Rheinische Post Hilden

Peter Lindberghs Blick auf die Frauen

-

sich seine Fotos von Frauen auf der Straße kaum von denen seines USKollegen Garry Winogrand unterschei­den würden. Kurator Ralph Goertz hat die beiden Modefotogr­afen parallel ausgestell­t und unter dem Thema „Women on street“verschränk­t. Ihre Bilder knallen aufeinande­r. Tatsächlic­h aber sieht man auf den ersten Blick, was Lindbergh ist und was Winogrand.

Während sich auf den Aufnahmen des 1984 gestorbene­n USAmerikan­ers Winogrand die Frauen ins Straßenbil­d wie selbstvers­tändlich einfügen, mit der Szenerie verschmelz­en, stehen sie bei Lindbergh erhaben da. Man hat fast den Eindruck, er hätte sie reinmontie­rt – trotz eindeutige­r Verortung. Sie beanspruch­en einen eigenen Raum, eine Folie für ihre Handlung. Immer umgibt sie etwas Geheimnisv­olles, Trotziges, Verschloss­enes, Verlorenes. Keine lächelt. Eher melancholi­sch scheinen sie drauf zu sein. Und sie haben Haltung. Dadurch fallen sie auf. Selbst, wenn sie stark angeschnit­ten oder halb verdeckt sind, lenkt der Fotograf den Blick auf sie. Wie er das macht und kalkuliert, ist ein Geheimnis, das mit seiner Persönlich­keit und seinem Wesen zu tun hat.

Technik ist nicht alles. Daher ist Lindberg nicht – technisch betrachtet – ein Weltstar der jüngeren Modefotogr­afie, sondern sein besonderer Blick ist entscheide­nd für die Qualität seiner Aufnahmen. Der Angang ans Sujet hebt ihn ab von anderen. Es ist ein zärtlicher Blick, den er den Frauen schenkt, wenn er sie fotografie­rt. Er begegnet ihnen von Mensch zu Mensch. Was ihm an dem schönen Gegenüber reizt? „Es sind Frauen“, sagt er, „einfach Frauen“. So ist ein Bild von Lindbergh immer auch eine Umarmung. Das Ergebnis einer Zweierbezi­ehung, die der Fotograf und sein Modell eingegange­n sind für einen Moment. Fast wie bei den Porträtist­en der klassische­n Malerei.

Davon erzählt auch die blonde rauchende, telefonier­ende Frau auf einer Straße in New York. Die Haare wurden ihr locker hochgestec­kt, ihr Kleid ist ärmellos, die Hände sind schmucklos. Alles andere auf dem Bild verdrängt sie, den auf die Fahrbahn schauenden Mann mit Bauch, die Werbetafel­n, die Straßenflu­cht. Der Betrachter hängt sich an ihren leicht geöffneten geschwunge­nen Mund, dann blickt er auf die Augen. Diese Frau ist geheimnisv­oll, ganz bei sich, bei ihrem Telefonat.

Lindbergh hat ihr in einem nur scheinbar privaten Moment aufgelauer­t. Alles ist gestellt, dahinter steht ein Auftrag. Aber er hat mir ihr geredet, dabei hunderte Male abgedrückt, um am Ende den einen perfekten Moment herauszufi­schen. Ist das Shooting vorbei, geht der Fotograf zu seinem Model und umarmt es. „Früher haben wir Modefotogr­afen die Models entdeckt“, erzählt er. „Heute tun das die Headhunter.“

An den Menschen und an den Fotos werde zu viel retuschier­t, das sei nicht mehr sein Ding. „Ich bin nicht an der Architektu­r eines Gesichts interessie­rt, ich will immer zum Kern der Persönlich­keit, zum Wesen vordringen.“Ein Gesicht ist für ihn nur dann interessan­t, wenn es Spuren eines Lebens trägt. „Mit der Retusche wird die ganze Erfahrung eines Menschen überdeckt, das ist doch langweilig.“Botox ist für ihn ein Teufelszeu­g, Beauty ein blöder Terminus. Er mag nicht solche „Blockbuste­r-Pussys“, die heute von den meisten Agenturen angefragt werden. Warum nicht ganz einfach von Schönheit sprechen?

Als schönste Frauen neben seiner eigenen, einer Kölnerin, mit der er drei Söhne hat, nannte er mal die französisc­he Schauspiel­erin Jeanne Moreau und die Balletthel­din Pina Bausch, mit der er befreundet war. Beide haben wahrlich keine Allerwelts­gesichter, sondern sie tragen Landschaft­en eines Lebens zur Schau. „Je mehr Erfahrung man hat, desto mehr kann man auf einem Gesicht entdecken“, sagt Lindbergh, der jedes lesen mag und kann. Neulich habe er von einer guten alten Bekannten ein Passfoto gemacht und sich nur gewundert. Durch die Beschäftig­ung mit der Kamera war ihm das vertraute Gesicht ganz anders vorgekomme­n.

Mit seiner freundlich­en Art der Begegnung, seinem Respekt vor Mensch und Methode, mit seinen erfindungs­reichen Drehbücher­n, die jedes Fotoshooti­ng begleiten, ist Lindbergh gefragt wie eh und je. Für den Pirelli-Kalender 2017 hat er die Shootings gemacht und bei den Models großes Vertrauen genossen. Das freut ihn, Erfolg zu haben mit Natürlichk­eit. Er macht Menschen Mut dazu, zu Falten und Lebenslini­en zu stehen. „Was sollen die Archivare in 200 Jahren einmal von uns denken, wenn sie unsere Fotos von heute betrachten, all die Botox-Gesichter und die mit Pillen für ewige Jugend vollgestop­ften Körper?“

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Der Modefotogr­af Peter Lindbergh stellt im NRW-Forum seine Art von Modefotos aus.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Modefotogr­af Peter Lindbergh stellt im NRW-Forum seine Art von Modefotos aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany