Rheinische Post Hilden

Plötzlich Schulz-Fan

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND JAN DREBES

Der SPD-Chef in spe und NRW-Ministerpr­äsidentin Kraft bilden eine Schicksals­gemeinscha­ft – trotz ihres ambivalent­en Verhältnis­ses.

BERLIN/HERNE Hannelore Kraft steht am Sonntagnac­hmittag an einem Hochtisch im Willy-BrandtHaus. Kurz zuvor lauschte die SPDVizeche­fin und Ministerpr­äsidentin Nordrhein-Westfalens der Antrittsre­de ihres Vorsitzend­en in spe, Martin Schulz. Jetzt lobt sie ihn im Gespräch mit Bürgern. Auf die Frage, ob Schulz auch in ihrem NRWWahlkam­pf ein wichtiges Zugpferd sein werde, sagt sie: „Wir werden das gemeinsam rocken, und zwar sowohl in NRW als auch im Bund.“

Das klang vor wenigen Monaten noch anders. Ende September war es, da überschütt­ete Hannelore Krafts Vertrauter Norbert Römer den damaligen Anwärter auf den Kanzlerkan­didatenpos­ten noch mit Lob: SPD-Chef Sigmar Gabriel sei der richtige Mann und ohne Abstriche geeignet, nächster Kanzler zu sein, schrieb der NRW-SPD-Fraktionsc­hef in einem Beitrag für einen Blog. Als vergangene Woche jedoch klar wurde, dass es auf Schulz hinausläuf­t, wollte Kraft die Äußerungen als Loyalitäts­bekundunge­n für den seinerzeit strapazier­ten Kandidaten Gabriel verstanden wissen.

Dass Kraft nun schnell auf Schulz umschaltet, verwundert nicht. Bundes- und Landes-SPD sind angesichts der bevorstehe­nden Wahlen extrem voneinande­r abhängig: Gelingt Kraft am 14. Mai kein Wahlsieg in NRW, wäre das eine schwere, vielleicht zu schwere Hypothek für Martin Schulz, wenn am 24. September der Bundestag gewählt wird. Und die Aussichten sind nicht rosig: Es kam in der Vergangenh­eit nicht sehr oft vor, dass die Zustimmung­swerte der NRW-SPD deutlich über jenen der Bundes-SPD lagen. Die Sozialdemo­kraten bleiben im Bund trotz einiger Zuwächse durch den Schulz-Effekt mit rund 25 Prozent verhältnis­mäßig schwach, und auch Hannelore Kraft kann sich mit rund 30 Prozent in NRW keinesfall­s zufriedeng­eben.

Um ihren Wahlkampf nicht zu gefährden, so erklären es Genossen in NRW und Berlin, wollte Kraft an Gabriel festhalten – und ließ Römer gewähren. Schließlic­h bedeutete ein Wechsel an der SPD-Spitze bisher fast immer Ärger. „Ein neuer Kanzlerkan­didat mitten im Wahlkampf ist, wie einen ICE auf der Brücke zu wenden“, sagt einer, der viele Wahlen bestritten hat. Außerdem, so heißt es, habe Kraft keine Lust auf ein weiteres, so prominente­s Alphatier wie Martin Schulz in NRW. Ärger in der Partei blieb beim Wechsel von Gabriel zu Schulz aus, die Entscheidu­ng setzte gar Euphorie frei.

Die Schwierigk­eiten sind damit aber nicht vollständi­g vom Tisch. Es sei noch das geringste Problem, gemeinsame Wahltermin­e von Schulz und Kraft zu koordinier­en, sagt ein Genosse. Vielmehr dränge jetzt die Frage, wie die Kernthemen in Bund und Land inhaltlich abzustimme­n seien. Eile ist geboten: Am 18. Februar will die NRW-SPD ihr Wahlprogra­mm beschließe­n. Und auch auf Arbeitsebe­ne, zwischen Krafts und Schulz’ Mitarbeite­rstab, müsse sich jetzt manches neu finden, heißt es. Im Wahlkampf brauche ein Spitzenkan­didat Menschen, die ihn seit Jahren gut kennen. Kraft vertraut dem SPD-erprobten Strategen Frank Stauss, der jedoch der Bundes-SPD wegen des langen Kandidaten­prozesses entnervt den Rücken kehrte. Dort ist jetzt die Hamburger Agentur KNSK am Zug, die Schulz bereits im Europawahl­kampf 2014 begleitet hat. Doch die Vorbereitu­ngen für eine enge Verzahnung der Kampagnen liefen auf Hochtouren, heißt es.

So traf sich Schulz gestern mit Kraft und NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans (SPD) zu einem Koordinier­ungsgesprä­ch in Düsseldorf. Am Abend stand ein idealer Termin zum Aufwärmen im Kalender des designiert­en Kandidaten. Bei der SPD in Wanne-Eickel sollte er über die Themen sprechen, mit denen die SPD in die Landtagsun­d Bundestags­wahl ziehen wird. Im Büro Kraft war das bekannt, die Einladung sprach Michelle Münteferin­g aus, Abgeordnet­e und Ehefrau des einstigen SPD-Chefs Franz Münteferin­g.

Hannelore Kraft

Erst am Sonntagabe­nd hatte Schulz der Herner SPD-Geschäftsf­ührerin Britta Bartkowski zufolge sein Kommen angekündig­t. Der Termin passt perfekt in seine Wahlkampfs­trategie: Denn die Parteibasi­s ist dort gefragt, die Genossen schreiben ihre Wünsche an den Kanzlerkan­didaten auf kleine Zettel und heften sie an Stellwände. „Leiharbeit­er abschaffen“steht darauf oder „bedingungs­loses Grundeinko­mmen“. Aber auch: „Managergeh­älter begrenzen“.

Um all das geht es auch in Schulz’ Rede im Mondpalast in Wanne-Eickel. „Wenn ein Konzernche­f seinen Konzern durch Fehlentsch­eidungen ins Wanken bringen kann und trotzdem Boni kassiert, eine Verkäuferi­n aber wegen kleiner Verfehlung­en entlassen wird, dann geht es nicht gerecht zu.“

Soziale Gerechtigk­eit ist sein Leitmotiv und werde sich wie ein roter Faden auch durch das Wahlprogra­mm ziehen, kündigt der neue Kanzlerkan­didat an. Die Einkommen müssten steigen, vor allem in den Pflegeberu­fen, das Steuersyst­em gerechter werden. Der Staat müsse die Menschen so absichern, dass sie ein würdiges Leben führen könnten. Als Nordrhein-Westfale aus Würselen kenne er die Nöte der Menschen.

Da trifft es sich auch gut, dass dieser Termin in NRW stattfinde­t. Und so kämpft Schulz schon bei seinem ersten Termin für zwei: Hannelore Kraft und sich selbst.

Die Botschaft kommt an bei den Genossen im Saal. Mit rhythmisch­em Klatschen feiern sie ihren Hoffnungst­räger. Arno Saterdag aus Bochum, Parteimitg­lied seit Willy Brandts Zeiten, hatte sich zuletzt von seiner Partei abgewendet. Doch Schulz habe ihn überzeugt: „Er schafft’s“, meint der Mann in der schwarzen Bomberjack­e.

Viel Zeit bleibt Schulz nicht für seine Aufholjagd. In NordrheinW­estfalen sind dem Vernehmen nach bereits die ersten Plakate mit den Kandidaten im Druck. Und ganz zum Schluss, kurz vor der Wahl, werden die großen WechselTaf­eln auf den Mittelstre­ifen der Fahrbahnen plakatiert. Da könnten dann auch Kraft und Schulz gemeinsam zu sehen sein. Eine überlebens­große Schicksals­gemeinscha­ft.

„Wir werden das gemeinsam rocken, und zwar sowohl in NRW als

auch im Bund“

NRW-Ministerpr­äsidentin

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FOTO: DPA

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