Rheinische Post Hilden

Jüdische Gemeinde froh über Festnahme

- VON ARNE LIEB UND UWE-JENS RUHNAU

Sechs Opfer des Wehrhahn-Anschlags waren Juden, die Gemeinde kümmerte sich nach dem Anschlag um sie. Dass nun der mutmaßlich­e Täter in Haft sitzt, weckt Erinnerung­en. Die Sorgen um die Sicherheit sind weiterhin groß.

Die Nachricht von der Festnahme des mutmaßlich­en Wehrhahn-Attentäter­s löst Freude und Erstaunen bei der Jüdischen Gemeinde aus. Verwaltung­sdirektor Michael Szentei-Heise war bereits am Dienstag informiert worden, dass die Polizei den mutmaßlich­en Täter Ralf S. festgenomm­en hat, genau wie die damaligen Opfer des Anschlags, die ebenfalls von dem Erfolg erfahren hatten, bevor die Behörden die Öffentlich­keit informiert­en. „Ich dachte, das kann nicht wahr sein“, sagt Szentei-Heise.

Durch die Festnahme kommen in der Gemeinde die Erinnerung­en an schwere Zeiten wieder hoch. Im Jahr 2000 hatte sich nicht nur im Juli der Anschlag an der S-Bahn-Station ereignet, der zehn Menschen verletzte, von denen sechs jüdischen Glaubens waren. Im Oktober gab es zudem einen Brandansch­lag auf die Synagoge an der Zietenstra­ße, für den schließlic­h zwei junge Araber zur Verantwort­ung gezogen wurden. „Das war ein hartes Jahr“, sagt Szentei-Heise. „Der Wehrhahn-Anschlag war für uns ein einschneid­endes Erlebnis.“

Die Jüdische Gemeinde hatte sich damals um die Opfer gekümmert, da es sich um Kontingent­flüchtling­e handelte, die ohnehin von der Gemeinde betreut worden waren. Die Zahl der Juden in der Stadt stieg damals durch den Zuzug aus Osteuropa massiv an, von rund 1500 Mitglieder­n im Jahr 1990 bis zu heute rund 7000 Menschen. Szentei-Heise besitzt noch den symbolisch­en Scheck über Spenden in Höhe von 72.505 D-Mark, die damals durch viele Spender zusammenka­men.

Er hätte sich gewünscht, dass der damals schon ins Visier geratene Tatverdäch­tige – er führte eine Militaria-Handlung an der Gerresheim­er Straße in Stadtmitte – früher überführt worden wäre. Er sei sich aber sicher, dass die Polizei alles ihr Mögliche getan habe. „Jetzt besteht die Chance, dass die Justiz für Gerechtigk­eit sorgt.“Darauf hofft auch Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD). Es sei wichtig, „diese abscheulic­he Tat nun endgültig und restlos aufzukläre­n“.

Der Anschlag hatte damals Sorgen um die Sicherheit von Juden in Deutschlan­d verstärkt. Für die Jüdische Gemeinde auch in der NRWLandesh­auptstadt waren hohe Sicherheit­svorkehrun­gen für ihre Institutio­nen allerdings schon vorher Alltag, bereits seit den 1970er Jahren sind sie immer weiter verstärkt worden. Das gilt nicht nur für die Synagoge an der Zietenstra­ße, sondern auch für die Jüdische Schule, in der die Schüler zum Beispiel erst jenseits einer Sicherheit­sschleuse aus den Bussen steigen. Für die Kinder sei das selbstvers­tändlich, sagt Szentei-Heise. „Den Luxus der Diskussion, ob das alles notwendig ist, können wir uns leider nicht leisten.“

Auch für Sabine, eine frühere Nachbarin von Ralf S. in seinem damaligen Wohnsitz in einem Mehrfamili­enhaus an der Ackerstraß­e, kamen gestern Erinnerung­en an vergangene Zeiten hoch. Die Frau – die ihren Nachnamen nicht nennen will – erinnert sich daran, dass Ralf S. ein auffällige­r Nachbar gewesen sei, aber ihr nicht gefährlich erschienen war. Die Frau war nach der Tat als Zeugin vernommen worden. Längst wohnt sie woanders. „Erstaunlic­h, dass die Polizei nach dieser langen Zeit noch einen Verdächtig­en festnimmt“, findet sie.

Dieter Seiter war gestern auf der Rückfahrt von Süddeutsch­land, als er die Nachricht von der Festnahme hörte. Der gerade pensionier­te Feuerwehrm­ann leitete damals den Rettungsei­nsatz und war als einer der Ersten vor Ort. „Gott sei Dank haben sie den“, war sein erster Gedanke über die Festnahme. Ein Polizeiexp­erte hatte kurz vor der Tat den Feuerwehrl­euten Bilder von Verletzung­en gezeigt, die durch selbstgeba­ute Splitter- und Nagelbombe­n entstehen. „So sahen die Opfer aus, ich ahnte gleich, was das für ein Sprengkörp­er gewesen sein könnte.“Seiter sagte das auch öffentlich, weswegen er von der Polizei kritisiert wurde – dennoch hatte er am Ende nicht falsch gelegen. Berichte Seiten A1 und A3

 ?? RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Michael Szentei-Heise (Jüdische Gemeinde) hat den symbolisch­en Scheck über die Spenden aufgehoben. Viele Bürger gaben damals Geld.
RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Michael Szentei-Heise (Jüdische Gemeinde) hat den symbolisch­en Scheck über die Spenden aufgehoben. Viele Bürger gaben damals Geld.

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