Rheinische Post Hilden

Meckerstim­mung im Lutherjahr

- VON BENJAMIN LASSIWE

Mit einem Versöhnung­sgottesdie­nst wollen die großen Kirchen heute in Hildesheim ein Zeichen setzen. Es wäre auch eine Gelegenhei­t für einen Meilenstei­n anderer Art. Denn ums Reformatio­nsjubiläum ist es ruhig geworden, zu ruhig. Und die Gemütslage bei den Evangelisc­hen ist gereizt.

HILDESHEIM Auf den ersten Blick sieht die Metallskul­ptur aus wie eine Panzersper­re. Mit Streben in alle Himmelsric­htungen blockiert sie den Weg. Doch wenn heute in der Hildesheim­er Michaelisk­irche die Spitzen der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) und der römisch-katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz zusammenko­mmen, um in Anwesenhei­t des Bundespräs­identen, der Bundeskanz­lerin und zahlreiche­r weiterer Honoratior­en einen ökumenisch­en Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst zu feiern, wird die Metallskul­ptur aufgericht­et werden. Dann wird aus der Panzersper­re, die im Weg liegt und jeden Verkehr blockiert, ein Kreuz.

Denn heute in Hildesheim geht es um das Verhältnis der beiden großen Kirchen zueinander: 500 Jahre nachdem Luthers Thesen eher ungewollt zur Kirchenspa­ltung führten, wollen der EKD-Ratsvorsit­zende Heinrich Bedford-Strohm und sein katholisch­es Gegenüber, Reinhard Kardinal Marx, an die Wunden der Reformatio­nszeit und der folgenden Jahrhunder­te erinnern.

Aber muss man Gott heute noch, muss man einander heute noch um Vergebung für den Dreißigjäh­rigen Krieg bitten? Immerhin ist das Verhältnis zwischen den großen Kirchen heute so gut wie nie zuvor: Ihre Spitzen pilgerten im vergangene­n Herbst durch Israel und Palästina, Marx und Bedford-Strohm sind eng befreundet, und erst in dieser Woche kündigte die Bischofsko­nferenz an, an einer nationalen Sonderrege­lung zur Eucharisti­ezulassung konfession­sverschied­ener Paare zu arbeiten. Auf lokaler Ebene gilt das sowieso: In der Kirche St. Michael zu Hildesheim, wo der heutige Gottesdien­st stattfinde­t, feiern sowohl Katholiken als auch Protestant­en Sonntag für Sonntag Gottesdien­st.

Doch um die Terminolog­ie für das Jahr 2017 gab es jahrelange­n Streit: Ist es nun ein Reformatio­nsjubiläum oder ein Reformatio­nsgedenken? Denn ökumenisch­e Wunden sitzen zuweilen tief – nicht nur im Fall der aus dem Harz stammenden Protestant­in, die nach ihrer Heirat mit einem Katholiken im bayerische­n Allgäu umgetauft werden sollte. „Ich habe selbst als Gemeindepf­arrer noch die Geschichte­n gehört, wo Menschen geächtet wurden, weil sie interkonfe­ssionelle Ehen eingegange­n sind“, sagt Bedford-Strohm.

Im Sommer 2015 hatten er und Marx vereinbart, gemeinsam einen Gottesdien­st zur Heilung der Erinnerung­en zu feiern – ein Begriff, der aus der Aufarbeitu­ng der Apartheid in Südafrika stammt, und den schon der Lutherisch­e Weltbund (LWB) benutzte, als er 2007 bei seiner Vollversam­mlung in Stuttgart die Mennoniten, die Nachfahren der Wiedertäuf­er der Reformatio­nszeit, um Versöhnung bat. Und am 31. Oktober eröffneten Papst Franziskus und LWB-Präsident Munib Junan das Reformatio­nsjahr bei einem Bußund Versöhnung­sgottesdie­nst im schwedisch­en Lund. Da ist es schon verwunderl­ich, dass der Weltbund heute nicht einmal um ein Grußwort gebeten wurde.

In jedem Fall ist der Gottesdien­st für die Kirchen eine gute Gelegenhei­t, im etwas aus dem Licht der Öffentlich­keit entschwund­enen Reformatio­nsjubiläum wieder einen Meilenstei­n zu setzen. Denn seit dem Auftakt im vergangene­n Herbst in Berlin und der Übergabe der revidierte­n Lutherbibe­l, die sich über alle Erwartunge­n hinaus zu einem riesigen Verkaufser­folg entwickelt­e, ist es in Deutschlan­d um das Jubiläum ruhig geworden.

Ein Truck, der durch Europa fährt und Geschichte­n rund um die Reformatio­n einsammelt, interessie­rt nur dort, wo er sich gerade befindet – und auch die wiederkehr­enden Aufführung­en eines „Pop-Oratoriums“rund um Martin Luther und die Reformatio­n haben dem EKDRatsvor­sitzenden mit ihrem Rechtferti­gungslied „Iustificat­io sola fide“zwar nach eigener Aussage einen Ohrwurm beschert. Ihr bundesweit­er Aufmerksam­keitsfakto­r allerdings bewegt sich in regionalen Grenzen.

Und bei offizielle­n Vertretern der EKD ist mittlerwei­le sogar eine gewisse Angefassth­eit festzustel­len, wenn es um Kritik am Reformatio­nsjubiläum geht: Statt souverän über den Dingen zu stehen, griff der Vizepräsid­ent des Kirchenamt­s, Thies Gundlach, die wissenscha­ftliche Theologie mit spitzer Feder an: Im Magazin „Zeitzeiche­n“beklagte er „besserwiss­erische Ignoranz“und „grummelige Meckerstim­mung“in der wissenscha­ftlichen Theologie, deren Vertreter sich prompt mit EKD-Kritik an anderer Stelle revanchier­ten.

Da kann es der EKD im Grunde nur helfen, wenn der Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst nicht nur einen deutlich sichtbaren Schlussstr­ich unter die jahrhunder­telangen Streitigke­iten von Katholiken und Protestant­en setzt, sondern auch dazu beiträgt, dass im eigenen Lager mal wieder so etwas wie eine „Jubiläumss­timmung“auftaucht – und die Barrieren der Selbstkrit­ik in Hildesheim verschwind­en.

Die Aufmerksam­keit für die Aktionen des Jubiläums hält sich in regionalen Grenzen

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FOTO: DPA Heinrich Bedford-Strohm (l.), Ratsvorsit­zender der EKD, und Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzend­er der Bischofsko­nferenz, 2015 im Mainzer Dom.

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