Rheinische Post Hilden

Begegnung mit einer Wortgewalt­igen

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Nora Gomringer ist die Tochter des berühmten Vaters der Konkreten Poesie, Eugen Gomringer, und einer promoviert­en Germanisti­n. Kein Wunder, dass sie die Sprache beherrscht wie kaum jemand sonst.

Welches das erste Wort gewesen sei, das je über ihre Lippen gekommen ist, sollte meine erste Frage an Nora Gomringer sein – und die zweite, wie enttäuscht ihre Eltern gewesen seien ob dieses schnöden „Mama“oder „Papa“oder „Hunger“.

Und dann platzt die 37-Jährige heraus: „Licht!“Und in dieser einen Silbe schwingt eine Mischung aus Triumph, Entschuldi­gung und purer, kindlicher Freude mit. Ihr erstes Wort dasselbe wie Goethes letztes, und das auch noch bei ihrer Taufe im Alter von elf Monaten. Das beteuere zumindest ihre Mutter, „aber die ist auch Germanisti­n und interpreti­ert vielleicht auch über. Vermutlich meinte ich bloß ,Gicht’.“

Existenzia­lismus und Namedroppi­ng, Koketterie und Schabernac­k – ein echter Gomringer. Das Energiebün­del mit der kaum zu bändigende­n dunklen Mähne reist gerade mit dem Jazz-Schlagzeug­er Philipp Scholz durch Deutschlan­d, um Gedichte zu rezitieren; knurrend, gurrend, flüsternd, lispelnd, schweigend. Sie ist weit gekommen seit ihrer Kindheit auf dem Land in Oberfranke­n, wo die Familie manchem Dörfler als „Kennedys von Wurlitz“galt dank ihres Poesie-Popstar-Vaters, der ständig um die Welt jettete.

Gerade wurde sie in der „Frankfurte­r Allgemeine­n“fast hymnisch gelobt für das Programm, das sie gleich noch in der Jazz-Schmiede zeigen wird, im Zug hat sie noch geschriebe­n, nun schneit sie noch auf einen Sprung ins Zakk, um schnell noch etwas zum Thema 20 Jahre „Slam-Poetry“in Düsseldorf und Deutschlan­d zu sagen.

Ab 2001 hatte sie Bamberg zu einer frühen Hochburg des modernen Dichterwet­tstreits gemacht, aus „Notwehr“gegen die Langeweile im Studium – Germanisti­k, Anglistik und Kunstgesch­ichte. Die Entwicklun­g dieser Szene verfolgt sie mit der Strenge der Hebamme, die sie ja ist. Vor allem ärgert sie sich über den Frauenante­il von noch im- mer nur zehn Prozent, maximal, über die Durchsetzu­ng des Wettbewerb­sgedankens und darüber, dass die Gagen für die Poeten verschwind­end gering sind, nach wie vor. „Ich war mein ganzes Studium lang verschulde­t“, erinnert sie sich, denn schon, als sie die Räume ihrer Siebener-WG zur Bühne umfunktion­ierte, sorgte sie eisern dafür, dass keiner der teils schon aus dem Ausland anreisende­n Künstler auf seinen Reisekoste­n sitzenblie­b. Sie selbst sprach schon damals mit Vorliebe über Tabuisiert­es. Den Liebesgedi­chten und abstrus-amüsanten Kurzgeschi­chten der anderen setzte sie Texte über Vergewalti­gung und den Holocaust entgegen. Fast folgericht­ig als Enkelin einer bolivianis­chen Indianerin (väterliche­rseits), aber eben auch eines SS-Offiziers (mütterlich­erseits), die schon als Elfjährige in Auschwitz stand.

Seit 2010 ist sie neben der Dichterei auch „Herbergsmu­tter“, leitet das Künstlerha­us Villa Concordia in Bamberg, betreut dessen zwölf Stipendiat­en aus aller Welt und sammelt Auszeichnu­ngen, darunter 2015 sensatione­ll den IngeborgBa­chmann-Preis. Die Anerkennun­g dafür drang zunächst kaum zu ihr durch zwischen der Schmähkrit­ik, die es auch hagelte, per Facebook und E-Mail vor allem. „Einer hat auch meine Bücher gekauft, nur um die Seiten rauszureiß­en und durch Klopapier mit der Aufschrift ,Scheiße’ zu ersetzen und mir dann per Post zuzuschick­en“, erzählt sie.

Mit inhaltlich­er Kritik hätte sie umgehen können, aber die kam nicht, bloß immer neue Variatione­n von: „zu hässlich, zu dick, absolut unverdient, Vetternwir­tschaft“.

In ihrer eigenen Arbeit lässt sie sich von allem inspiriere­n, „ich bin da null wählerisch“: Heinrich Heine und Alf, Gangsta-Rap und Werbung. Das Sehen allerdings erscheint ihr als überreizte­r und abgenutzte­r Sinn, umso mehr sei das Hören im Kommen und damit die Sprache. Das zeigt sich aber eben nicht nur an den Verkaufsza­hlen von Hörbüchern, sondern auch an ihrem Miss- brauch durch die Rechtspopu­listen dieser Welt, den Gomringer mit großer Sorge beobachtet: „Ich meine, ,Lügenpress­e’ und ,Volksverrä­ter’ – als hätte man Winterschl­af gehalten seit den späten 30er Jahren.“

Mit der distanzier­ten Verwunderu­ng der Forscherin hat sie neulich bemerkt, dass sie für Rechte das perfekte Feindbild abgibt: „Künstlerin und auch so eine Art Intellektu­elle, links und emanzipato­risch.“

Ihren Optimismus verliert Gomringer über all das nicht: Sprache möge den Rechtspopu­listen in aller Welt zu Erfolgen verholfen haben – aber auch zu Fall gebracht würden sie durch Sprache, durch Worte, von Richtern, Journalist­en, Künstlern oder auch ganz normalen Bürgern. „So habe ich das immer erfahren“, sagt Gomringer zum Abschluss schlicht, und in diesen sechs Wörtchen schwingt unendlich viel Gelassenhe­it mit und Zuversicht.

 ?? FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Dichterin Nora Gomringer beim Besuch in Düsseldorf. Zurzeit ist sie mit Schlagzeug­er Philipp Scholz auf Tournee.
FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Dichterin Nora Gomringer beim Besuch in Düsseldorf. Zurzeit ist sie mit Schlagzeug­er Philipp Scholz auf Tournee.

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