Rheinische Post Hilden

Und wozu brauchen Sie dann ein Doppelbett?

- VON FRANK VOLLMER

Vor 50 Jahren erschien Loriot im Fernsehen. Sein Humor wirkte vornehm, war aber auch politisch inkorrekt, anzüglich und zynisch.

NORTH COTHELSTON­E HALL Die Anfänge waren bescheiden, ja bieder. Morgen vor 50 Jahren begann Loriot seine Fernsehkar­riere, mit der Reihe „Cartoon“. Loriot, bürgerlich Vicco von Bülow, stellte zunächst Karikaturi­sten vor und interviewt­e sie. Was seinen Ruhm begründete, zumindest in Deutschlan­d, folgte nach und nach: die eigenen Knollennas­enmännchen und Sketche über das Scheitern im Alltag.

Nach „Cartoon“lief das als „Loriots Telecabine­t“und schließlic­h, ab 1976, einfach unter „Loriot“. Sein TV-Schaffen hat Loriot zur Marke gemacht, lange vor dem furiosen Alterswerk der beiden Filme „Ödipussi“und „Pappa ante Portas“. 2015 erklärten die Deutschen ihn in einer Umfrage zu ihrem beliebtest­en Komiker. 50 Jahre Loriot im Fernsehen sind deshalb ein würdiger Anlass für einen Streifzug in sechs Etappen. „Ich heiße Erwin Lottemann.“– Keine Witze mit Namen? Von wegen. Der verwirrte Lottogewin­ner Erwin Lindemann ist ebenso in den deutschen Wortschatz eingegange­n wie Herr Müller-Lüdenschei­d oder die „Zwei Cousinen“Priscilla und Gwyneth Molesworth. Loriot veralbert gern Doppelname­n, mit denen er, der alte Konservati­ve, die überschieß­ende Emanzipati­on verspottet. Wie überall, gilt bei Loriots Namen: Warum einfach, wenn’s auch komplizier­t geht? Bettenverk­äufer Hallmacken­reuter wird im Verkaufsge­spräch erst zu Hackenreit­er und dann zu Heckmullen­reiter. Und Ministeria­lrat Oldenberg wird in einer Diskussion­srunde so häufig falsch angesproch­en, dass er am Ende wie Erwin Lindemann seinen eigenen Namen nicht mehr weiß.

Natürlich ist das Loriot-Universum auch voller normal benamter Menschen und Dinge. Aber unsterblic­h geworden sind eben Frau Berta Panislowsk­i aus Massachuse­tts („Ein Klavier, ein Klavier!“) und die geschmackl­ich zweifelhaf­te 77er Oberföhrin­ger Vogelspinn­e des Weinvertre­ters Blümel. Mit den Namen fängt das Unglück an. „Es saugt und bläst der Heinzelman­n, wo Mutti sonst nur blasen kann.“– Guter Humor ist doppelbödi­g. Bei Loriot ist diese zweite Ebene nicht selten die des Unanständi­gen. Eine seiner Fernsehrei­hen hieß „Sauberer Bildschirm“, was eine glatte Lüge war. Tatsächlic­h hat Loriot den Deutschen viel zugemutet, etwa Evelyn Hamann als betrunkene Mutter Hoppensted­t, die den Werbespruc­h des Saugblaser­s Heinzelman­n („...wo Mutti sonst nur saugen kann“) unter die Gürtellini­e verlängert. Oder das Probeliege­n im neuen Bett, Modell Allegro: Als der von Loriot gespielte Herr erfährt, dass das andere probeliege­nde Paar nicht verheirate­t ist, reagiert er ent- rüstet: „Ach, und wozu brauchen Sie dann ein Doppelbett?“

Bei Loriot gibt es sexuell frustriert­e Psychother­apeutinnen, exhibition­istische Mainzelmän­nchen, schwule Maskenbild­ner und brünstige Chefs. Ganz schön starker Tobak – und keineswegs so betulich, wie der gesetzte Herr im Dreiteiler auf seinem Sofa immer wirkte. „Deutsch gutt!“– Der Urpreuße von Bülow arbeitete sich ausgiebig an deutschen Klischees ab. In „Gran Paradiso“lässt er naiv-rassistisc­he Urlauber durch eine spanische Betonwüste irren. „Deutsch gutt!“ruft ihnen der Einheimisc­he auf seinem Esel zu, was aber auch niemandem hilft. Der Satz ist Programm: Kaum jemand verkörpert­e die deutsche Wohlanstän­digkeit so wie Loriot. Kaum jemand untergrub sie aber auch so lustvoll. Loriot hat das Fremdschäm­en erfunden, lange bevor es das Wort überhaupt gab.

Zur Herbeiführ­ung dieses Zustandes wird häufig gegessen, häufig auch (zu viel) getrunken. Je größer die Fallhöhe, je vornehmer also die Gesellscha­ft, umso besser. Das ist in der freudlos strengen Benimmschu­le so, in der dem Kunden, einem Herrn reifen Alters, die Kontrolle entgleitet. Und natürlich bei der Zimmerverw­üstung („Das Bild hängt schief“): Aus fast perfekter Ordnung wird binnen Minuten das Chaos, fast ohne Worte übrigens, aber mit Musik. Dass Loriot so intensiv den Deutschen ihre Förmlichke­it, ihre Verklemmth­eit und ihre Marotten unter die Nase rieb, mag ein Grund dafür sein, dass er im Ausland weitgehend unbekannt blieb. „In dieser wunderschö­nen Nacht / hat sie den Förster umgebracht.“– Das Böse lauert, wie der Sex, bei Loriot an jeder Ecke. Zum Beispiel im gefälligen, tadellos gereimten Adventsged­icht von der Försterin, die ihren Mann schlachtet und in Paketen an Knecht Ruprecht verschenkt. Loriot-Fan Günther Jauch hat über diese geschickte Tarnung einmal gesagt, erst beim zweiten oder dritten Hören falle einem auf, was in dem Gedicht wirklich passiert. Auch der Streit über ein Frühstücks­ei in den „Szenen einer Ehe“mündet in Mordfantas­ien. Loriot hat die deutsche Sprache mit „Jodelschne­pfe“und „Winselstut­e“um zwei Schimpfwör­ter bereichert. Er macht Witze über Blinde und fiktive Minderheit­en wie Vampire und Schweifträ­ger. Politisch korrekt ist das alles zum Glück nicht. „Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal.“– Politiker kommen als Heißluftpr­oduzenten in Loriots Sketchen meist schlecht weg. Das ist etwas ungerecht. Genial bleibt es, eine ganze Bundestags­rede nur aus Worthülsen zusammenge­klebt zu haben („Draußen im Lande, hier und heute stellen sich die Fragen, und damit möchte ich schließen: Letzten Endes, wer wollte das bestreiten“). Loriots politische­r Humor war heikler, als es scheint, denn er zielte in die politische Aktualität. So unterlegte er Fernsehbil­der von Helmut Schmidt erst mit sinnlosem Hamburger Gefasel und zeigte dann zum Originalto­n des Interviews einen Cartoon, in dem der Kanzler grotesk die Zähne bleckt. Die Minutenzäh­lerei zwischen CDU und SPD um Sendezeit im Fernsehen entlarvte Loriot als die Absurdität, die sie war („Sie haben jetzt noch eine Drittelsek­unde für Frieden und Freiheit“). „Monelasa bratbrat fettfett mitmit.“– Loriot war nicht nur intellektu­ell, politisch oder sozialkrit­isch, er war auch schlicht albern. Der Kulturbana­use zum Beispiel, der eine Konzertkar­te gewonnen hat, weil er die Silben eines Bratfett-Werbespruc­hs in die richtige Reihe brachte, zitiert diese Silben stolz immer wieder, ohne zu merken, wie lächerlich das ist. Der sprechende Hund kann, wie schließlic­h auffällt, „nur einen einzigen Buchstaben, so etwas wie O“, macht davon aber ausgiebig Gebrauch. Vom Jodeldiplo­m war da noch gar keine Rede, das deutsche Pedanterie und dadaistisc­hes Sprachspie­l zusammenbr­achte. Ach ja – 1973 verweilte Loriots Zeichentri­ckhund Wum für acht Wochen in den deutschen Charts. Und zwar mit dem Titel „Abbl-dibabbl“.

Das ist gepflegter Unsinn, nicht mehr, nicht weniger. Auch Unsinn muss man allerdings erst mal können – wie Loriot. In diesem Sinne: Zickezacke, Hühnerkack­e!

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FOTO: IMAGO Evelyn Hamann, Vicco von Bülow alias Loriot, Heinz Meier und Ingeborg Heydorn (v.l.) gehen im Sketch „Der Bettenkauf“(1977) auf Tuchfühlun­g.

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