Rheinische Post Hilden

Wehrhahn-Anschlag: Zweifel an Einzeltäte­r

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Die Opfer sind nach der Festnahme eines Verdächtig­en erleichter­t, aber auch aufgewühlt.

DÜSSELDORF/SOLINGEN (mso/or/ hpaw/sno) Seine damalige Frau Tatjana verlor bei dem Sprengstof­fanschlag im Juli 2000 an der Düsseldorf­er S-Bahn-Haltestell­e „Wehrhahn“ihr ungeborene­s Kind, Michail L. trug schwerste Verletzung­en davon. Nach der Verhaftung eines Tatverdäch­tigen, Ralf S. aus Ratingen, wollen Michail L. und seine Angehörige­n nicht über ihre Gefühle und den Anschlag von damals reden. Aber sie äußern Zweifel: Fast 17 Jahre nach der Tat misstrauen sie dem Fahndungse­rfolg. „Er war es nicht“, sagt L.s Vater. Und auch Michail glaube nicht, dass der richtige Mann gefasst worden sei.

Das Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer!“zweifelt zumindest daran, dass S. ein Einzeltäte­r ist, und hat für heute Abend an der S-Bahnstatio­n Wehrhahn zu einer Kundgebung aufgerufen. Der Düsseldorf­er Extremismu­s-Forscher Alexander Häusler sagt, dass es bekannt war, dass die Neonazi-Kameradsch­aft einen Treffpunkt in S.’s MilitariaL­aden hatte.

Tatjana L., die damals ihr Kind verlor und der ein Bein amputiert werden musste, lebt heute nicht mehr in Deutschlan­d. Sie hat sich nach Informatio­nen unserer Redaktion von ihrem damaligen Mann Michail getrennt. Die heute 42-Jährige, gebürtig aus Odessa, soll nun wieder in der Ukraine wohnen.

Die zehn Opfer haben wohl untereinan­der bis heute nicht den Kontakt gehalten. Vier von ihnen lebten zum Tatzeitpun­kt in einem Übergangsh­eim für Spätaussie­dler im Solinger Stadtteil Ohligs. Sie besuchten damals einen Sprachkurs­us in der Landeshaup­tstadt. Mit einem Ehepaar steht Leonid Goldberg, der Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde Wuppertal, zu der auch Solingen gehört, bis heute im Kontakt. „Die Familie hat drei Kinder und inzwischen auch Enkelkinde­r“, sagt Goldberg, der selbst in Solingen lebt. „Die Menschen sind gut in Deutschlan­d integriert“, berichtet der Gemeindevo­rsitzende. Über den Anschlag redet die Familie, die nach wie vor im Bergischen zu Hause ist, allerdings nicht mehr, da sie nicht ständig an die schlimmen Erlebnisse erinnert werden will. „Ich kann das verstehen. Das Leben geht schließlic­h ja irgendwie weiter“, sagt Leonid Goldberg.

Auch Ekaterina P., eine gebürtige Kasachin, wohnt heute noch in Solingen. „Noch immer habe ich Bombenspli­tter in meinem Körper“, sagte sie der „Bild“-Zeitung. Ein etwa 25 Zentimeter großer Splitter hatte damals ihr Bein getroffen und eine Arterie verletzt. Sie habe in kürzester Zeit viel Blut verloren.

Die Polizei hatte am Dienstag die Opfer und deren Angehörige über den Ermittlung­serfolg informiert. Bei denjenigen, die sie nicht antrafen, hinterließ sie einen Brief. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen“, sagte Ekaterina P. Ein wenig froh sei sie aber schon, dass der Verantwort­liche gefunden sei.

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FOTO: DPA Im Juli 2000 wurde mit Kerzen und Blumen der Opfer gedacht.

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