Die Diamanten von Nizza
Er sah, dass Elena demonstrativ auf ihre Uhr tippte. „Okay, okay. Ich komme.“Sie hatten sich angewöhnt, vom Le Pharo zu Fuß zu ihrem Haus zu gehen, ein Spaziergang von fünfundzwanzig Minuten, der meistens einen schmalen, steinigen Pfad entlangführte. Es war noch früh am Morgen, die Luft war frisch und noch nicht wirklich warm. Das Meer lag spiegelglatt da, und die Marseiller Möwen – groß wie Gänse, wie die Einheimischen zu behaupten pflegten – zogen ihre Kreise und Bahnen unter dem tiefblauen Firmament.
„Die kommen mir vor wie Pendler im Nahverkehr“, meinte Sam. „Was steht heute Vormittag auf dem Programm?“
„Coco möchte uns eine antike Tür zeigen, die sie gefunden hat, und du sollst dir bitte Muster für die Oberflächenversiegelung anschauen, die sie für deine Dusche vorschlägt. Darüber hinaus müssen wir das übliche Sammelsurium an Einzelheiten für die Küche besprechen. Und ich muss entscheiden, ob ich in meinem Bad ein Bidet haben will.“
Beim Näherkommen hörten sie bereits, dass an ihrem Haus gearbeitet wurde, bevor sie es sehen konnten – das Raspeln eines Steinschleifers, der eine Gehwegplatte in Form brachte, das monotone Grollen einer Betonmischmaschine, die gelegentlichen Zurufe der Arbeiter, Musikfetzen, die aus einem Radio drangen.
„Du scheinst das alles zu genießen“, sagte Sam. „Ich bin froh, dass Coco und du gut miteinander auskommt.“
„Sie ist ein Juwel, erklärt alles und ist äußerst detailbewusst. Ich denke, mit ihr haben wir einen echten Glücksgriff getan.“
Bei ihrer Ankunft am Haus war Coco in ihrer üblichen Arbeitskleidung – einer weißen Latzhose – damit beschäftigt, zwei Bauarbeiter zu beaufsichtigen, die gerade die antike Tür vom Lastwagen abgeladen hatten und sie nun gegen die Wand neben dem leeren Türrahmen lehnten. Coco überwachte den Vorgang mit Argusaugen, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
„Ich denke, so müsste es gehen“, befand sie und eilte zum obligatorischen Austausch der Guten-Morgen-Küsse herbei. „Gefällt sie Ihnen? Mein Vater hat sie in Paris entdeckt. Er zeigt neuerdings großes Interesse an meiner Arbeit.“
Es war eine einfache, kompakte Tür, die nach Cocos Einschätzung aus dem späten achtzehnten Jahrhundert stammte. Die Jahre hatten das Holz nachdunkeln lassen und der Eiche eine satte, würdevolle Patina verliehen, wie geschaffen, um die sonnengebleichten Wände vorteilhaft zur Geltung zu bringen.
„Wenn Sie das nächste Mal kommen, ist die Tür eingebaut. Aber es hat noch etwas gefehlt“, sagte Coco. Sie ging hinüber und hob einen Gegenstand auf, der hochkant an der Tür lehnte. „Das ist für Sie – ein kleines Geschenk zur Hauseinweihung. „Es war ein bronzener Türklopfer in Form einer zarten Frauenhand, die eine Bronzekugel hielt. „Sie ist nicht ganz so alt wie die Tür – neunzehntes Jahrhundert, würde ich sagen –, doch ich denke, die beiden passen recht gut zusammen.“
Der Rest des Vormittags verstrich in einem angenehmen Dunstschleier aus Details und Dekorationsvorschlägen, die von Coco noch einmal auf einer Liste zusammengefasst worden waren, und als sie sich schließlich zum Gehen anschickten, um eine Kleinigkeit zu Mittag zu essen, sahen sie sich beide im Geiste bereits einziehen.
Elena schoss ein Foto von Sam, der den Türklopfer hochhielt, um zu sehen, wie sich das gute Stück an der Tür ausmachte. „Ich kann kaum glauben, wie schnell die Arbeiten vorangehen“, sagte sie. „Bist du auch zufrieden mit den Neuerungen?“Sam nickte. „Vor allem mit deinem Bidet. Das ist die Krönung“, sagte er und grinste.
Philippes Anruf kam, als sie das Mittagessen in einem Café im Vieux Port gerade beendet hatten. „Glück muss der Mensch haben“, sagte er. „Stellt euch vor, mein Freund Loulou kennt jemanden in Nizza, der den Fall Castellaci bearbeitet hat; ich hoffe also, dass damit ein Anfang gemacht ist. Er erledigt für uns den gesamten Papierkram.“
„Super“, erwiderte Sam. „Wie sehr bist du zeitlich eingespannt?“
„Diese Woche ist verplant, die übliche Ochsentour. Ein neuer Nachtclub, der in Cannes eröffnet wurde, eine Wohltätigkeitsgala in Monte Carlo und dann geht’s ab nach Saint-Tropez zu einer Bikini-undChampagner-Modenschau am Strand, wo man immer gute Chancen hat, dass einer der Stofffetzen zufällig ins Rutschen gerät.“„Zufällig?“„Du wärst erstaunt, wie häufig sich solche Zufälle ereignen, wenn sich gerade eine Kamera in der Nähe befindet. Wie dem auch sei, in der darauffolgenden Woche dürfte es weniger hektisch zugehen. Ich werde Loulous Informanten anrufen und schauen, ob ich einen Termin für uns ausmachen kann.“
Sam schüttelte den Kopf, als das Gespräch beendet war. „Ich glaube, Philippe hat seine Berufung gefunden. Er ist unter die Zufallsforscher gegangen, Spezialgebiet nackte Tatsachen.“
Alex Dumas nahm ein Taxi für die kurze Fahrt vom Flughafen in Nizza zum Hotel Negresco. Nach mehreren Telefonaten hatte man ihm eine Suite zum Preis eines Einzelzimmers zur Verfügung gestellt. Sicher hatte seine Tochter nachgeholfen, die hier regelmäßig eine Suite für Geschäftsbesprechungen mietete. Die Ermäßigung war im Übrigen nur angemessen, denn wie er aus dem Internet wusste, war die Inneneinrichtung längst nicht mehr von ähnlicher Qualität wie die schöne Fassade, es wurde gerade emsig renoviert, überdies gab es keinen Wellnessbereich, und der Service war freundlich, aber behäbig. Obwohl er ein außerordentlich wohlhabender Mann war, besaßen selbst geringfügige Einsparungen für Monsieur Dumas großes Gewicht. Er hatte nie die bescheidenen Verhältnisse vergessen, aus denen er sich emporgearbeitet hatte, die Armut, die ihn geplagt und gezwungen hatte, jeden Cent drei Mal umzudrehen. Sein Vater, ein kleiner Beamter, war früh verstorben und hatte es Alex überlassen, die mageren Einkünfte der Familie aufzubessern. Er hatte sich eine Zeit lang als Kellner und Barmixer durchgeschlagen, bevor es ihm gelang, eine enge Bindung zu einem seiner Stammkunden aufzubauen, einem ältlichen Antiquitätenhändler, der ihn als seine rechte Hand einstellte. Der Händler hatte einen Sohn in ihm gefunden, und Alex einen Vaterersatz. Folglich hatte er das Geschäft geerbt und die Vergangenheit ein für alle Mal begraben. Über die Antiquitäten war er später zu weit lukrativeren Geschäftsfeldern gelangt.
(Fortsetzung folgt)