuvor, am 27. Juli 2000, war um 15.03 Uhr der Sprengsatz detoniert, von dem später nur eine Hand voll Krümel gesichert werden konnte. Die Druckwelle zerknickte Geldstücke in den Taschen der Pas- santen wie Konfetti. Die Splitter zerfetzten ihre Körper. Zwölf Menschen, unter ihnen Tatjana und Michail, die in vier Monaten ihr erstes Baby erwarteten, Boris aus Kiew, Ekaterina aus Kasachstan, befanden sich auf der Brücke, als die Bombe explodiert­e. Zehn wurden schwerstve­rletzt, Tatjanas Baby im Mutterleib getötet. Noch während die Rettungskr­äfte sie in Kliniken brachten, entlud sich ein Hitzegewit­ter über dem Tatort, und der Regen spülte Blut und Tränen und wichtige Spuren weg.

Jahrelang haben die Ermittler der „Soko Ackerstraß­e“vergeblich versucht, den Sprengsatz und seinen Zünder zu identifizi­eren. Es blieb unklar, ob die Opfer gezielt ausgewählt oder zufällig verletzt worden waren. Und Ralf S., den sie damals nicht zuletzt wegen seiner Kontakte zur Neonazi-Szene, seiner Sprengstof­fkenntniss­e und auch wegen der Wohnung festgenomm­en hatten, die er nach dem Anschlag aufgab und in der „tatrelevan­te“Spuren gesichert wurden, hatte ein Alibi. Jeder andere Verdächtig­e auch.

Der Hinweis aus dem Gefängnis im Jahr 2014 hatte die Ermittlung­en wieder in Gang gebracht. Nun stand den Kriminalis­ten eine neue Expertenab­teilung zur Verfügung: die Operative Fallanalys­e des LKA, besser bekannt als Profiler. Monatelang untersucht­e sie alle Fakten des Verbrechen­s, gaben dann eine Einschätzu­ng des Täters ab. „Sechs hochspezif­ische Punkte trafen auf S. zu“, berichtete Ermittler Udo Moll gestern.

Ralf S., der sich selbst seinerzeit gern Sheriff von Flingern nannte, mit Hund und Tarnanzug durch den Stadtteil patrouilli­erte und jeden verabscheu­te, der nicht deutsch war, bestreitet die Tat, wie er es auch vor mehr als 16 Jahren schon tat. Damals hatten ihm zwei Frauen Alibis gegeben. Die eine sei danach aus panischer Angst vor S. unbekannt verzogen, die andere habe damals eine Beziehung mit ihm gehabt. Inzwischen haben beide ihre Aussagen geändert, damit ist auch das Alibi geplatzt. Jetzt droht Ralf S., der im Internet Kurse in Selbstvert­eidigung anbot, ein Prozess wegen zwölffache­n Mordversuc­hs.

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FOTO: ULLSTEIN Zehn Menschen wurden bei dem Bombenansc­hlag am Wehrhahn in Düsseldorf im Jahr 2000 verletzt. Eine schwangere Frau verlor damals ihr ungeborene­s Baby – es wurde durch Splitter der Explosion tödlich verletzt.
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FOTOS: ARCHIV/FACEBOOK Am 3. August 2000 berichtete­n wir in der Düsseldorf­er Lokalausga­be über Ralf S., der schon damals unter Tatverdach­t stand und sich heute bei Facebook in cooler Pose zeigt.

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