Rheinische Post Hilden

Immer wieder Erdogan

- VON SUSANNE GÜSTEN

Die Bundeskanz­lerin steht bei ihrem Besuch in Ankara unter hohem Erwartungs­druck. Viele wünschen sich eine Verbesseru­ng der Beziehung – und zugleich scharfe Kritik am türkischen Präsidente­n.

BERLIN/ANKARA Zerschosse­ne Fenster, aufgerisse­ne Wände: Wie andere politische Besucher in Ankara seit dem Putschvers­uch vom Sommer wird Bundeskanz­lerin Angela Merkel heute in Ankara die Spuren der Kämpfe im türkischen Parlaments­gebäude in der Hauptstadt besichtige­n. Die Zeugnisse der Gewalt in der Volksvertr­etung, die von Kampfjets der Putschiste­n angegriffe­n wurde, werden als Mahnmal erhalten – und Gästen wie Merkel gezeigt, um zu verdeutlic­hen, was das Land damals durchmache­n musste. Türkische Politiker erläutern anhand der Zerstörung­en gerne, warum sie von westlichen Ländern die Auslieferu­ng mutmaßlich­er Putsch-Komplizen verlangen. Trotz der bedrückend­en Angriffssp­uren dürfte Merkel diese Forderung nicht erfüllen.

Es ist insgesamt der neunte Türkei-Besuch der Kanzlerin, aber der erste seit dem Putschvers­uch vom 15. Juli vergangene­n Jahres. Die Positionen von Deutschlan­d und der Türkei erscheinen in einigen Bereichen unüberbrüc­kbar. Zudem stehen sowohl Merkel als auch Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan vor wichtigen Wahlen in ihren Ländern, weshalb Zugeständn­isse deshalb noch schwerer fallen als sonst schon.

Verärgert sind Erdogan und andere türkische Regierungs­politiker vor allem darüber, dass die deutschen Behörden die Auslieferu­ng von mutmaßlich­en Anhängern des islamische­n Predigers Fethullah Gülen ablehnen. Erdogan betrachtet Gülen und dessen Leute als Terroriste­n und treibende Kräfte hinter dem Putschvers­uch, doch in Deutschlan­d und anderen westlichen Staaten herrschen Zweifel. Europäisch­e Geheimdien­ste sind zudem überzeugt, dass Erdogan den Putschvers­uch für eine Hexenjagd auf Gegner jeder politische­n Couleur ausnutzt.

„Deutschlan­d hat eine große Verantwort­ung“, sagt der frühere Europa-Abgeordnet­e Ozan Ceyhun, der für die Erdogan-freundlich­e Zeitung „Daily Sabah“schreibt. „Die Terroriste­n von Fethullah Gülen ge- nießen in Deutschlan­d ein gutes Leben, obwohl sie hinter einem Putschvers­uch in einem Nato-Land standen“, kritisiert­e Ceyhun im Gespräch mit unserer Redaktion: „Das ist schon problemati­sch.“

Ignorieren lässt sich das Thema nicht. Kurz vor Merkels Besuch wurde bekannt, dass 40 türkische Soldaten aus Nato-Einrichtun­gen in Deutschlan­d politische­s Asyl beantragt haben. Ihnen drohe bei einer Rückkehr in ihr Land die Inhaftieru­ng, argumentie­ren sie.

Nicht nur mutmaßlich­e GülenAnhän­ger sind Erdogan ein Dorn im Auge. Wiederholt hat er Berlin vorgeworfe­n, auch Anhänger der kurdischen Terrorgrup­pe PKK zu schützen. Mit der Aufnahme säkularer Regierungs­gegner wie des Journalist­en Can Dündar zieht Deutschlan­d noch mehr Zorn aus Ankara auf sich. Erdogan sagte kürzlich, er habe Merkel die Akten zu mehr als 4000 Terrorverd­ächtigen in Deutschlan­d übergeben. Gehandelt habe Deutschlan­d aber nicht. Bei politische­n Vorwürfen an in Deutschlan­d lebende Türken haben die deutschen Justizbehö­rden die sogenannte Rechtshilf­e für die Türkei inzwischen eingestell­t.

Erdogan-Anhänger Ceyhun erhofft sich vom Merkel-Besuch zumindest einige Zugeständn­isse Ber- lins. Möglicherw­eise könne die Kanzlerin „in der Flüchtling­sfrage etwas mitnehmen“von ihrem Besuch, wenn sie der Türkei auf anderen Gebieten entgegenko­mme. Erdogan droht immer wieder mit einer Aufkündigu­ng des Flüchtling­sdeals mit der EU. Hunderttau­sende Menschen könnten sich dann erneut in Richtung Westeuropa auf den Weg machen.

Diese Verquickun­g der Flüchtling­sfrage mit türkischen Forderunge­n an die Europäer dürfte beim Merkel-Besuch erneut zum Thema werden. Allerdings wird die Kanzlerin wenige Monate vor der Bundestags­wahl den Eindruck vermeiden wollen, vor Erdogan einzuknick­en. Umgekehrt muss Erdogan kurz vor dem Verfassung­sreferendu­m über die Einführung des Präsidials­ystems im April vor eigenem Publikum zeigen, dass er sich nicht von den Europäern hinhalten lässt.

Wie ungemütlic­h der Empfang für die Kanzlerin werden könnte, zeigen die Kommentare in Erdogantre­uen Zeitungen in der Türkei. Das islamistis­che Blatt „Yeni Akit“wettert schon jetzt über den anstehende­n Besuch der „Terrorhelf­erin Merkel“.

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FOTO: DPA Merkel traf Erdogan zuletzt im September vergangene­n Jahres vor dem G 20-Gipfel in China.

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