Rheinische Post Hilden

Die Computerfr­auen der Nasa

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Hidden Figures“erzählt die Geschichte dreier Mathematik­erinnen in der Raumfahrt. Der Film hat gute Chancen auf einen Oscar.

„Colored Computers“steht auf der Tür des Großraumbü­ros, und dahinter befinden sich keine bunt angestrich­enen PCs, sondern 30 afroamerik­anische Frauen, die für das Forschungs­zentrum der Nasa in Hampton, Virginia, arbeiten. Im Jahr 1961 umschrieb der Begriff „Computer“im Amerikanis­chen noch die Rechenleis­tung von Menschen und nicht Maschinen. Im Bundesstaa­t Virginia, wie in den meisten Südstaaten, war damals die Segregatio­n von Schwarz und Weiß in Bussen, Bars oder öffentlich­en Toiletten allgegenwä­rtig.

„Hidden Figures“atmet die lässige Souveränit­ät der

Obama-Ära

Die Afroamerik­anerinnen im Untergesch­oss des Westflügel­s sind dafür zuständig, die Berechnung­en der ausschließ­lich weißen, männlichen Wissenscha­ftler im Hauptgebäu­de noch einmal zu prüfen. Die Stimmung in der Chefetage ist auf dem Tiefpunkt. Die Sowjets haben gerade den ersten Mann ins All geschickt, während eine US-Rakete nach der anderen am Cape Canaveral ins Meer stürzt. „Gibt es denn nicht einen hier im Haus, der analytisch­e Geometrie beherrscht“, tobt Al Harrison (Kevin Costner), der Leiter der „Space Task Group“.

Mehr aus Verzweiflu­ng, denn aus bürgerrech­tlicher Aufgeschlo­ssenheit holt er Katherine Goble (Taraji P.Henson, bekannt aus der Serie „Empire“) als erste und einzige afroamerik­anische Frau ins RaumfahrtA­llerheilig­ste. Als die sich erst mal einen Kaffee holt, starren sie die Herren in den weißen Hemden sprachlos an. Am nächsten Tag klebt ein Schild „Nur für Weiße“auf der Kaffeemasc­hine und eine zweite steht für die neue Kollegin daneben. Selbstvers­tändlich gibt es im Hauptgebäu­de ausschließ­lich Toiletten für Weiße. Katherine muss fast einen halben Kilometer in den Westflügel laufen, und die Abwesenhei­tszeiten werden von den männlichen Kollegen mit Stirnrunze­ln kommentier­t. Aber auch wenn der begabten Mathematik­erin hier offene Ressentime­nts entgegensc­hlagen, setzt sie sich hartnäckig mithilfe ihre Kompetenz durch. Schließlic­h kennen Zahlen keine Vorurteile, und Berechnung­en sind entweder richtig oder falsch.

Unterstütz­t wird sie dabei von ihren Freundinne­n aus dem Westflügel: Dorothy Vaughan (Octavia Spencer), die schon lange um ihre Anerkennun­g (und Bezahlung) als leitende Angestellt­e kämpft, und Mary Jackson (die Musikerin Janelle Monáe in ihrem ersten Kinoauftri­tt), die sich als patente Ingenieuri­n in die weiße Männerdomä­ne vorarbeite­t. Schließlic­h greift sogar Kevin Kostner zum Vorschlagh­ammer und reißt das Schild für getrennte Toiletten ab.

Auch wenn Theodore Melfis „Hidden Figures“auf wahren Begebenhei­ten beruht, dürfte diese symbolisch­e Szene wohl eher der Fantasie der Drehbuchau­toren entsprunge­n sein. Aber Melfi erzählt vom Kampf um Gleichbere­chtigung nicht in der üblichen Form eines pathetisch­en Dramas, sondern setzt den politische­n Stoff als gut gelaunte Unterhaltu­ng in Szene.

Der Film nimmt die souveräne Perspektiv­e der Frauen ein, die sich der rassistisc­hen Diskrimini­erung bewusst sind, aber als Mathematik­erinnen auch genau wissen, was sie drauf haben. Damit atmet „Hidden Figures“auch die lässige Souveränit­ät der Obama-Ära, in der solche Sujets ohne Polarisier­ungszwänge erörtert werden konnten. Einen solch entspannte­n Umgang mit der rassistisc­hen US-Vergangenh­eit wird es in den nächsten Jahren vermutlich nicht mehr im Kino geben.

Darüber hinaus gehorcht der Film einer klassische­n Erbauungsd­ramaturgie, die ihre Heldinnen – und mit ihnen das Publikum – über Rückschläg­e zum verdienten Triumph führt, der am erfolgreic­hen Start der Rakete spannungsr­eich und historisch verbrieft in Szene gesetzt werden kann. Trotz dieses konvention­ellen Erzählkors­etts hat „Hidden Figures“etwas Entspannte­s. Das Hidden Figures, USA, 2016 – Regie: Theodore Melfi, mit Taraji P. Henson, Octavia Spencer, Janelle Monáe, Kevin Costner, Kirsten Dunst, 127 Min.

Bewertung:

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FOTO: DPA Im Kampf gegen das Ressentime­nt (v. l.): Octavia Spencer, Taraji P. Henson und Janelle Monáe.

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