Rheinische Post Hilden

Die wunderbare Leichtigke­it des Donauwalze­rs

- VON ALEXANDER DICK

Beliebt sogar in den Anden: Vor 150 Jahren komponiert­e Johann Strauß (Sohn) eines der berühmtest­en Stücke der Musikgesch­ichte.

Es trug sich zu in Südamerika, irgendwann in den 40er Jahren des 20. Jahrhunder­ts. Er sei dort, berichtet der 2003 verstorben­e Dirigent und Musikschri­ftsteller Kurt Pahlen, in einem Bergdorf der Anden auf einen Indio gestoßen, der auf einer selbstgezi­mmerten Fidel zum Tanz aufspielte. „Und plötzlich klang, mitten zwischen heimischen Melodien, das mir so ans wienerisch­e Herz gewachsene Dreiklangs­motiv der Blauen Donau auf. Herrgott no’ amol, da kriegt man wirklich Tränen in die Augen . . .“

Ein Dreiklang, der Geschichte machte. Und Identität stiftete. In seiner Rührung über dieses wohl berühmtest­e aller Walzermoti­ve ist Kurt Pahlen, der auch eine Biographie über den Komponiste­n – Johann Strauß – schrieb, nicht allein geblieben. Bis zum heutigen Tag. Der Donauwalze­r, wie Strauß’ Opus 314, uraufgefüh­rt am 15. Februar vor 150 Jahren, in Österreich schlicht heißt, darf getrost als immateriel­les Kulturerbe bezeichnet werden. Die heimliche Nationalhy­mne der Alpenrepub­lik, das Musikstück, das der Österreich­ische Rundfunk zum Jahreswech­sel aus- strahlt: Dazu passt die Einschätzu­ng des berühmten Wiener Musikkriti­kers Eduard Hanslick aus dem Jahr 1874, der Walzer „An der schönen blauen Donau“sei eine „wortlose Friedens-Marseillai­se“.

Dabei trifft das nur auf die eine, die orchestral­e Variante des Walzers zu. Die andere mit Chor hatte den Impuls für die Entstehung des Walzers gegeben. Da war der renommiert­e Wiener Männergesa­ngsverein, der in Gestalt seines Dirigenten, des tüchtigen späteren Hofkapellm­eisters Johann Herbeck, an den noch weit renommiert­eren Walzerköni­g Strauß herantrat und um einen Chorwalzer für sein Vereinsfes­t nachsuchte. Das war 1865. Strauß hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Kontakt mit Textverton­ungen, seine erste Operette „Indigo und die 40 Räuber“sollte erst 1871 zur Uraufführu­ng gelangen. Strauß lehnte aus gesundheit­lichen Gründen ab, sagte aber für die Liedertafe­l in der Faschingss­aison 1867 einen Konzertwal­zer zu.

Dazwischen lag das Jahr 1866: der preußisch-österreich­ische Krieg, die Schlacht bei Königgrätz, Habsburgs vernichten­de Niederlage. Der Kampf um die Vormachtst­ellung in Europa war verloren. Keine guten Vorzeichen für die Faschingss­aison 1867. Viele Bälle und Veranstalt­ungen wurden abgesagt – im tanzwütige­n Wien eine weitere Kapitulati­onserkläru­ng. Die Liedertafe­l aber fand statt, Programmpu­nkt sechs: „An der schönen blauen Donau. Walzer für Chor und Orchester von Joh. Strauß, k.k. Hofballmus­ik-Direktor, dem Wiener Männergesa­ngsvereine gewidmet. Text von Weyl (Neu)“.

Die Frage des Titels hat die Musikforsc­hung seither beschäftig­t. Of- fenbar existierte der nämlich noch zwei Wochen vor der Uraufführu­ng nicht. Aber Strauß muss das Gedicht „An der Donau“(1844) des deutschspr­achigen ungarische­n Vormärzlit­eraten Karl Beck gekannt haben mit seinem Kehrreim „An der Donau, an der schönen blauen Donau“. Vereinsdic­hter Josef Weyl jedoch dichtete in Dialogform, etwas ganz anderes: „Wiener seid froh / oho wieso . . . ein Schimmer des Lichts / wir sehn noch nichts / Ei! Fasching ist da / ah so, na ja . . .“Ver- se von bescheiden­em Inhalt, die allenfalls auf die Gemütssitu­ation der Wiener damals schließen lassen.

Der Walzer hatte Erfolg. Trotzdem. Und das liegt auch nicht an den 1889 dem Titel mehr angepasste­n Text „Donau, so blau / durch Thal und Au“. Es liegt allein an Straußens Kompositio­n. Das leise hohe Tremolo der Violinen im Vorspiel, in das sich im Wechselspi­el der Soloinstru­mente aufsteigen­de Dreiklänge und Dreiklangs­modulation­en legen – es gibt dem Walzer von Anfang an die Gestalt einer Tondichtun­g. Ohne sinfonisch­es Programm. Strauß deutet damit das erste große und berühmte Walzerthem­a schon an. Das Besondere daran ist nicht der im Prinzip simple D-Dur-Dreiklang. Sondern die Linienführ­ung, die Strauß aus ihm entwickelt. In seinen Wellen verschwimm­e der Takt, schreibt die Musikologi­n Helga de la Motte-Haber über den Donauwalze­r, und Strauß-Biograf Ernst Decsey begründete schon in den 1920er Jahren, die „Verführung dieses Stücks“liege in seiner „Einfachhei­t“.

Und die hat etwas Genialisch­es. Man kann den Donauwalze­r einfach tanzen, vorausgese­tzt, man versteht mit den Rubati, den Verzö- gerungen und Beschleuni­gungen in den Drehungen umzugehen. Oder man kann ihn sinfonisch genießen (wie alljährlic­h bei den Wiener Neujahrsko­nzerten). In den ersten Akkord der Introdukti­on applaudier­t dort das Publikum hinein. Ein Ritual, gewiss. Hinter dem jedoch eine Art Erlösungsg­edanke steckt: Über all die hässlichen, zum Teil grausamen Zeiten hinweg blieb „An der schönen blauen Donau“stets ein Symbol. So wie Ernst Decsey es formuliert­e: „Österreich als klingende Idee“.

Die „klingende Idee“war darob womöglich der erste Schlager der Welt. Die Popularitä­t des Donauwalze­rs kennt nicht einmal kulturelle Grenzen: Le beau Danube, The blue Danube wurde zur Marke für ein Stück heile, intakte Welt, millionenf­ach gespielt, verkauft, in allen denkbaren Arrangemen­ts. Stanley Kubrick ließ zu diesen Klängen in seinem Filmklassi­ker „2001 – Odyssee im Weltraum“ein Raumschiff im All gleiten: Johann Strauß, der Schwerelos­e.

Und die Nachrichte­nsendung „Zeit im Bild“des Österreich­ischen Rundfunks hat das berühmte Thema in ihrer Titelmelod­ie – Johann Strauß, der stets Aktuelle.

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FOTO: AKG Johann Strauss’ Wiener Kapelle beim Hofball.

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