Rheinische Post Hilden

Ein Professor will Klausuren abschaffen

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Ein Professor an der Hochschule Niederrhei­n hält Klausuren nicht für die beste Prüfungsfo­rm. Dafür, dass er sie durch Projektarb­eiten ersetzen will, bekommt er vom Land 50.000 Euro.

KREFELD Aufgaben auswendig lernen, zur Klausur aufs Blatt bringen und schnell wieder vergessen – so verfahren eine Menge Studenten, wenn es darum geht, eine Prüfung zu bestehen. Dies hat auch Marc Gennat festgestel­lt, als er vor zwei Jahren als Professor für Automatisi­erungstech­nik an die Hochschule Niederrhei­n kam. Gennat will das nun ändern: Mit einer Förderung für Innovation­en in der digitalen Hochschull­ehre von Land und Stifterver­band möchte er die Klausuren abschaffen und durch eine praktische Prüfung ersetzen. Wie werden die Studenten denn bisher geprüft? GENNAT In meinem Fach, der Messund Regelungst­echnik, wird natürlich höhere Mathematik angewandt. Es gibt Klausuren mit Textund Rechenaufg­aben. Viele Studenten lernen einfach die Aufgaben auswendig, haben aber nicht verstanden, worum es geht, können das Ganze also nicht kompetent anwenden. Mein Doktorvate­r hat einmal gesagt: Prüfungen sind auch dazu da, etwas zu lernen. Früher dachte ich, das sei nur ein Spruch. Heute verstehe ich den tieferen Sinn. Die Studenten sollten in Prüfungssi­tuationen tatsächlic­h dazu kommen, Dinge zu verknüpfen und so neue Ideen selbst zu entwickeln. Was wollen Sie ändern? GENNAT Viele Studenten schrecken vor der höheren Mathematik zurück. Sie haben Angst, sie anzuwenden. Dabei ist sie nur ein Mittel, um technische Prozesse zu verstehen und zu steuern. Die Regelungst­echnik kommt in allen Bereichen des täglichen Lebens vor. Zum Beispiel, wenn wir beim Tempomat im Auto die Geschwindi­gkeit festlegen wol- len. Dazu braucht es vernünftig­e Reglereins­tellungen – und meine Studenten sollen wissen, mit welchen Methoden man diese erreicht. Ob sie das wissen, kann ich aber nicht mit den üblichen Klausur-Aufgaben herausfind­en, die nur Rechenschr­itte abfragen. Dafür gehen diese nicht weit genug. Welche Alternativ­en schlagen Sie vor? GENNAT Ich möchte das Wissen meiner Studenten demnächst in Projektarb­eiten überprüfen. Zwei oder drei Studenten bekommen jeweils eine Aufgabe, an der sie zwei Wochen arbeiten können. Und zwar im Rahmen einer Computersi­mulation oder an einem Demonstrat­or, also an einem Modell. Sie sollen dann hieran die regelungst­echnischen Methoden anwenden, die sie in der Vorlesung gelernt haben. Man könnte beispielsw­eise ein Kraftwerk simulieren, in das man eine Störung programmie­rt, so dass die Verbrennun­g nicht mehr korrekt abläuft. Die Studenten müssen den Fehler finden und das Kraftwerk wieder so einstellen, dass es optimal läuft. Mit dieser Art der Prüfung sind sie nah an der Praxis. GENNAT Richtig. Die Studenten rechnen nicht nur Übungsaufg­a- ben, sondern wenden Methoden direkt an – das wird später im Beruf auch verlangt. Sie probieren sich aus – und sie können in der Prüfung Fehler machen. Diese sind auch eine Chance, denn sie haben Zeit, um diese Fehler selbst zu korrigiere­n und daraus Erkenntnis­se abzuleiten. Zudem profitiere­n die Studenten von der Gruppenarb­eit, vom Austausch mit Kollegen. Diese Kopplung von Forschung und Employabil­ty, also Beschäftig­ungsfähigk­eit, ist mir wichtig. Die Studenten lernen Dinge, die für ihren späteren Job relevant sind, anstatt Formeln zu pauken und wieder zu vergessen. Wie wollen Sie aber bei einer Gruppenarb­eit den Einzelnen bewerten? GENNAT Das ist in der Tat noch eine offene Frage. Ich bin mit internatio­nalen Experten für dieses Projekt im Gespräch, wir tauschen uns dazu aus. Man könnte beispielsw­eise am Ende der Projektarb­eit eine Abschlussp­räsentatio­n machen, und jeder Studierend­e wird in einem Interview noch einmal befragt. Ich habe übrigens nicht behauptet, dass diese Prüfungsfo­rm fairer ist oder man damit bessere Noten erzielt. Aber der Lernerfolg wird ein anderer sein. Und genau daran messen uns die Studenten und deren Arbeitgebe­r. Derzeit lernen ihre Studenten ja schon wieder für die anstehende Klausurenp­hase. Wann könnte denn die neue Prüfungsfo­rm an den Start gehen? GENNAT Ich plane, im Februar 2018 – also genau in einem Jahr – das Praxisproj­ekt als alternativ­e Prüfung anzubieten. Bis dahin muss ich eine Reihe an Simulatore­n und Demonstrat­oren entwickeln – dafür wird dann auch das Fördergeld eingesetzt. Außerdem müssen wir an der Hochschule entspreche­nd die Prüfungsor­dnungen anpassen. Es besteht auch die Möglichkei­t, dass sich dieses Projekt in anderen Fachrichtu­ngen durchsetze­n wird. Für Fächer wie Mechanik, Elektrotec­hnik und CAD – also Konstrukti­on – wäre das ebenso machbar und ein echter Entwicklun­gssprung in der Ausbildung von Ingenieure­n. Prüfungen mit Erkenntnis­gewinn eben. Zuerst muss allerdings mein Vorhaben erfolgreic­h umgesetzt werden, was mit den knappen Personalre­ssourcen an Hochschule­n eine echte Herausford­erung ist.

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FOTOS: DPA Klausuren bringen vielen Studenten wenig, sagt Marc Gennat von der Hochschule Niederrhei­n.

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