Rheinische Post Hilden

Meine Eltern und Whatsapp

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Meine Mutter ist jetzt bei Whatsapp. Sie kann mir und meinen Geschwiste­rn jetzt immer „eine App schicken“, wie sie es nennt. Wir haben ihr versucht zu erklären, dass eine App ein kleines Programm ist, sie uns also genau genommen lediglich eine Nachricht schickt. Geändert hat es nicht viel. Weil Mama jetzt „Apps verschickt“, ist Papa jetzt auch bei Whatsapp. Er wollte nämlich nicht mehr ausgeschlo­ssen sein von Unterhaltu­ngen.

Es ist großartig, dass meine Eltern sich mit über 60 Jahren noch auf neue Technik einlassen – gleichzeit­ig kann ich in meiner Familie hautnah erleben, welche Auswirkung­en der sogenannte Netzwerkef­fekt hat, den es im Zeitalter der großen Internet-Plattforme­n gibt: Je mehr Leute bei sozialen Netzwerken wie Facebook, Snapchat oder dem Nachrichte­ndienst Whatsapp mitmachen, desto größer wird der Druck für alle anderen, sich auch anzumelden, wenn sie nicht ausgeschlo­ssen sein wollen von Teilen der Kommunikat­ion. Das ist ein riesiges Problem.

Technische­r Fortschrit­t hat schon immer neue Kommunikat­ionswege ermöglicht, der Brief wurde durch das Telefon und später durch die E-

Seit meine Eltern bei Whatsapp sind, habe ich die Vorzüge des Telefonats zu schätzen gelernt. Das liegt nicht daran, dass ich nicht gerne mit ihnen schreibe, sondern daran, dass das Telefon viel freier war als soziale Netzwerke.

Mail ergänzt. Doch all diese Angebote haben eins gemein: Vielfalt. Egal ob man den Anschluss bei der Telekom, Unitymedia oder Vodafone hat, egal ob die Mail-Adresse bei GMX, Web oder T-Online angemeldet ist – man kann auch jene erreichen, die andere Anbieter haben.

Die große Frage ist, ob es diese Vielfalt auch noch geben würde, wenn die E-Mail oder das Telefon heute, im Zeitalter der PlattformÖ­konomie, erfunden würde. Denn das Internet, das eigentlich die Welt verbinden soll, wird gerade von einer Handvoll Unternehme­n aufgeteilt und abgeschott­et. Weder kann man sich mit seinem Twitter- oder Snapchat-Profil bei Facebook anmelden noch kann man Nachrichte­n über die Grenzen der Netzwerke hinweg verschicke­n. Auch Telefonate, wie sie etwa mit Whatsapp oder Facebook möglich sind, funktionie­ren nur in den Grenzen des Systems.

Am Ende entstehen so digitale Parallelge­sellschaft­en, die nur den Konzernen nützen, die möglichst viele Nutzer anlocken wollen, um deren Informatio­nen zu bündeln und zu Geld zu machen.

Das ist ein Rückschrit­t für das Internet. Gerade in Zeiten, in denen Autokraten weltweit versuchen, Bürger vom Internet abzuschott­en und es zu zensieren, muss die Freiheit des Internets verteidigt werden. Dazu gehören auch offene Schnittste­llen, so dass jeder seinen SocialMedi­a-Anbieter frei wählen kann. Denn dann könnte meine Mutter auch noch „Apps“verschicke­n, während ihre Kinder vielleicht längst nur noch Snapchat benutzen.

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